Autojahr 2005:Modelle, Macher und Moneten

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Warum die neuen Volks-Wagen aus Korea kommen, Porsche-Chef Wiedeking der ungekrönte König der Autobranche ist und die Luxusklasse keine Perspektive hat: Ein sehr persönlicher und keinesfalls vollständiger Rückblick in zehn Kapiteln.

Georg Kacher

Der Gesetzgeber auf Schleuderkurs: Feinstaub, EU5, Gas-Subvention, Bio-Diesel. Armes, reiches Deutschland. Wir haben die besten Ingenieure der Welt - und die schlechteste Planungssicherheit.

(Foto: N/A)

Die Politik fordert die Erfüllung von Normen, die im Detail noch gar nicht feststehen - siehe EU5. Die Hersteller reagieren erst, wenn es gar nicht mehr anders geht - siehe Partikelfilter. Die Kommunen kochen ihr eigenes Süppchen - siehe die unkoordinierten Aktionen zum Thema Flüssiggas-Steuernachlass.

Fragwürdiges Minimalprogramm

Die Energieversorger fahren ein fragwürdiges Minimalprogramm - siehe Biodiesel, Gas und Wasserstoff. Die Industrie stellt sich selbst ein Bein - erst das Nein zum Hybrid, dann das Vielleicht zum Mild-Hybrid, auf der IAA schließlich wie Kai aus der Kiste das kollektive Ja zum Voll-Hybrid. Zu kaufen 2008, frühestens.

Auch die nächsten Zündschnüre glimmen bereits: Harnstoffeinspritzung, Synfuel und Sunfuel, CCS Verbrennungskonzept mit Elementen von Diesel und Otto. Die Rechnung zahlt wie immer der Kunde, das spät und schlecht informierte Versuchskaninchen.

Habemus Crossover: die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte von der eierlegenden Wollmilchsau. Die Amerikaner nennen sie segment busters - Autos, die Kategorien sprengen, die mehr sein wollen als nur Kombi, Van oder Limousine. Autos wie B-Klasse, R-Klasse, CLS-Klasse.

Für die Hersteller sind Crossover ein Risiko, denn die Stückzahlen sind relativ klein, die Kannibalisierung ist relativ hoch und die Kosten sind vor allem deshalb ein Thema, weil jedes Modell in der ausufernden Palette eines Tages einen Nachfolger braucht.

Riesenschritt nach vorne

Doch für das Publikum ist der Crossover ein Riesenschritt, denn es gibt fast nichts mehr, das es nicht gibt. Zum Beispiel den Shooting Brake (von Audi) als Cocktail aus Coupé und Kombi, den Soft Roader als pragmatische und schicke Alternative zum Sports Utility Vehicle (SUV), das faltbare Hardtop als Personalunion aus Cabrio und Coupé.

Den ersten Schritt zum Crossover machten Hochdachkarosserien und der Allradantrieb, den nächsten Schritt machen neue Türkonzepte und alternative Aufbauten. Was noch fehlt? Vielleicht ein geländetauglicher Kleinbus-Roadster mit Mittelmotor und Radnabenantrieb ...

Die neuen Volks-Wagen kommen aus Korea: der Siegeszug von Kia, Hyundai und Chevrolet. Da gewinnt im Kleinwagen-Vergleichstest der Zeitschrift Auto Bild weder Polo noch Fiesta oder Corsa. Sondern der Kia Picanto. Nicht nur, weil er wenig kostet. Sondern auch, weil er ein gutes Auto ist.

Die Zeiten, als made in Korea ein Synonym für motorisierte Grenzwertigkeit war, sind nämlich endgültig vorbei. Was jetzt bei Kia, Hyundai und GM-DAT vom Band läuft, sind solide Transportmittel, für die man sich als Konsument nicht mehr entschuldigen muss. Im Gegenteil: Das Design stimmt, die Verarbeitung ebenso, auch technisch sind die Mobile auf der Höhe der Zeit.

Clevere Alternative

Was Lexus einst bei der Markteinführung in Amerika gelang, wiederholen die Koreaner jetzt am anderen Ende der Preis-und-Prestige-Skala in Europa: Sie sind die clevere Alternative zum Establishment - und sie sind eine Gefahr für das Establishment. Opel lässt den Frontera-Nachfolger bei DAT-Daewoo fertigen, und auch der nächste Zafira soll aus Korea importiert werden - vielleicht ist Troja doch ein Vorort von Seoul?

Gewinner und Verlierer: Abstürze und Höhenflüge auf der Manager-Achterbahn. Wendelin Wiedeking heißt der ungekrönte König der Autobranche. Er hat Porsche zum erfolgreichsten Hersteller gemacht und er hat mit dem Einstieg bei VW einen Coup gelandet, über den wir 2006 noch viel reden werden. Doch selbst WW wäre nur ein Schatten seiner selbst ohne die strategischen Schachzüge eines Ferdinand Piëch, der vor und hinter den Kulissen die Strippen zieht.

(Foto: N/A)

Schulter an Schulter mit dem Österreicher hat Martin Winterkorn aus Audi eine Marke gemacht, die inzwischen sogar BMW und Mercedes überholen kann. Dieter Zetsche schlug den beleidigten Eckard Cordes aus dem Feld und beerbte Jürgen Schrempp, doch die eigentliche Bewährungsprobe steht dem extrovertierten Chrysler-Sanierer noch bevor.

Licht und Schatten

Lewis Booth (Ford) überraschte durch einen sauberen Ergebnis-Turnaround und durch einen viel versprechenden Deal mit Fiat, Carl-Peter Forster (GM) durch die Sanierung von Opel und durch eine endlich realistische Europa-Strategie. Auf der Schattenseite standen dagegen: die Nicht-Italiener bei Fiat (Demel und Kalbfell), die fehlgetretenen VW-Manager (Hartz und Volkert) sowie die Bankrotteure von Rover (Towers, Edwards und Stephenson).

Wir sind doch nicht blöd: billige, ganz billige, noch billigere Autos. 2005 war das Jahr des Wühltisches. Verramscht wurde alles - mit Ausnahme des Toyota Prius und des Ferrari F430. Zehn Prozent Nachlass für einen Neuwagen sind längst die Regel, 15 Prozent guter Durchschnitt, 20 Prozent durchaus möglich, 30und mehr Prozent nicht nur bei Auslaufmodellen verhandelbar. Erstmals sind auch die Premiummarken betroffen. Audi A8, 7er und S-Klasse gehen zu Media Markt-Tarifen über den Ladetisch - wenn nicht in Bar, dann eben per subventioniertem Leasingvertrag.

Werteverfall durch überzogene Großkundenrabatte

Bei den Kleinwagen halten sich dagegen die Zugeständnisse in relativ engen Grenzen: Wer auf einen Dacia Logan fünf Prozent Nachlass erhält, küsst dem Verkäufer die Füße. Weil gleichzeitig die Gebrauchtwagenpreise in den Keller fallen, spielen Farbe und Ausstattung eine immer größere Rolle - ein weißer Diesel-Grundvogel ohne Partikelfilter gilt als klassischer Nesthocker.

Die Hersteller sind für den Werteverfall durch überzogene Großkundenrabatte teilweise selbst verantwortlich. Wenn die jungen Gebrauchten nach sechs Monaten zu aggressiven Konditionen in den Markt gedrückt werden, sind die Neuwagen-Preislisten nur noch Makulatur.

Toyota über alles: im eingeschworenen Kollektiv an die Weltspitze. Wenn Toyota laut darüber nachdenkt, ob man nicht doch früher als erwartet zum Weltmarktführer avancieren könnte, bricht Stunden später die GM-Aktie ein. Keine Frage: Die Japaner diktieren das Tempo dieser Branche wie kein anderer Hersteller.

Musterschüler aus Fernost

Vor allem in punkto Kosten und Qualität hat der Musterschüler aus Fernost einen deutlichen Vorsprung herausgearbeitet. Mit der Erfahrung wuchs auch der Anspruch - statt fader Von-A-nach-B-Autos baut Toyota inzwischen durchaus anspruchsvolle Fahrzeuge.

Die Premium-Marke Lexus will 2006 den Absatz auf 600.000 Einheiten steigern, die Systemführerschaft bei der Hybridtechnik wird sich im nächsten Jahr in einem weiteren Zuwachs auf 400.000 Stück manifestieren, für 2010 haben die Herren aus Toyota City die erste serienreife Brennstoffzelle in Aussicht gestellt und in Amerika knackt die speziell für junge Kunden kreierte Kunstmarke Scion bereits im zweiten Jahr die 150000er-Schwelle. Obwohl sich Toyota in Japan mit Kleinstserien und Mini-Marken zu verzetteln droht, lässt allein der Cash-Flow alle Kritiker verstummen: 20 Milliarden Euro auf der hohen Kante sind ein ziemlich gutes Argument.

Die Deutschland AG auf der Sonnenseite: Audi, BMW und Porsche. Audi macht fast alles richtig. Die Ingolstädter haben derzeit die spannendste Produktpalette, die beste Qualität, die ambitionierteste Technik, das ausbaufähigste Image und geniale Ideen - siehe den R10 Le-Mans-Rennwagen mit einem V12 TDI.

Wegweisende Technik

BMW macht vieles richtig und vieles falsch, aber die weiß-blaue Marke ist offensichtlich unkaputtbar. Nicht einmal das konsequent unterdurchschnittliche Design (zuletzt dokumentiert am Einser und Dreier) vergrault die Kundschaft, denn die Technik setzt immer wieder Maßstäbe, die Produktion hat die Kosten weitgehend im Griff und im Vorstand überwiegen nüchterne Betriebswirtschaftler.

Auch Porsche scheint immun gegen masochistische Selbstzerstörung - wie sonst könnte das Unternehmen den aus der Art geschlagenen Cayenne, das Fehlen einer schlüssigen Sportwagen-Strategie für die Zeit nach 911 und Boxster und das Harakiri-Marketing (Cayman Coupé deutlich teurer als Roadster) offenbar unbeschädigt wegstecken?

Die Deutschland AG auf der Schattenseite: VW, Mercedes, Smart und Seat. Nach Jahren des Nicht-Entscheidens geht es bei VW jetzt Schlag auf Schlag, wobei sich die Marke schwer tut, im Schatten von Phaeton, Touareg und W8 auch beim Backen kleinerer Brötchen auf ihre Kosten zu kommen. Doch erst wenn zwischen Fox und Passat die Welt wieder in Ordnung ist, darf über neue Frivolitäten nachgedacht werden - und dann hätten wir lieber einen Yeti made in Wolfsburg als eine weitere Oberklasse-Totgeburt.

Schwierige Aufgabe

Auch Mercedes muss sich stärker auf seine Kernkompetenz besinnen: Sicherheit, Qualität, Werthaltigkeit, Ausstrahlung sind für die Schwaben mehr als die halbe Miete. Bei den Heckantriebautos kann diese Aufgabe in Eigenregie gestemmt werden, bei den Fronttrieblern funktioniert das unter Umständen besser gemeinsam mit Chrysler/Dodge/ Smart - und VW.

Schließlich muss auch Europas Nummer eins umdenken: Es geht nicht an, dass VW von Škoda rechts überholt wird, während Seat stetig zurückfällt. Doch wer definiert die Markenwerte, wer koordiniert die Verteilung der technischen Inhalte, wer hat die Vision für das Große Ganze?

Flaute in der Nische: Supersportwagen mit Zündaussetzern, Luxusklasse ohne Perspektive. Die Schmerzgrenze liegt irgendwo zwischen 175.000 und 200.000 Euro. Selbst die Superreichen geben nur in Ausnahmefällen - Beispiel Ferrari Enzo - mehr Geld für ein Auto aus. Entsprechend ernüchternd sind die Absatzzahlen: weniger als 50 verkaufte Bugatti Veyron, vorzeitiges Produktionsende für den Porsche Carrera GT, Mega-Flop Mercedes McLaren SLR, Rabatt auf Ferrari 575 Superamerica trotz limitierter Sonderserie - die Liste lässt sich problemlos verlängern.

Überteuerte Spielzeuge sind out, alltagstaugliche Überflieger sind in - siehe Bentley Continental GT, Mercedes SL 55 AMG, BMW M6, 911 turbo, Corvette Z06. In einem ähnlichen Dilemma befindet sich die erste Liga der Limousinen. Rolls-Royce? Jahresproduktion rund 700 Stück. Maybach? Weniger als 250 Autos. Bentley Arnage? Dasselbe Bild.

Probleme mit der Luxusklasse

Was lehrt uns das? Dass ostentativer Luxus sich im automobilen Bereich immer schlechter verkauft. Sicher: Kein Mensch dreht sich heute nach einem langen Mercedes S600 um, doch die absolute Oberklasse im XXL-Glitzer-und-Geld-Look verkauft sich nur noch in Asien, Moskau und in Teilen Amerikas.

Ghosttown Motown: der unaufhaltsame Niedergang der Großen Drei. Zugegeben - Chrysler ist ein Präzedenzfall mit ungewissem Ausgang. Erst Ende 2006, wenn Dodge sich neu aufgestellt hat, Chrysler sein Pkw-Angebot renoviert hat und der nächste Jeep Wrangler auf dem Markt ist, sehen wir klarer. Aktuell stehen die Zeichen jedenfalls auf Sturm: zu viel Inventar, zu hohe Rabatte, zu durchwachsen die Qualität der Palette. Doch im Vergleich zu Ford und General Motors (GM) geht es Chrysler Gold.

Zu wenige Volltreffer

Vor allem der Marktführer kämpft an allen Fronten - mit den Gewerkschaften, mit der Pensionskasse, mit unzufriedenen Händlern. Dem GM-Chef Wagoner entgleiten die fundamentalsten Koordinaten, dem als Produktguru hochgelobten Bob Lutz gelingen zu wenige Volltreffer. Abgesehen von einigen Ausnahmen (Cadillac, Corvette, Solstice, HHR) begnügt sich die Firma mit Mittelmäßigkeit bei Design, Technik und Verarbeitung.

Weil man in Detroit wichtige Entwicklungen (neue SUV/MPV/Heckantriebskonzepte, alternative Antriebe) schlichtweg verschlafen hat, wird GM jetzt von drei Seiten durch die Koreaner, Japaner und Europäer in die Zange genommen. Ähnlich hart hat es Ford getroffen, wo die Nobelmarken Mercury, Lincoln und Jaguar rote Zahlen schreiben. Mit Fusion, Mustang und den Trucks der F-Reihe hat die Marke in den USA gerade mal drei Erfolgsmodelle - viel zu wenig, um das Geld für die dringend notwendigen Investitionen zu verdienen.

Die Konsequenz für Ford und GM heißt Werkschließungen, Massenentlassungen und Börsenkurse auf Talfahrt.

© SZ vom 31.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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