Autoklassiker (11): Mercedes 220 Ponton:Die erste E-Klasse

Die neue Mercedes E-Klasse steht in den Startlöchern. Ihre Geschichte begann aber bereits Mitte der 50er Jahre - mit dem Ponton-Benz.

Stefan Grundhoff

Die E-Klasse ist seit je her das Kernmodell und neben der übermächtigen S-Klasse das Aushängeschild der Marke Mercedes-Benz. Bei der Vorstellung der nun auslaufenden E-Klasse versprachen die MB-Verantwortlichen vollmundig "die neue Mercedes E-Klasse kann alles, was wir auch können." Unwahrscheinlich, dass die Strategen bei der Vorstellung der ersten Mercedes-Mittelklasse-Limousine im Jahre 1954 ähnliche Werbesprüche von sich gegeben haben. Doch das, was die E-Klasse über Jahrzehnte auszeichnete, hat ihren Ursprung im Ponton-Mercedes. Als die Bundesrepublik langsam wieder auf die Beine kam und das Wirtschaftswunder zu einem eben solchen wurde, verlangte Deutschland nach einer großzügigen Mittelklasselimousine.

Autoklassiker (11): Mercedes 220 Ponton: Das voluminöse Dach war es, das dem 220er die Bezeichnung "Ponton" (Schwimmkörper) einbrachte - es hatte eine Menge Platz.

Das voluminöse Dach war es, das dem 220er die Bezeichnung "Ponton" (Schwimmkörper) einbrachte - es hatte eine Menge Platz.

(Foto: Foto: Mercedes-Benz)

Nie zuvor war ein Mercedes so aufwendig entwickelt worden

Man war schließlich wieder wer und gerade die finanziell bessergestellten Menschen suchten einen geeigneten fahrbaren Untersatz - ohne den angestaubten Arbeitercharme, den Marken wie Opel, Ford oder NSU durchweg verströmten. Wer etwas war, der fuhr in der Nachkriegszeit einen Mercedes - und ab 1954 gerne den 220er. Die viertürige Limousine der Baureihe W 180 war zwar alles andere als luxuriös, aber für die meisten im langsam wieder auf die Beine kommenden Deutschland schlicht unerreichbar.

Die hausbackene Werbung zeigte auf großen Plakaten einen elegant gekleideten Vater mit chicen Hut am Ponton-Steuer. Rechts daneben die nicht weniger gut betuchte Ehefrau und im Fond der strahlende Nachwuchs. Der 2,2 Liter große Sechszylinder des Topmodells leistete seinerzeit mehr als beachtliche 63 kW / 85 PS und ein maximales Drehmoment von 160 Nm - nach heutigen Maßstäben für eine Limousine der oberen Mittelklasse mit einer Länge von 4,71 Metern kaum ausreichend. Damals aber fantasierte der Verkaufsprospekt von der Wendigkeit eines Sportwagens.

Erstmals in der deutschen Automobilgeschichte war ein Volumenmodell auch derart aufwendig entwickelt worden. Die bis dato mit Mercedes untrennbar verbundene Eleganz war dagegen nicht die Sache des ersten E-Klasse-Vorläufers. Die bogenförmige Dachkonstruktion wirkte alles andere als filigran und auch die in die Karosserie eingelassenen Kotflügel nahmen dem Mittelklassemodell jene unvergleichliche Linienführung, mit der Mercedes bis dato auf Kundenfang ging.

Die erste E-Klasse

Das voluminöse Dach war es auch, das dem 220er die Bezeichnung "Ponton" (Schwimmkörper) einbrachte. Es sorgte zusammen mit dem 2,82 Meter langen Radstand im Innenraum für luxuriöse Platzverhältnisse. Der 220 war zudem der erste Benz mit selbsttragender Karosserie.

Im Vergleich zu vielen anderen Fahrzeugen aus dieser Zeit gab es jedoch nicht nur üppige Platzverhältnisse für fünf oder sechs Personen inklusiv Gepäck, eine ordentliche Belüftung und Heizung sowie ein aufgeräumtes Holz-Armaturenbrett mit Bedienelementen für Scheibenwischer, Heizung, Licht, Starter und Uhr. Auch der Innenraum des Ponton setzte in seiner Zeit Maßstäbe: Armlehnen, Kartentaschen, Innenleuchten, Sonnenblenden, Haltestangen und Kleiderhaken - so etwas gab es sonst nur in amerikanischen Luxuslimousinen. Luxus in der Mittelklasse also - damit klopfte die erste E-Klasse seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an die Tür zur Luxusliga und der allgegenwärtigen S-Klasse.

Die heute üblichen Lenkstockhebel für Scheibenwischer oder Blinker sucht man beim Erstkontakt vergebens. Der Scheibenwischer wird über einen Zugschalter vor der Windschutzscheibe bedient; der Blinker befindet sich wie bei vielen Autos der fünziger Jahre im Lenkradkranz.

Nachdem zunächst der 180er vorgestellt worden war, folgte 1956 der 190er, der trotz nur geringfügiger Modifikationen leicht oberhalb vom W 180 angesiedelt worden war. Wichtiger waren die Unterschiede hinter dem opulenten Kühlergrill. Musste sich der 180er noch bis 1957 mit einem recht schmächtigen 52-PS-Triebwerk (der Vorkriegsmotor des 170er) begnügen, so wurde der 190er von einem 55 kW / 75 PS starken Sechszylinder angetrieben, der Geschwindigkeiten bis 140 km/h ermöglichte. Der 220er legte als Topversion nochmals zehn PS drauf und schaffte rund 150 km/h Spitze. In den fünfziger und sechziger Jahren galt der Ponton als Maßstab in Sachen Fahrverhalten, Technik und Qualität. Gerade deshalb erfreute sich der bauchige Benz bei Taxlern zwischen Berlin und Stuttgart über Jahrzehnte einer großen Beliebtheit.

Die erste E-Klasse

Schließlich gab es ihn auch noch mit einem nahezu unverwüstlichen Dieselmotor. Ein Automatikgetriebe hielt jedoch erst bei dem größeren Bruder der Baureihe W 186 / W 189, besser bekannt aus Adenauer-Benz, Einzug. Dass ein 180er trotz seiner Nehmerqualitäten auch sportlich konnte, zeigte seine Plattform, auf der unter anderem dann auch der legendäre Sportroadster 190 SL aufbaute.

Wer noch heute am Steuer eines Mercedes 220er aus den späten fünfziger Jahren sitzt, wird den technischen Fortschritt deutlich spüren. Das Fahrverhalten ist ungewohnt souverän und die Langstreckenqualitäten durch den erstmals eingeführten Fahrschemel, in dem Motor, Getriebe, Lenkung und Vorderachse untergebracht sind, nach damaligen Maßstäben unübertroffen. Und nicht nur Taxifahrer freuten sich über die üppigen Platzverhältnisse, die große Kopffreiheit und den großzügigen Kofferraum: Wer die schwergängige und nicht servounterstützte Lenkung voll einschlägt, dreht den 220 auf elf Metern.

Im heutigen Straßenverkehr sieht man den Ponton nur noch überaus selten. Der Zahn der Zeit ging an den meisten Modellen nicht spurlos vorüber. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt gibt es es jedoch nach wie vor ein nennenswertes Angebot. Fahrzeuge im Originalzustand sind Mangelware; doch wer sich mit einem ordentlich restaurierten Modell im Zustand zwei bis drei arrangieren kann, findet zwischen 9000 und 18000 Euro einen durchweg alltagstauglichen Traumwagen, den "großen Ponton-Mercedes" - vielleicht sogar mit Ledersitzen und großem Rolldach.

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