Ausstellung Autopflege:Was sich liebt, das wäscht sich

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Noch verbringen viele Deutsche ihre Wochenenden an der Waschstraße. (Foto: lks)

Nur Musikinstrumente werden genauso liebevoll gepflegt wie Autos. Zumindest in Deutschland. Dieser Fetisch beschäftigt sogar Psychologen.

Von Rudolf Neumaier

Ersetzt man das Firmenlogo über dem Portal durch ein Kreuz, dann hält jeder dieses Gebäude für eine Kathedrale, und der Architekt bekommt einen Preis dafür. Allein mit seinen Ausmaßen braucht sich dieses Bauwerk in Stuttgart-Feuerbach hinter keinem Dom verstecken. Frank Brockhaus, der Geschäftsführer, spricht von einem Ritual, das hier Tag für Tag hundertfach öffentlich vollzogen wird. Dieses Ritual hat den Effekt, den jeder Seelsorger erzielen will: Die Leute ziehen froh von dannen. Sie haben ihr Auto gereinigt. Die Autowaschanlage ist eine Kultstätte. Und das Auto?

Die Dependance des Autowäsche-Unternehmens Mr. Wash an der Heilbronner Straße in Stuttgart gilt als größte Anlage ihrer Art in Europa. Sie hat eine Fläche von 25 000 Quadratmetern, das entspricht fast vier Fußballfeldern. Im vergangenen Jahr verzeichnete Frank Brockhaus 430 000 Autowäschen, die meisten mit 3600 an einem sonnigen Samstag im April. Als in einer Stunde 370 Kunden in der Warteschlange standen und die Polizei wegen des Staus auf der dreispurigen Zufahrtsstraße den Verkehr regeln musste, erlebten seine Leute, alles geschulte Kräfte, wie anstrengend Rekorde sind. Dreihundertsiebzig in der Stunde! Vierhundertdreißigtausend im Jahr! Dabei ist Brockhaus' Autoreinigungspalast keineswegs die einzige Waschanlage in Stuttgart, es gibt ein paar Dutzend. Aber der Slogan von Mr. Wash ist unschlagbar: "Sauberes Auto - gute Laune." Wenn es dem Auto gut geht, geht es dem Menschen gut. Ganz einfach.

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Je näher das Ende des Autos rückt, desto teurer sind die schönsten Exemplare. Zwar holen Porsche und Jaguar auf, aber das ganz große Geld verdienen Sportwagen aus Italien.

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Ein Wahrzeichen deutscher Identität

Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn zeigt eine Ausstellung über das Auto. Sie heißt "Geliebt, gebraucht, gehasst. Die Deutschen und ihre Autos", und die Kuratoren Thorsten Smidt und Ulrich Op de Hipt hatten die witzige Idee, die Besucher mit Waschanlagenwalzen zu empfangen. Die Zotteln sind schwarz-rot-golden. Zugrunde liegt dieser Geschichtsausstellung die Tatsache, dass "die neuere und die neueste deutsche Gesellschaft ohne das Auto undenkbar" wäre, wie der Historiker Hans-Peter Schwarz im Katalog schreibt. Seit drei Wochen läuft sie nun, und das Museum hat mit 20 000 Besuchern einen ähnlich irren Zustrom erlebt wie Waschanlagen an einem sonnigen Aprilsamstag. Ob sich die Mehrzahl dieser Leute wohl eher für Autos interessiert oder für Kultur- und Sozialgeschichte?

Seinen Aufsatztitel "Wahrzeichen deutscher Identität" hat Hans-Peter Schwarz mit einem Fragezeichen versehen. Selbstverständlich gibt es auch in anderen Ländern Menschen, die ihre Fahrzeuge pflegen und verehren. Doch allein dass die größte Waschanlage des Kontinents in Baden-Württemberg und nicht in London steht, kann man als starkes Indiz werten. Auch dass in deutschen Zeitschriftenkiosken ganze Regale mit Auto-Magazinen tapeziert sind, wo sich solche Hefte in Frankreich oder der Schweiz an einer Hand abzählen lassen. Dass die Bonner Zeithistoriker ein halbes Dutzend Geschichtsbücher aus den vergangenen fünf Jahrzehnten ausstellen, die sich mit der Bundesrepublik befassen und auf dem Buchcover ein und dasselbe Wahrzeichen präsentieren, sagt dann alles. Dieses Wahrzeichen ist, voilà, ein Auto. Meistens ein VW-Käfer. Derzeit sind in Deutschland 46 Millionen Autos angemeldet - bei 82 Millionen Einwohnern. Ein Wahrzeichen deutscher Identität? Was für eine Frage!

Symbiose aus Sex und Gefährt

Der Psychoanalytiker Micha Hilgers erkundet die Beziehung des Menschen zu dessen Fahrzeug seit Langem. Aus seiner Sicht ist das Auto für viele mehr als ein Kultobjekt. Es könne zum persönlichen Fetisch werden, der reales Leben in den Hintergrund drängt, hat er einmal geschrieben. Es bediene ebenso "den juvenilen Nervenkitzel wie das Potenzgehabe jener, die nicht mehr ganz locker im Lendenwirbelbereich sind". Auch in seinem Beitrag zum Katalog der Bonner Ausstellung weist er dem Auto eine interessante Symbolfunktion zu: als Identitätsprothese, Wohnzimmer und Potenzausweis. Wobei Hilgers den Autoputzfimmel längst auch in anderen Ländern ausgemacht hat. Für die Autowäsche hat er eine psychologische Erklärung. Sie lasse sich "interpretieren als harmlose Verschiebung des libidinösen Verhältnisses zum fahrbaren Untersatz, zum qua PS immer potenter werdenden Beritt, der sich eben dort, in der Körpermitte nämlich, spürbar bemerkbar macht mittels Motor- und High-End-Sound".

Libido? So ziemlich jeder Stammkunde des Stuttgarter Autowaschtempels wird die Einschätzung des Psychologen mit der Scheibenwischer-Geste als groben Unfug abtun. Doch all die Autowerbungsbilder in der Ausstellung machen die Symbiose von Sex und Gefährt anschaulich. Und das lässt sich sicher nicht leugnen: Sehr, sehr viele von den Menschen, die ihre Autos Samstag für Samstag als Stammkunden in die deutschen Waschanlagen bringen, verbindet ein wesentlich innigeres Verhältnis zu ihrem Auto als zu irgendeinem anderen Gegenstand.

Hier werden Fahrzeuge als Kunden behandelt

Über den Daumen gepeilt zwei Drittel der Fahrzeuge, die an diesem Tag bei Mr. Wash aufkreuzen, sind blitzblank. Außen wie innen. Sie hätten eine Wäsche keinesfalls nötig. Zum Wesen eines Rituals gehört eben, dass es sich rationalen Erwägungen entzieht. Hier verhält es sich wie bei alten katholischen Jungfern, die Woche für Woche in den Beichtstuhl huschen - obwohl sie nichts zu beichten hätten.

Die sauberen Wagen bekommen das volle Programm, außen und innen. Und natürlich Wachs-Politur, macht zusammen 45 Euro. Hier wird nicht nur der Besitzer als Kunde behandelt, sondern auch sein Fahrzeug. Wer Brockhaus' Mitarbeitern zuschaut, wie sie ihrer blechernen Klientel liebevoll mit der Geschicklichkeit eines sizilianischen Barbiers den Lack massieren, muss sich wundern, dass die Autos nicht wohlig drauflosgrunzen.

Allenfalls Musikinstrumente werden ähnlich liebevoll gepflegt, Klaviere, Geigen, Querflöten. Nach jeder Politur wandern die Tücher selbstverständlich in die Wäscherei. Für die wartenden Fahrer stehen Strandstühle bereit und Marken-Kaffee aus dem Automaten, gratis. Wenn sie wieder einsteigen und losfahren, lächeln sie so zufrieden, als wären sie selbst massiert worden. So gesehen stimmt es, wenn dem Auto die Funktion eines zusätzlichen Körperteils zugeschrieben wird. Rennfahrer sagen solche Dinge, der ehemalige Rallye-Weltmeister Walter Röhrl zum Beispiel: "Das Auto ist für mich ein Körperteil, der gehorchen muss."

Autopflege ist demnach Körperkultur. Auch Frank Brockhaus, 32, wäscht seinen Wagen einmal die Woche. Und wenn er ein Auto sieht, das außen verkratzt ist und innen verstaubt, da es seit einem Vierteljahr nicht gesaugt wurde, dann entfährt ihm ein konsterniertes "Oh Gott". Nicht weil er eine Autowaschanlage betreibt, sondern weil ihm dieses Auto leidtut und weil er sich für einen solchen Auftritt schämen würde. Man gehe ja auch nicht mit einer schmutzigen Hose aus dem Haus. In den Siebzigern gab es in den Zeitungen eine Debatte darüber, dass die Deutschen öfter ihr Auto wuschen, als sie ihre Unterwäsche wechselten, schreibt Micha Hilgers.

Vielleicht hatten sie etwas nachzuholen. Deutschland war ja nicht immer eine Autonation. Obwohl entscheidende Erfindungen im 19. Jahrhundert in Stuttgart gemacht wurden, dauerte es noch Jahrzehnte, bis sich dieses Fortbewegungsmittel etablierte. Im Jahr 1914 standen Hans-Peter Schwarz zufolge 55 000 Automobile vier Millionen Pferden gegenüber. Frankreich zählte fast doppelt so viele Autos. Es sei eine hartnäckige Mär, dass die Deutschen "sozusagen genetisch eine Autonation" seien, beklagt der Historiker. Noch 1957 wurden mehr Motorräder als Autos verkauft. Dann setzte der Boom ein, der die Bundesrepublik an die Spitze der europäischen Autoländer katapultierte.

Das Dienstfahrrad der Grünen wirkt in der Ausstellung wie ein Ökoraketchen

Geliebt wird das Auto immer noch von vielen, zweifellos. Mit der Umweltbewegung formierte sich jedoch eine vernehmbare Gegnerschaft. In Bonn ist eines der Dienstfahrräder zu sehen, mit denen die Grünen 1983 in den Bundestag kamen. Neben der Staatskarosse, einem schwarzen Mercedes 600 Pullman, wirkt es wie ein Ökoraketchen. Gegen die Motorvolkslobby treten sich die Gegner die Reifen platt.

Wenn Verkehrsdenker wie der selbsternannte Autohasser Klaus Gietinger den Zustand mit Äußerungen wie "Kaum jemand wagt, das Auto zu verteufeln, negative Auswirkungen werden systematisch ausgeblendet" beschreiben, klingt das nach Resignation. Gehasst wird das Auto von den wenigsten, aber es wird den Deutschen immer gleichgültiger. Die Zahl der Führerscheinneulinge sinkt, und wenn der Trend zum Carsharing anhält, werden Autowaschtempel irgendwann Umsatzprobleme bekommen. In ferner Zukunft.

Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos. Haus der Geschichte, Bonn. Bis 21. Januar 2018. Katalog (Sandstein-Verlag) 29,80 Euro.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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