Autodesign:Das rechte Maß verloren

Jurassic Cars und keine Zukunft: eine ganz persönliche Abrechnung mit dem zeitgenössischen Auto-Design.

Paolo Tumminelli

Der Autor ist Direktor des Goodbrands Institute for Automotive Culture und Professor am Designinstitut der Fachhochschule Köln.

Autodesign: Wandel durch Abwendung: War der Fiat Panda einst noch dem Menschen auf den Leib geschnitten, entfernt sich das zeitgenössische Autodesign zunehmend vom humanen Maß. Früher fühlte man  Schönheit, heute fühlt man nichts mehr.

Wandel durch Abwendung: War der Fiat Panda einst noch dem Menschen auf den Leib geschnitten, entfernt sich das zeitgenössische Autodesign zunehmend vom humanen Maß. Früher fühlte man Schönheit, heute fühlt man nichts mehr.

(Foto: Foto: oh)

Gut zwanzig Minuten lang habe ich heute morgen mein Auto gesucht. In der Allee, wo noch vierspurig geparkt werden darf - ein Paradies für Bewohner - blühen die Kastanien, was die Erfassung des Ziels vom Fenster aus erschwert. Draußen, auf der Straße, versteckt sich mein Panda. Hinter einer Blechmauer aus A-B-C-Klassen begraben, Denkmäler deutschen Bürgertums.

Der italienische Kleinwagen ist eine Nummer zu klein, denn er ist die letzte Automobil-Tierart, die auf Menschenmaß geschneidert wurde. Es begann 1936 mit dem Topolino, einem Mäuschen, das ein starker Mann heben und in dem ein Paar Platz finden konnte. Dann kamen Käfer und Ente, die die ganze Familie anlächelten und dessen Blech man noch liebevoll streicheln mochte. Selbst den stürmischen Jaguar, gespannt und schlank und fit, liebte man sofort. Von mutigen Frauen wurde er zur Katze domestiziert. Nicht ohne Besorgnis verfolgte man den Straßenkampf zwischen Miura und Mustang, Cobra und Mangusta - respektive Bulle, Pferd, Schlange und Raubtier.

Wie früher Kuh, Esel, Kamel und Hund, betrachtete man Autos eine Zeit lang wie Haustiere. Des Menschen beste Freunde. Der Panda ist das letzte Automobil, das offiziell nach einem Tier genannt wurde, ein wahrhaftig liebenswürdiger Kumpel: drei Meter, vier Liter, fünf Menschen, sechs Fenster, siebenfach verstellbare Sitze. Alles in einer Blechkiste untergebracht. Der Panda, Weltsymbol des World Wildlife Fund. Ein genialer Name, denn auch dieser Art, Automobile zu machen, droht das Aussterben.

Kein Zweifel, Autos sind jetzt solider, bequemer, sicherer, leistungsfähiger, dazu verbrauchs- und emissionsarmer geworden. Der Preis dafür ist der Verlust der Unmittelbarkeit, Autos sind unnötig größer, schwerer, komplexer und unübersichtlicher geworden.

Wenn man Schönheit fühlt

Die Ästhetik des Automobils hat sich binnen eines Jahrzehnts grundlegend verändert. Wie der Automobildesigner in einem unbewussten Prozess der Abstraktion sich von seiner Schöpfung entfernt hat (er entwirft nicht mehr per Hand, sondern an der virtuellen Wand), so ist das Automobilprodukt weit weg von der Menschenmaßlehre gerutscht.

Seit Vitruv gilt sie als Grundlage der Baukunst. Spätestens mit der Verfilmung des "Da Vinci Codes" wurde Leonardos Zeichnung des Vitruvianischen Menschen weltbekannt. Dann kam Andrea Palladio und erklärte die Sinne, vor allem aber den Gesichtsinn für die Bildung des Intellekts verantwortlich. Das Auge misst, die Sinne erfahren, der Intellekt freut sich. Man fühlt Schönheit.

Der ästhetische Prozess gilt für Architekturen sowie für Menschen und Autos. Heidi Klum und George Clooney findet man sexy. Aber eine zwei Meter große Heidi oder ein 1,55-Meter Georgy-Corgy wären gewöhnungsbedürftig, obwohl ihre Figur sich dabei nicht änderte. Mathematisch keine 15 Prozent Unterschied. Und doch genug, um das Verhältnis zum menschlichen Auge, dem Maß aller Dinge, grundlegend zu verändern. Wenn das Auge - und somit der Intellekt - den Bezug zum Objekt der Begierde verliert, ist der Reiz weg. Nicht anders ist es mit Autos. Ein Auto steht zum Mensch wie der Mensch zum Auto. Mit Maus, Katze, Miura und Panda hat es wunderbar funktioniert. Man fühlte Schönheit. Heute fühlt man nichts mehr. Dafür gibt es Gründe.

Das Auto lief und lief und wuchs und wuchs, bis aus dem Haustier ein Dinosaurier wurde. Dabei spielt die Länge keine entscheidende Rolle, denn dem Auge steht die horizontale Dimension nicht sonderlich im Wege. Eine in die Horizontale geschwungene Karosserie spricht in der Regel sogar für bessere Aerodynamik. Was den Menschen auf der Straße bedrängt, ist der Zuwachs in der Vertikalen, die Inanspruchnahme von Raum, die verzerrten Proportionen, die aufgeblasene Stirnfläche.

Body-Mass-Index für Autos

Letztere ist etwas wie der frontale Abdruck der Karosserie. Er macht sich bemerkbar, wenn man einem Auto direkt ins Gesicht schaut - weswegen solche Bilder in der Werbung nicht mehr zu sehen sind, sondern nur von fliegenden Körpern in Photoshop-Look. Die Stirnfläche ist insofern relevant, weil sie den Luftwiderstand direkt negativ beeinflusst. Die Schönheit eines Ur-Panda kann man zwar nicht messen, dafür seine Stirnfläche: 1,7 m2. Im neuen Ford Fiesta sind es 2,08 m2 geworden, 22 Prozent mehr. So viel wie eine 2,15-Meter große Heidi.

Gäbe es einen Body-Mass-Index für Autos, so wären wir heute vom gesunden Schönheitsideal weit entfernt. Ein Panda wog 200 Kilo pro laufendem Meter, so wie früher ein Fiesta auch. Ein neuer Fiesta packt pro Meter 100 Kilo drauf. Mehr als damals ein Volvo Kombi. Und das ist ungesund: 50 Prozent BMI-Zuwachs bei lediglich elf Prozent mehr Länge. Von einem Kleinwagen darf nicht mehr die Rede sein.

Lediglich im Innenraum sind die zeitgenössischen Autos kleiner geworden, was ja keine Kunst ist. Die neue Mercedes C-Klasse hat die Außenabmessungen der kleinen Heckflosse von 1960 - gut, dass manches unverändert bleibt. Doch der Speck hat sich nach innen weit und breit gemacht.

Große Räder, viel Technik, dicke Polster und ein verjüngtes Dachgewölbe nehmen den Insassen mehr als die Hälfte der Luft weg. Man sitzt zwar bequem, doch es mangelt an Bewegungs- und Sichtfreiheit. Eine sinnvolle Erklärung dafür gibt es nicht, denn wir Menschen haben uns kaum verändert. Und unsere Sinne auch nicht.

Jurassic Cars haben keine Zukunft

Also suche ich heute morgen meinen Panda und muss mir den Weg durch die Dinos freimachen. Hier die dicken und doofen Brontosautos, mit schweren Pfoten, fettem Hintern und unterentwickeltem Kopf. Monströse Radkästen, über die sich das Blech wölbt, bevor es pyramidal in die Höhe wächst, um irgendwie ins Dächlein zu verschwinden. Traurig winken Hänsel und Gretel aus den abgedunkelten Fenstern in Maulwurfaugen-Format.

Das Image eines kleinköpfigen Brontosauriers vermitteln stolz CLS, CC, X6 und Cinquecento, so wie viele große und kleine Normalautos dieser Welt. Dort die dicken und bösen Tyrannosautos. Durchaus sportlich gibt sich der T-Rex, mit seinem strömungsgünstig gerichteten Körper, der muskulösen Hüfte, den markanten Spoiler-Schwanz. Richtig groß ist sein Dach-Gehirn auch nicht, dafür der grinsende Maul-Grill, in den eine Ampel, zwei Pandas, Hänsel, Gretel und ihre liebenswerte Mutter Platz finden könnten.

Überhaupt ist die Mode des imponierenden Frontgrills lächerlich. Ein Horror-B-Movie, der von Aston Martin, Audi, Miss Granturismo und einigen Komparsen gespielt wird. Wen auch immer diese Saurier zu beeindrucken versuchen, nur die Ruhe: Jedes Kind weiß, dass die Jurassic Cars keine Zukunft haben. Nur der Panda darf ruhig weiterleben.

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