Auffahrunfälle:Der überwachte Vordermann

Kollisionswarner können Auffahrunfälle ziemlich zuverlässig vermeiden. In der nächsten Mercedes B-Klasse sind sie erstmals Serie.

Joachim Becker

Brütende Hitze und eine endlose Blech-Karawane: Im zähfließenden Verkehr kann die Fahrt in den Urlaub ganz schön stressig werden. Nach Stunden hinter dem Lenkrad lässt die Aufmerksamkeit unweigerlich nach. Wenn der Fahrer müde oder abgelenkt ist und der Vordermann abrupt bremst, kracht es nicht selten.

Mobiles Leben

Klein und unscheinbar: der im vorderen Mercedes-Stern versteckte Radarsensor

(Foto: Daimler)

Die Hälfte aller Unfälle mit Heckaufprall entsteht, weil die Fahrer zu schwach und in 30 Prozent der Fälle überhaupt nicht bremsen. Auffahrunfälle sind in Deutschland für zirka 22 Prozent aller Unfälle mit Verletzten oder Getöteten verantwortlich.

Wer einen Auto-Piloten sucht, der den Mindestabstand zum Vordermann selbstständig einhält, muss noch immer mehr als 1000 Euro ausgeben. Daher spielen solche Assistenzsysteme in der Kompaktklasse bislang keine Rolle.

Doch Mercedes hat sich die Demokratisierung der aktiven Fahrzeugsicherheit auf die Fahnen geschrieben. Mit Einführung der neuen Generation der B-Klasse im Herbst und wenig später auch der A-Klasse werden hoch entwickelte, aktive Schutzsysteme in der Kompaktklasse Einzug halten - und zwar serienmäßig.

Erstmals werden die Stuttgarter in diesem Segment eine radargestützte Kollisionswarnung mit adaptivem Bremsassistenten einführen. "Das ist der nächste große Schritt in der breiten Sicherheitsentwicklung nach ESP", sagt Mercedes Projektleiter Uwe Petersen, "das wird man deutlich in der Unfallstatistik sehen."

ESP hat die Zahl der Unfalltoten halbiert

Das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP wird in Europa nächstes Jahr Pflicht für alle Neuwagen - 17 Jahre nach der Premiere in der Mercedes S-Klasse. 1995 stand der Schleuderschutz noch mit mehreren tausend Mark in der Aufpreisliste.

Die Einführung von ESP hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Unfalltoten in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren halbiert hat. Die Fortschritte in der digitalen Datenverarbeitung schaffen nun die Voraussetzungen dafür, noch mehr Unfälle schon im Vorfeld zu vermeiden.

Die Kollisionswarnung mit adaptivem Bremsassistenten erkennt einen zu geringen Abstand zu Vorausfahrenden im Geschwindigkeitsbereich zwischen 30 und 250 km/h. Wie bei Schiffen und Flugzeugen werden andere Metallkörper dabei per Radar geortet. Im Fahrzeug konzentriert sich das System allerdings auf die eigene Spur - am Seitenrand parkende Autos werden auch in Kurven zuverlässig ausgefiltert.

Teure Abstandsregeltempomaten tasten auch benachbarte Fahrbahnen mit jeweils einem eigenen Radarstrahl 200 Meter weit voraus ab. Das System in der Mercedes A- und B-Klasse beschränkt sich dagegen auf einen Radarsensor, der Hindernisse in bis zu 80 Metern Entfernung erfassen kann.

"Wir brauchen keine drei Radarsysteme, weil die Fahrzeuge in der Kompaktklasse nicht wie bei der Distronic Plus autonom bremsen", erklärt Uwe Petersen. Besteht die Gefahr eines Auffahrunfalls, wird der Fahrer durch eine Leuchte im Cockpit und einen Warnton alarmiert.

Außerdem aktiviert das System bei Bedarf passive Schutzmaßnahmen wie den Gurtstraffer. Derweil wird Bremsdruck aufgebaut, so dass die volle Rückhaltekraft bereits zum Beginn der Bremsung eingesetzt wird.

500.000 Auffahrunfälle könnten vermieden werden

"Wir haben das System auf vier Millionen Kilometern getestet, in den allermeisten Fällen reicht die optische und akustische Warnung des Fahrers, damit er einen Unfall rechtzeitig vermeiden kann", berichtet Uwe Petersen, der für die Absicherung der Kollisionswarnung zuständig ist.

Versuchsergebnisse untermauern diese Einschätzung: In Tests mit 110 Autofahrern im Fahrsimulator sank die Unfallquote dank der Kombination aus Kollisionswarnung und adaptiver Bremsassistenz in drei typischen Situationen von 44 auf elf Prozent.

"Unser Ziel ist es, die Zahl schwerer Unfälle auf breiter Front weiter zu vermindern", sagt Ulrich Mellinghoff, "wir gehen nach Analysen von Unfalldaten davon aus, dass mit dieser Technik zirka 20 Prozent aller Auffahrunfälle vermieden werden können und bei weiteren 25 Prozent die Unfallschwere gesenkt werden kann", so der Leiter der Mercedes-Sicherheitsentwicklung.

Auch wenn die Leistungsunterschiede zwischen teuren und einfachen Systemen noch groß sind - der aktiven Sicherheit gehört die Zukunft: Kollisionswarner schützen nicht nur Menschen, sondern können auch viel Geld sparen.

Würden alle Autos im Stadttempo automatisch Auffahrunfälle vermeiden, ließen sich allein in Deutschland jährlich über 500.000 Bagatellunfälle verhindern. Das ergab eine Studie des Allianz Zentrum für Technik aus dem Jahr 2009.

Die Daimler-Entwickler arbeiten deshalb schon an einer Weiterentwicklung der Kollisionswarnung auch für Geschwindigkeiten unter 30 km/h.

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