Autonom fahrender Lkw:Der Fahrer kann loslassen

Freightliner Inspiration Truck

So fortschrittlich der Freightliner Inspiration Truck auch ist, als Antrieb fungiert ein konventioneller Diesel mit 505 PS.

(Foto: WGO)

Hände weg vom Lenkrad: Im Freightliner-Truck ist das ruhigen Gewissens möglich. Der selbstfahrende Lkw entlastet den Fahrer - damit ihm die Spedition andere Arbeiten aufbürden kann.

Von Johannes Kuhn, Las Vegas

Jim Martin ist ein erfahrener Lkw-Lenker. Der 39-Jährige hat schon viele Tausend Kilometer runtergerissen, mit seinem freundlichen Hipster-Bart wirkt er vertrauenswürdig. Doch dann, auf einer Wüstenstraße in der Nähe von Las Vegas, lässt er es drauf ankommen: Martin nimmt die Hände vom Lenkrad und die Füße von den Pedalen.

Loslassen - für einen Lastwagen-Fahrer war dies bislang die schlimmste anzunehmende Unachtsamkeit. Unfälle durch außer Kontrolle geratene Lkws sind meist schwer und häufig tödlich. Doch Jim Martin ist kein Hasardeur, sondern Daimler-Ingenieur. Und der Lastwagen donnert nach seiner Aktion nicht in die staubige Wüste von Nevada, sondern fährt weiter schnurgerade auf der Straße, schließt sogar sanft zum vorausfahrenden Auto auf.

Der autonome Truck darf bisher nur in Nevada fahren

Daimler will, dass Lkw-Fahrer loslassen können: Freightliner Inspiration Truck heißt das Gefährt, das sich selber lenken kann; seit dieser Woche ist der Laster auf offiziellen Straßen in Nevada zugelassen, eine Weltpremiere. Dass der US-Bundesstaat die Genehmigung erteilt hat, ist "ein erster Schritt", wie Daimlers Lastwagen-Chef Wolfgang Bernhard es formuliert. Weder wird das Modell absehbar in Serienreife gehen, noch ist eine offizielle Fahrt von Küste zu Küste in der näheren Zukunft wahrscheinlich. Doch wenn die Technik erst einmal existiert und an einigen Orten genehmigt ist, so das Kalkül, steigt der Druck auf Behörden und Politik, schneller Rahmenbedingungen zu setzen.

Fahren ohne Fahrer

Daimler legt sich früh auf ein Konzept fest, das noch fahrtüchtige Menschen hinter dem Steuer benötigt. Zu früh? "Das menschliche Gehirn ist immer noch der beste Computer", argumentiert Martin Daum, Chef der Freightliner-Mutter Daimler Trucks North America. Zu seiner Lebenszeit werde man deshalb keine vollautomatisierten Autos ohne Fahrer erleben, glaubt er. Zu komplex sei ein solches System. Unternehmen wie Google halten dagegen: Für sie sind Fahrzeuge reine Transportmittel, die durch vernetzte Kommunikation alleine ihren Weg finden können.

Daimler unterfüttert seine Selbstfahr-Initiative mit Zahlen aus Testreihen: Ein selbstfahrender Lkw spart demnach Kraftstoff (bis zu fünf Prozent), Hirnströme signalisieren, dass die Fahrer weniger müde (25 Prozent) als voll aktive Trucker seien. Vor allem aber sollen die Maschinen weniger Fehler als der Mensch machen, das Unfallrisiko sinke, so die Theorie.

Faszination statt Unsicherheit

Eine ganz andere Sache ist allerdings die Psychologie, die eine entscheidende Rolle bei der Akzeptanz autonomer Systeme spielen dürfte. Wer vor einem der riesigen US-Truck steht, kommt sich schon klein vor. Aber wer die Kühlerhaube des Freightliners betrachtet und darüber nachdenkt, dass von Computern ausgewertete Sensoren-Daten darüber entscheiden können, ob dieser Koloss am Zebrastreifen bremst oder nicht, fühlt sich noch etwas machtloser.

Andererseits empfindet ein Beifahrer im Cockpit keinen Moment der Unsicherheit, der Vorgang hat sogar etwas faszinierendes. Sobald das Highway-Pilot-System das Steuer übernimmt, färbt sich der Fahrtmonitor im Cockpit blau, das Lenkrad korrigiert wie von Geisterhand die Spur, selbst einem simulierten Hindernis weicht der Lkw relativ spielend aus.

Büroarbeiten am Steuer

Im Innenraum des Freightliner Inspiration Truck

Büro- statt Lenkarbeit: Weil der Lkw alleine fährt, kann sich der Trucker um andere Dinge kümmern.

(Foto: dpa)

Die Spritztour mit Jim Martin trägt deshalb Züge der Gemütlichkeit. Zunächst erklärt er die Inneneinrichtung, dann zieht er ein Tablet aus der Verankerung. "Ich könnte jetzt Büroarbeiten machen", sagt Martin lächelnd. Der Selbstfahr-Modus bedeutet für den Menschen am Steuer auch, künftig die Fahrt für anderweitige Tätigkeiten nutzen zu können.

Komplett ausklinken kann der Lenker sich jedoch nicht: Will er überholen oder die Autobahn verlassen, muss er selbst das Steuer übernehmen. Für den komplexeren Stadtverkehr ist der Prototyp noch nicht ausgerichtet. Auch bei schlechtem Wetter oder vor unübersichtlichen Baustellen resigniert der Autopilot und fordert den Fahrer auf, wieder aktiv zu werden. Dann erscheint auf dem Monitor ein Countdown, im Cockpit piepst es laut.

Der Beruf des Lkw-Fahrers könnte künftig also eher dem eines Flugpiloten ähneln, der sich vor allem um Start, Landung, unübersichtliche Situationen und die Reiseroute kümmert. Für eine Branche, die über Nachwuchsmangel klagt, wäre ein Senkung des Stresslevels ein willkommenes Rekrutierungsargument - zumal sich das Frachtaufkommen bis 2040 in vielen Regionen der Welt verdoppeln soll.

Von der Highway-Romantik ist wenig übrig

Fracht-, Liefer und Traktorfahrer stellen in 29 US-Bundesstaaten die größte Berufsgruppe. Wer schon einmal auf einem US-Highway unterwegs war, kennt die Allgegenwart der Trucks, die meist um einiges größer als die europäischen Modelle sind.

Daimler in den USA - ein unterschätzter Markt

Zwei Dinge werden in Deutschland kaum registriert: Dass Daimlers Lkw-Sparte (inklusive Busse) ein Drittel zum Gewinn des Konzerns beiträgt, und dass die meisten Lastwagen in den USA deutsch sind, auch wenn die wenigsten mit einem Stern auf der Kühlerhaube fahren. Freightliner und Western Star heißen die Daimler-Truckmarken in den USA. 142 000 Zugmaschinen verkauften die Schwaben dort im vergangenen Jahr, bestückt auch mit Zulieferteilen etwa aus Wörth, Mannheim und Gaggenau. Es sind meist Haubenfahrzeuge, bei denen der Motor ist nicht wie in Deutschland hinter dem Fahrerhaus eingeklemmt ist, sondern eindrucksvoll Platz findet unter der Haube, vorne am Truck. So wie man es aus Steven Spielbergs erstem Spielfilm Duell kennt. Der Grund ist übrigens die Gesetzeslage: In den USA dürfen Lastwagen länger sein als in Deutschland und Europa. (Max Hägler)

Von der Highway-Romantik, wie sie in Deutschland der Country-Sänger Tom Astor besingt, ist allerdings nur noch wenig übrig: Zeit und Kraftstoffverbrauch sind die beiden Faktoren, die Logistikunternehmen stets optimieren wollen und müssen. Autonome Trucks finden auch deshalb Interesse, weil sie digital verbunden in geringem Abstand hintereinander fahren könnten - und Fahrzeug-Kolonnen effizienter als einzelne Lastwagen sind.

Der letzte Teil der Strecke führt den Berg hinab Richtung Las Vegas. Der Bordcomputer hält Geschwindigkeit und Spur, der Highway ist wieder einmal völlig überfüllt. Was, wenn dies alles nur Kulisse wäre? Wenn der Computer den größten Teil dessen erledigen könnte, was wir einmal fahren nannten? In diesem Moment gibt das System ein Signal, das die Gegenwart in Erinnerung ruft: Die Abfahrt vom Highway muss der Fahrer wieder selbst übernehmen.

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