Automobilgeschichte:Romeo und Giulia

Motorsportausstellung im Alfa Romeo Museo Storico in Arese

Die Motorsportausstellung ist das Highlight im Alfa Romeo Museo Storico in Arese.

(Foto: Sebastian Hofmann)

Vor vier Jahren schloss das Museo Storico von Alfa Romeo in Arese - ein Zeichen für den Niedergang der Marke. Jetzt gibt es ein neues Museum. Es fasziniert nicht nur Alfisti.

Von Jörg Reichle

Schön ist anders. Von Norden her führt die Autobahn 13 achtspurig und breit wie ein zäher Fluss auf Mailand zu. Bleiernes Licht lässt die Konturen verschwimmen. Aber sehen will man die Industriebrachen keine 20 Kilometer vor der oberitalienischen Metropole sowieso nicht wirklich. Und hier soll die legendäre Marke Alfa Romeo wieder auferstehen? Kaum zu glauben. Trotzdem muss es hier irgendwo sein. "Nehmen Sie die Ausfahrt Lainate", hatten die freundlichen Herrn von Alfa Romeo Deutschland in Frankfurt/Main geraten, "dann ist es nicht mehr weit bis zum neuen Museo Storico in Arese."

Doch selbst als wir vor der Pforte des weitläufigen Geländes in der Viale Alfa Romeo stehen, wähnt man sich im Nirgendwo. Viel Beton, hohe Mauern, dürre Masten mit Scheinwerferbatterien: Charme eines Internierungslagers. Und doch zögert der Mann am Schlagbaum keinen Augenblick. "Museo Storico? Si, si, rechts fahren, dort parken." Man spricht Deutsch. Wenigstens das.

Ein Gebäude unter Denkmalschutz

Dabei ist Alfa Romeo ohne Arese tatsächlich nicht zu denken. Von 1963 an wurde hier unter anderem die erfolgreiche Giulia gefertigt, weil die Fabrik in Portello aus allen Nähten platzte. Doch nach der Schließung 2005 wurde die Anlagein Arese, einst zweieinhalb Millionen Quadratmeter groß, eine Beute des schleichenden Verfalls. 2011 machte auch das Museum dicht. Seit 1976 hatte es die an Höhepunkten wahrlich nicht arme, mehr als hundertjährige Geschichte der Marke dokumentiert.

Die Wiedergeburt des Museo Storico eifte nun im Verborgenen. Während die Alfisti in aller Welt noch Krokodilstränen über den Niedergang ihrer Herzensmarke unter dem kühlen Fiat-Chef Sergio Marchionne vergossen und mit einer Online-Protestaktion ihrem Unmut Luft machten, erhielt der Architekt Benedetto Camerana von Marchionne den Auftrag für ein neues Museum. 2013 war das. Und hatte einen entscheidenden Haken, wie sich herausstellen sollte: Das Gebäude, in dem einst die Verwaltung untergebracht war, steht unter Denkmalschutz.

Ein ganzes Markenzentrum ist entstanden

Ziel war, erinnert sich der Architekt Camerana im aufwendig gemachten, mit 60 Euro allerdings auch nicht gerade billigen Ausstellungskatalog, "den Bürokomplex und die außergewöhnliche historische Sammlung so zusammenzufügen, dass das Projekt für den radikalen und globalen Relaunch dieser ruhmreichen Marke steht". Nicht nur ein Museum mit Laden, Café und Archiv sollte hier entstehen, so war die Vorgabe, sondern gleichzeitig ein Markenzentrum für Alfa und Jeep genannt Motor Village Arese, komplett mit Showroom, Auslieferungsareal, Veranstaltungsbereich, Teststrecke, Klassik-Center und noch manches mehr.

"Das alles wurde in unfassbar kurzer Zeit umgesetzt," sagt Lorenzo Ardizio, als wolle er sich dafür entschuldigen, dass überall auf dem Gelände noch gearbeitet wird. "Curator" steht auf seiner Visitenkarte und auf der Rückseite ist zu lesen: "La Macchina del Tempo", die Maschine der Geschwindigkeit. Die Karte ist rot, so wie vieles hier. Die meisten der ausgestellten Autos sowieso. Aber auch der lange Baldachin, der die Besucher vom Parkplatz ins Museum führt. Danach mäandert das rote Band als zentrales Designelement ins nüchterne Sechzigerjahre-Gebäude, weitet sich dann zu einem voluminösen Tubus, in dem eine Rolltreppe bis in den ersten Stock hinaufreicht.

69 Alfa-Modelle auf 4800 Quadratmetern

Und hier beginnt dann auch die Ausstellung. Auf sechs Ebenen und insgesamt 4800 Quadratmetern sind seit dem 30. Juni 69 Alfa-Modelle von insgesamt 250 Autos der Sammlung zu sehen, geordnet und arrangiert in drei Themenbereichen, die sich Timeline, Bellezza (Schönheit) und Velocita (Geschwindigkeit) nennen.

Timeline, im ersten Stock, umfasst 19 Autos, angefangen vom blauschwarzen A.L.F.A 24 von 1910, dem Begründer der legendären Marke, über den blutroten 15 HP Corsa von 1911, seinerzeit immerhin schon 95 km/h schnell. Auch die frühen Klassiker wie der 8C 2300 Corto Mille Miglia stehen hier oder die Augenweide in strahlendem Weiß, der 6C 1750 Gran Sport von 1931. Oder der heute eher bieder wirkende 1900, der 1950 den Einstieg ins Massengeschäft bedeutete und damit die Abkehr von der Exklusivität der Vorkriegszeit.

Die Mutter aller Sportlimousinen

Alfa Romeo Museo Storico in Arese

Das neue Alfa-Romeo-Museum beschäftigt sich natürlich auch mit den Anfängen der Marke um 1910.

(Foto: Sebastian Hofmann)

Noch erfolgreicher waren die Nachfolger Giulietta (1955 bis 1964) und natürlich die Giulia (1962 bis 1978), Mutter aller Sportlimousinen, von der insgesamt fast 573 000 Stück verkauft wurden. Gegen Ende der kleinen Zeitreise hat der vom heutigen Volkswagen-Designchef Walter de'Silva gezeichnete 156 seinen Platz, der 1997 zumindest formal den Neubeginn einleitete. Mit gut 680 000 verkauften Exemplaren wurde auch er zum Erfolg.

Eines der schönsten Stücke der Sammlung findet man aber im Bereich "Italienische Schule", dort wo sich die nach dem Leichtbauprinzip (Superleggera) konstruierten Karosserien von Touring aus den 1930er- und 1940er-Jahren versammeln. Den in Lichtblau gehaltenen 8C 2900 B Lungo bezeichnen die Ausstellungsmacher als den ultimativen Alfa Romeo.

Alfa Romeo und die Autorennen

Natürlich können die Besucher zu jedem Exponat entsprechende Erklärungen lesen, allerdings nicht allzu detailliert - ein Prinzip des Museo Storico. "Wir wollen dem schnellen Besucher die Marke vor allem emotional näherbringen", erklärt Lorenzo Ardizio, stahlgraue Augen, durchdringender Blick. "Wer es dann genauer wissen will, für den gibt es eine App, den umfangreichen Katalog oder gleich das Archiv." Trotzdem wünschte man sich da und dort mehr Tiefe.

Besonders schmerzlich wird das im Erdgeschoss, wo es um Bellezza, die Schönheit, geht. Die Ausstellungsstücke: acht Designbeispiele aus unterschiedlichen Epochen unter dem Titel "Traumwagen" - unter anderem ein A.L.F.A. 40/60 HP Aerodinamica, eine flugzeugähnliche, aus Aluminium gefertigte Zigarre von 1913, die an den Tropfenwagen von Rumpler aus Berlin erinnert. Oder der 1900 C52 Disco Volante, betörend anzuschauen, mehr als 220 km/h schnell und einer fliegenden Untertasse in der Tat nicht unähnlich.

Einige Fragwürdigkeiten

Die Reihe der Schönheiten ließe sich fortsetzen bis hin zu diversen Design-Studien wie den keilförmigen Carabo von 1968 mit einer Karosse von Bertone, dessen Design später bei Lamborghini aufzuflammen schien. Trotzdem vermisst man da und dort tiefere Einblicke in den Zauber des formgebenden Handwerks in seiner Zeit. Und auch so manches Modell ist nicht ausgestellt, wie die 1750 Berlina, einst Nachfolger der Giulia-Limousine, oder das GTV-Coupé vom Anfang der Achtzigerjahre. Dass man über Flops wie den kompakten Arna, ein Kind der vorübergehenden Allianz mit dem japanischen Nissan-Konzern in den Achtzigern gerne hinweggehen möchte, ist zwar verständlich, aber markenhistorisch fragwürdig.

So oder so: Im Untergeschoss wartet die Abteilung mit dem klangvollen Namen Velocitá, Höhepunkt für Alfa-Fans im Museo Storico. Schließlich sind und waren Rennen viele Jahrzehnte lang die Glut, in der die Marke zur Legende härtete. Hier trifft man sie wieder, die Grand-Prix-Wagen der späten 1920er-, frühen 1930er-Jahre wie den Grand Prix Tipo P2 oder den 6C 1500 Super Sport von 1928 mit dem ersten von Vittorio Janos legendären Reihen-Sechszylindern, wir sehen die Gran Premio Tipo A und Tipo B oder die Weltmeister-Alfettas 158 und 159. Es waren Jahrzehnte, wie sie nur die Italiener liefern, Triumph und Tragödie in wildem Wechsel, später die 60er-Jahre mit den Rudeln der GTA, noch später die Tipo 33 in der Sportwagenweltmeisterschaft und die Formel-1-Wagen natürlich, bis zum endgültigen Ausstieg der Marke 1985.

Was dem Mutterkonzern das neue alte Museo wert war, darüber schweigt Ardizio eisern und ob das Ganze am Ende so aussehen soll, wie bei Mercedes, BMW oder Audi, wo sich hoch professionalisierte Geschäftsbereiche sich schon seit langem um die Pflege der Tradition kümmern. "Jetzt haben wir erst mal das Museum fertig, dann sieht man weiter." Und Miene des Kurators lässt ahnen, dass schon das ein ziemlicher Kraftakt war. Gelungen ist er jedenfalls.

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