Autolegenden:"Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd"

Vom Leukoplast-Bomber zum Volks-Wagen: Porträt eines vierrädrigen Wirtschaftswunders

Andreas Schätzl

Am beeindruckendsten war das Blech. Seine Qualität, seine Widerstandsfähigkeit. Optimal unter Beweis gestellt anlässlich eines wüsten Unwetters im Jahre 1970, das der erschreckten Menschheit handtellergroße Hagel-"Körner" bescherte, wunderschöne Naturgebilde, aber vehement.

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Der Ur-Lloyd LP 300 von 1950. Seine Karosserie bestand aus mit Kunstleder überzogenem Holz.

(Foto: Foto: Archiv)

Ein Mercedes "strich acht" litt sichtlich darunter: Dellen allenthalben. Besitzer Hans W., Metzgermeister, Gast- und Landwirt, war sauer. Umso mehr, weil es den viel belächelten Kleinen nicht erwischt hatte. Genauer gesagt: erwischt schon, aber nicht beschädigt.

Denn der Lloyd Alexander TS hatte standgehalten - das elfenbeinfarben lackierte Dach ebenso wie der dunkelblaue Rest der Karosserie - keine einzige Schramme.

Vater war stolz. Der Rest der Familie auch. Einmal mehr hatte das sehr überschaubare, aber unverwüstliche Wägelchen bewiesen, wie hoch seine Fertigungsqualität war. Nie hat es uns im Stich gelassen. Unbeirrbar, sommers wie winters lief es, ohne Murren, ohne Mucken.

Nie neben der Spur

Klar, auf der Autobahn war die ganz rechte Fahrspur Pflicht, mit 25 PS aus 600 ccm Hubraum, verteilt auf zwei Zylinder. Dennoch kamen wir vom Fleck - und sahen nicht allzuselten bedeutend größere Automobile noch mal rechts von uns - auf der Standspur, mit Panne oder Kollaps.

Uns ist das nur einmal passiert, wegen eines Reifenschadens, und auch nicht mit dem Alexander TS, sondern mit einem seiner beiden Vorgänger. An die kann ich mich nicht mehr so recht erinnern. An den TS sehr wohl, begleitete er uns doch bis in die frühen 70er hinein, um dann von einem 124er Fiat abgelöst zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Beeindruckend auch das Lloydsche Motorengeräusch: beim Anlassen fröhlich aufmunternd, um dann in ein unverwechselbares, fast stoisches Wimmern überzugehen, bevor der erste der vier (synchronisierten!) Vorwärtsgänge per Schaltstock an der Lenksäule eingelegt wurde. Der Sound eines luftgekühlten Viertakt-Zweizylinder-Benzin-Motors mit - alle Achtung! - oben liegender Nockenwelle (engl. Fachbezeichnung: ohc). Der gehörte zu dem Auto wie die per Rändel-Schraubrad mühsam, aber stufenlos zu verstellenden, durchaus bequemen Kunstleder-Vordersitze, das gepolsterte Armaturenbrett und die Falttaschen in den nach vorne öffnenden zwei Türen. Quell großer Begeisterung: das aufpreispflichtige Stahlschiebedach - im Kontrast zu den meisten Faltdächern, die damals en vogue waren, eine sehr solide Institution.

Eine Heizung gab es auch, die musste extra bezahlt werden, obwohl dem Vernehmen nach kein Alexander TS ohne sie ausgeliefert wurde; sie verbreitete einen leicht muffigen Geruch, der indes zumindest im Winter stets willkommen war: Es wurde dann bald behaglich warm.

"Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd"

"Mit Lloyd um die Welt"

Dieser und ähnliche Slogans sollten ein ums andere Mal die Vorzüge der Autos aus Bremen hervorheben: zuverlässig - wirtschaftlich - und dennoch leistungsfähig. Wir konnten dem nur zustimmen, aber da man in Bremen nicht auf unsere "User-Reklame" angewiesen sein wollte, schickten die Hersteller einen LP 600 (den Vorgänger der Alexander-Reihe) öffentlichkeitswirksam auf die Fahrt von der Hansestadt nach München: 834 vom ADAC überwachte Kilometer, die das Auto ohne jegliche Probleme in elf Stunden und 43 Minuten zurücklegte. Die Spritkosten betrugen dem Vernehmen nach 8,14 DM.

Der Leukoplastbomber

Die "Lloyd Maschinenfabrik" war 1949 in Bremen gegründet worden. Gründervater war Carl F. W. Borgward (1890 - 1963), der auch größere und ziemlich luxuriöse Autos unter seinem Namen baute - zum Beispiel die Borgward Isabella oder, 1949, den Borgward Hansa 1500.

1950 erblickte dann der Lloyd LP 300 das Licht der Nachkriegswelt. Seine Karosserie bestand aus mit Kunstleder überzogenem Holz, und kleinere Blessuren konnten einem hartnäckigen Gerücht zufolge mit Heftpflaster behandelt, i. e kaschiert, werden: Geburt des "Leukoplastbombers".

Der LP 300 wurde von April 1950 bis Ende 1952 gebaut, rund 18.000 Stück liefen von den Bändern im Bremer Werk. Die Produktpalette des 10-PS-Zweitakters (!) reichte vom normalen Pkw über einen Karren- und einen Lieferwagen bis hin zu einem recht schicken Coupé.

"Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd"

Statistik aus Bremen

Es folgten LP 400 (nein, nicht der gleich benannte erste Lamborghini Countach aus dem Jahr 1974), LP 600 und schließlich Alexander TS. Vom LP 600 wurden offenbar mehr als 170.000 Stück verkauft, vom LP 400 immerhin deutlich über 100.000.

Überhaupt war der LP 600 Standard das erfolgreichste Modell von Borgward, der 1961 Konkurs anmelden musste. Nicht ganz so "avanciert" wie der TS, aber auch um einiges preiswerter, kostete er in der Basisversion 3580 DM. Zu den Extras gehörten unter anderem ein synchronisiertes Viergang-Getriebe (machte Zwischengasgeben obsolet - damals nicht selbstverständlich) und Schiebedächer. Motorjournalisten lobten den LP 600 als den preisgünstigsten unter den Viersitzern in Deutschland.

Nachgerade sensationell war denn auch die Weltreise von Wolfgang Block: Der Bremer besuchte mit seinem eher standardmäßig bestückten LP 600 sozusagen alle wichtigen Länder der Erde und legte dabei 54.000 Kilometer zurück - ohne größere Aussetzer, wie kolportiert wird.

Block kam heil und glücklich wieder am Startort Bremen an - und strafte alle jene Lügen, die höhnisch skandierten: "Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd."

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