Audi RS4:Aufmüpfiger Tieflieger

Wer direkten Kontakt zur Straße sucht, liegt mit diesem A4 richtig

(SZ vom 31.05.2000) BMW hat die M GmbH und bei Mercedes-Benz tragen die Sportlichsten aller Modellvarianten das Signet von AMG. Diesen Vorbildern scheint nun Audi nachzueifern: Zwar verfügen die Ingolstädter schon seit 1983 über die quattro GmbH, aber diese Tochtergesellschaft beschäftigte sich lange Zeit vor allem mit dem Vertrieb von allerlei Accessoires wie Baseballmützen und Armbanduhren sowie der Individualisierung von Audi-Fahrzeugen mittels feiner Lederausstattungen oder Sonderlackierungen. Nun soll die quattro GmbH auch als Hersteller von Fahrzeugen auftreten - zu diesem Zweck wurde vor etwa einem Jahr eine eigene Entwicklungsabteilung gegründet. Klar, dass sich diese Ingenieure nur um die Top-Modelle der jeweiligen Baureihen kümmern müssen - und dass ihr Kredo die "drei L" aller Motorsportbegeisterten sind: Leistung, Leistung und nochmals Leistung.

Diesen Anspruch hat die quattro GmbH mit ihrem ersten eigenständigen Produkt zweifelsohne eingelöst, denn beim Audi RS4 ist das Kürzel Programm: RS symbolisiert den Rennsport, und die Vier weist darauf hin, dass das Basisauto einmal ein normaler Audi A4 war. Bisher war der S4 mit seinen 195 kW (265 PS) der flinkeste aller A4, aber für den RS4 haben die Techniker kräftig nachgelegt: Sie haben aus dem 2,7-Liter-V6-Motor mit zwei Turboladern 280 kW (380 PS) herausgekitzelt. Damit katapultiert sich der RS4 in den Kreis von Hochleistungssportwagen, wie der M3 von BMW einer ist. Die Kraftkur wurde unter anderem durch einen neuen Zylinderkopf, größere Ein- und Auslasskanäle und üppiger dimensionierte Turbolader erreicht.

Doch den RS4-Motor haben die quattro-Mannen nicht in Alleinregie entwickelt und gebaut. Er entstand in Kooperation mit der Audi AG und der englischen Motorenschmiede Cosworth Technology - und dieses Trio hat dem Motor mit einer Leistung von 142 PS pro Liter Hubraum so viel Temperament eingehaucht, wie man es im Alltag nur sehr selten ausleben kann - und auch sollte.

Dass die elektronisch begrenzte Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h beinahe spielerisch erreicht wird, ist bei dem vorhandenen Leistungspotenzial klar - wenn er dürfte, würde der RS4 schneller als 280 km/h laufen. Doch Audi hält sich an die Übereinkunft der großen deutschen Hersteller, dass Tempo 250 genug ist. "Wir bleiben dabei", stellt Werner Frowein, Geschäftsführer der quattro GmbH, fest. Allerdings wird diese Vereinbarung bereits teilweise unterspült - etwa von Mercedes-Benz-Haustuner AMG, wo man "offene" Sportwagen ohne elektronisches Tempolimit anbietet. Werden die zwei Turbolader des RS4 richtig unter Druck gesetzt, stößt man beim Spurt von Null auf 100 km/h mit einem Wert von 4,9 Sekunden in die Dimensionen von starken Motorrädern vor. Der Kraftstoffverbrauch hängt - wie bei allen supersportlichen Karossen - vor allem vom Gemütszustand des Fahrers ab: Schwimmt man locker im Verkehr mit, lässt sich der von Audi angegebene Durchschnittsverbrauch von 12,0 Litern Super plus halbwegs erreichen, bei forciertem Tempo können es aber mehr als 20 Liter werden.

Das Understatement abgelegt

Der optische Auftritt des RS4 macht augenfällig, dass sich die quattro GmbH an die Leistungsfetischisten unter den Autofans wendet: Der RS4 hat das optisch dezente Understatement, das der S4 pflegt, abgelegt. Von der Außenhaut des S4 wurden nur die Motorhaube und das Dach übernommen - und wie sein schwächerer Bruder ist der RS4 von Ende Juni an nur als Avant genannter Kombi lieferbar. Große Luftschlitze, ein tiefgezogener Frontspoiler und zu dicken Backen aufgeblasene Kotflügel, unter denen extrabreite Walzen kauern, machen deutlich, dass der RS4 kein Leisetreter sein will. Die Karosserie wurde um 20 Millimeter abgesenkt, so dass im straffen Sportgestühl des tief liegenden RS4 richtig sitzt, wer den direkten Kontakt zur Fahrbahn sucht - und auch in Kauf nimmt, dass jedes Schlagloch gnadenlos an die Wirbelsäule weitergemeldet wird.

Sicherheitstechnisch ist der RS4 mit ABS, ESP, Front-, Seiten- und Kopfairbags auf der Höhe der Zeit. Zur Serienausstattung gehören ein Bose-Soundsystem und die Sitzheizung - was bei einem Preis von 129 085 Mark auch nicht zu viel verlangt sein dürfte. Wer will, kann natürlich noch mehr investieren und sich etwa einen Tempomat (596 Mark) oder ein Navigationssystem (2660 Mark) gönnen. Wer Zusatzfußmatten will, muss nochmals 655 Mark extra anlegen - das scheint dann doch zu viel des Guten . . .

Von Otto Fritscher

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