Automobile Legenden: Jaguar:Der englische Patient

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Man muss kein Katzenliebhaber sein, um zu spüren, dass trotz aller Gerüchte die sieben Leben der Nobelmarke unmöglich schon alle verwirkt sein können. Fragen bleiben trotzdem.

Georg Kacher

Anfang Januar, in Detroit, ließ Jaguar die Katze aus dem Sack. Mit der Studie des C-XF im neuen S-Type-Look zeigten die Engländer nach der geglückten Premiere des XK-Sportwagens eine weitere vielversprechende Neuheit.

1960: Prototyp E-Type E2A (Foto: N/A)

Und man muss kein Katzenliebhaber sein, um zu spüren, dass trotz aller Gerüchte die sieben Leben der Nobelmarke unmöglich schon alle verwirkt sein können. Fragen bleiben trotzdem - zum Beispiel, ob Ford bereit ist, noch mehr Geld und Geduld in seinen kriselnden Luxuswagen-Ableger zu investieren, oder ob die Kreativität der Strategen gegen das Minimalismus-Denken der Kostenrechner noch eine Chance hat; ob die Kunden nach dem jahrzehntelangen Zickzackkurs in diese nonchalant-kryptische Interpretation einer automobilen Legende noch Vertrauen haben; und ob die Herren um Konzernchef Alan Mulally begriffen haben, wie sich Jaguar aufstellen muss, um am Ende mehr zu können als am Tropf hängend den Insolvenzverwalter zu empfangen.

Wolfgang Reitzle hatte Großes vor mit Jaguar, Volvo, Land Rover und Aston Martin. Vor allem Jaguar sollte zur veritablen Alternative des deutschen PS-Establishments heranreifen.

Holz und Leder sind keine Verkaufsargumente mehr

Geplant war, die Produktion auf 200.000 Autos zu verdoppeln, einen kleinen Sportwagen auf die Räder zu stellen und mit schicken Coupés und Kombis auch in der Nische auf Kundenfang zu gehen. Soweit die Theorie. In der Praxis strauchelte freilich schon der X-Type, der als Stückzahlmacher ins Rennen geschickt worden war.

Allerdings sind Holz und Leder allein keine Verkaufsargumente mehr, konservatives Design lässt die meisten jungen Kunden kalt, ohne Diesel geht in Europa nichts; und Qualität ist kein Langfristziel, sondern Selbstverständlichkeit. So klaffte zwischen Anspruch und Wirklichkeit bald ein Milliardenloch, das Sportwagenprojekt und die meisten Varianten wurden im Notbremsungen gestoppt, und Jaguar verkümmerte zum zahnlosen Stubentiger.

Ford hat mehrfach versucht, Aston-Martin-Chef Ulrich Bez von der Idee zu begeistern, auch für Jaguar die Verantwortung zu übernehmen, doch der Deutsche lehnte ab - vermutlich in weiser Voraussicht. In nur fünf Jahren, von 1999 bis 2004, verbrauchte die Marke sechs Geschäftsführer, ehe die Finanzexpertin Bibiana Boerio das Unternehmen auf einen halbwegs tragfähigen Boden zurückführte.

1935-36: SS Airline Sedan (Foto: N/A)

Leider präsentiert sich die neue Wirklichkeit in ziemlich tristen Farben. 2006 ist der Absatz um nochmals 15 Prozent auf knapp 75000 Fahrzeuge zurückgegangen, für 2007 liegen selbst wohlwollende Schätzungen bei maximal 70000 Autos. Geld verdient wird eigentlich nur mit dem neuen XK, der vor allem in den USA gut ankommt. Der XJ rollt aufs Altenteil, der ungeliebte X-Type wird noch maximal zwei Jahre durchgefüttert, und der S-Type wartet nur darauf, 2008 vom XF abgelöst zu werden.

Das Schlimme an dieser Situation ist, dass sie sich in den letzten zehn Jahren kaum gebessert hat. Die Modellpolitik ist unflexibel und veraltet, die technischen Inhalte hinken der Konkurrenz hinterher, die Markenwerte sind so diffus wie der Herbstnebel über Coventry.

Keine unbegrenzte Halbwertszeit

Das Formel-1-Abenteuer hat viel gekostet und wenig gebracht, die Evolution der Branche ist am englischen Patienten fast spurlos vorübergegangen und die Integration in die Ford-Familie stand seit dem vom Mondeo abgeleiteten X-Type unter keinem guten Stern.

Drei Jahre hat es gedauert, bis der unermüdliche Chefstylist Ian Callum seinen Vorgesetzten endlich klarmachen konnte, dass englisches Auto-Design im Gegensatz zu englischen Landhausmöbeln keine unbegrenzte Halbwertszeit hat.

Nach drei erfolgreichen Showcars haben jetzt wohl auch die Herren in Dearborn die neue Formensprache verinnerlicht. Dafür gibt es die in den Sand gesetzten 15 Milliarden Dollar zwar nicht zurück, aber vielleicht Kredit für eine bessere Zukunft.

Trotz der positiven Resonanz auf den C-XF lebt die Marke immer noch von der Hand in den Mund. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, denn der nächste S-Type muss im Prinzip das Fahrwerk und den Antriebsstrang des Vorgängers übernehmen. Karosse und Interieur sind neu, aber es bleibt aus Kostengründen bis auf weiteres bei der viertürigen Limousine.

Coupé, Cabrio und Kombi sind mangels Masse nur frommer Wunsch. Der X-Type wird 2008 auslaufen und gegen Ende des Jahrzehnts durch einen Viersitzer nach Art der R-D6-Studie ersetzt. Der Nachfolger ist ein vielseitiges Luxusauto auch für die Stadt, kompakt und mit intelligentem Türkonzept, cool anzuschauen und vor allem innen ein mutiger Bruch mit der verstaubten Chippendale-Optik. Die nächste XJ-Generation ist im Prinzip fertig, wurde aber mangels Money & Manpower zurückgestellt.

Elan, Dynamik und Eleganz

Es bleibt beim Alu-Karosseriekonzept und beim aufwendigen Sport-und-Komfort-Fahrwerk, doch der Design-Ansatz ist völlig neu. Die kurze Limousine soll 2009 als betont sportlicher Jaguar kommen und auch mit einem 500 PS starken Fünf-Liter-Kompressor-V8 zu haben sein; die Langversion debütiert wohl als viertüriges Daimler-Coupé, das viel Eleganz und Dynamik ausstrahlt.

Mehr Elan wird demnächst auch der XKR vermitteln, von dem es eine leistungsgesteigerte Leichtbauversion nach Art des Porsche 911 GT3 geben soll.

Damit sind wir dann bei den neuen Sportwagen, die für die Zukunft von Jaguar von entscheidender Bedeutung sind. Weil Ford sich relativ kurzfristig von Aston Martin trennen möchte, darf die Katze in diesem Revier bald wieder jagen - und zwar mit einem Evolutionsmodell des XK, mit einem neuen Hochleistungscoupé und mit einem erschwinglichen Roadster, dessen vorne längs eingebauter Reihensechszylinder als Grundmotor von Volvo zugeliefert werden dürfte.

Englische Alu-Kernkompetenz

Dieses Sportwagen-Trio unterstreicht die Bedeutung, die man in England der Alu-Bauweise einräumt. Ausgehend vom XK als Basis kann eine modulare Konstruktion nach dem Vorbild von Boxster und 911 angeblich das gesamte Spektrum vom 250 PS starken Einsteiger bis zum 600PS starken Überflieger abdecken. Mit Hilfe dieser Dreifaltigkeit müsste es Jaguar gelingen, traditionelle Positionen wie Status und Stil durch betont emotionale Werte wie Sportlichkeit oder Leidenschaft zu ergänzen.

Dabei geht es bewusst nicht um Vordergründiges wie Chrom oder breite Reifen, sondern um Intelligentes wie Leichtbau und überragende Fahreigenschaften. Die Alu-Kernkompetenz verspricht auch in Kooperation mit Land Rover interessante Synergieeffekte. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Jaguar als einzige Premiummarke immer noch kein Crossover-Modell im Programm hat. Aber das kann sich relativ rasch ändern, denn von dem als Alu-Auto angedachten Nachfolger des Range Rover Sport ließe sich problemlos eine leichte, komplett neu eingekleidete Jaguar-Variante ableiten.

Sobald diese Pläne greifen, brauchen wir uns um Jaguar hoffentlich keine Sorgen mehr zu machen. Doch bis es so weit ist, muss Alan Mulally alles auf die Goldwaage legen. O-Ton Dearborn vom 8. Januar: ,,Aktuell steht Jaguar nicht zur Disposition.''

© SZ vom 27.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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