Audi A6:Wie aus einem Guß

Gelungenes Design und sehr solide Verarbeitung

(SZ vom 12.03.1997) Muß eine Limousine aussehen wie eine Limousine? Diese Frage stellte Franz-Josef Paefgen, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Audi, bei der Weltpremiere des neuen A6 auf dem Genfer Automobilsalon. Er spielte damit auf das Designkonzept an, mit dem die Ingolstädter vor allem eines erreichen wollen: Unverwechselbarkeit. Tatsächlich hat Audi mit dem neuen A6 einen großen Schritt nach vorne machen wollen - ist aber auf halber Länge stehen geblieben. Von der Seite betrachtet, wirkt die 4,80 Meter lange Limousine der gehobenen Mittelklasse - salopp gesagt - wie aus einem Guß.

Gleitende Linien

Beim A6 gehen die Linien gleitend ineinander über, vor allem der Kofferraum schmiegt sich an die schräg stehende Heckscheibe. Der Abschluß des Kofferraumdeckels wölbt sich elegant nach unten. Neu plaziert - direkt über dem Nummerschild - sind die zwei Nebelschlußleuchten. Das führt zu einem runden dynamischen Erscheinungsbild. Dieser Eindruck leidet allerdings, wenn man den A6 aus weiterer Entfernung begutachtet - dann kommen Ähnlichkeiten mit dem Passat von VW zutage -, oder wenn man direkt vor ihm steht. Die Kühlerpartie wirkt so, als sei sie bei der designerischen Überarbeitung vergessen worden, aber das ist wohl Absicht: Man wollte die traditionelle A6-Klientel auf einen Schlag nicht zu sehr verschrecken.

Doch Design ist nur die eine Seite der Medaille, Funktionalität und Fahrverhalten sind mindestens ebenso wichtige Gründe, die zu einer Kaufentscheidung führen können. Nach einer ersten, kurzen Begegnung darf man sagen, daß die Ingolstädter ein überzeugendes Konzept mit vielen sinnvollen Details auf die Räder gestellt haben: Die Türen öffnen weit und leicht und schließen auch sehr gut. Der Kofferraumdeckel geht spielend auf und gibt einen glattfächigen Stauraum von 550 Liter frei - das sind rund 50 Liter mehr als beim Passat.

Das Interieur des A6 spiegelt in vielen Punkten Solidität und gute Verarbeitung wider: Dies beginnt bei den konturierten Vordersitzen, die über einen sehr weiten Verstellbereich verfügen. Die Staufächer in den Türen lassen sich leicht nach innen abwinkeln, was den Zugriff auf allerlei Krimskrams vereinfacht. Die Kopffreiheit ist auch für Großgewachsene vorne und hinten gleichermaßen gut, was nicht unbedingt für die Kniefreiheit gilt: Ist der Fahrersitz ganz nach hinten geschoben, dürfte sich im Fond nur noch ein Kind wohlfühlen. Auf Bewährtes, aber auch Neues, setzt Audi bei den Motorvarianten, die zur Serieneinführung des A6 im Mai zur Verfügung stehen: Einstiegsmodell ist der 1. 8T mit dem Vierzylinder-Turbomotor, dann gibt es als Topmodell den 2,8-Liter-Sechszylinder, den bekannten 1,9-Liter-Turbodiesel mit Direkteinspritzung - und als neues Mitglied der Motorenfamilie einen 2,4-Liter-Sechszylinder. Demnächst wird ein 2,5-Liter-Turbodiesel mit sechs Zylindern und Direkteinspritzung folgen. Hier die wichtigsten technischen Daten:

- A6 1. 8T: 1,8-Liter-Vierzylinder mit Turboaufladung und Ladeluftkühlung, 110 kW (150 PS), Höchstgeschwindigkeit 217 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 9,4 Sekunden, Kraftstoffverbrauch 8,2 Liter Super bleifrei auf 100 Kilometer nach dem neuen EU-Zyklus.

- A6 2. 4: 2,4-Liter-V6-Motor, 121 kW (165 PS), 222 km/h Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 9,1 Sekunden, durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch 9,7 Liter.

- A6 2. 8: 2,8-Liter-V6-Motor, 142 kW (193 PS), 236 km/h Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 8,1 Sekunden, durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch 9,8 Liter.

- A6 1. 9 TDI: 1,9-Liter-Vierzylinder mit Direkteinspritzung und Turboaufladung, 81 kW (110 PS), Höchstgeschwindigkeit 194 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 12,3 Sekunden, durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch 5,7 Liter.

Alle Varianten bis auf den Turbodiesel sind auch mit Vierradantrieb, bei Audi als quattro bekannt, erhältlich. Der Kombi, Avant genannt, wird wohl auf der IAA stehen und soll im Januar 1998 verfügbar sein.

Bei ersten Fahreindrücken zeigte sich, daß jedes Aggregat mit dem A6 eine harmonische Verbindung eingeht und die Auswahl wohl dem persönlichen Geschmack und den jeweiligen Bedürfnissen obliegt: Der 2,8-Liter stellt Kraft im Überfluß zur Verfügung. Der neue 2,4-Liter ist auch nicht gerade ein lahmer Geselle, spricht aber unterhalb von 3000 Touren und bei schaltfauler Fahrweise nicht so spontan auf das Gaspedal an, wie man sich dies wünscht. Dafür dreht er weich und turbinenhaft und ähnelt im Gesamteindruck einem Sechszylinder von BMW. Der 1,8-Liter geht als Vierzylinder naturgemäß etwas kerniger zur Sache, baut dafür schon in niedrigeren Drehzahlbereichen Schub auf - noch besser kann dies der Turbodiesel, dessen wahre Qualitäten aber im geringen Kraftstoffverbrauch liegen: In der Praxis dürfte sich die rund 1400 Kilogramm schwere Limousine mit rund sieben Litern bewegen lassen.

Auch die Fahreigenschaften der A6-Varianten hinterließen einen äußerst harmonischen Eindruck. Die Limousine macht schlicht und ergreifend ohne Macken das, was der Fahrer von ihr verlangt: Die Straßenlage wirkt satt, die Lenkung ist direkt und leichtgängig. Dies kann man jetzt auch von der Schaltung sagen, die bisher häufig einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. In schneller gefahrenen Kurven läßt sich das Fahrwerk nicht aus der Ruhe bringen, Straßenunebenheit bügeln Federung und Dämpfung elegant glatt. Auch auf schlechten Straßen klappert, knarrt oder knistert nichts, was für eine gute Verarbeitung spricht.

In drei Stilrichtungen

Drei Ausstattungslinien gibt es für den A6: Advance (der Natur nachempfunden), Ambition (sportlich-elegant) und Ambiente (elegant) Sie unterscheiden sich durch Stoffe, Leder und Leisten. Jede dieser Stilrichtungen kostet keinen Aufpreis, womit der Faktor Geld ins Spiel kommt: Durch höherwertige Ausstattungen lassen sich die Preise nur schwer mit denen des Vorgängermodells vergleichen, aber es scheint, als seien durchweg einige tausend Mark mehr zu bezahlen. Der Einstiegspreis beträgt 52 800 Mark für die Turbodieselvariante, die nicht mit dem quattro-Antrieb lieferbar ist. Im Herbst folgt als neues Basismodell der 1,8-Liter mit 125 PS ohne Turboaufladung für 50 400 Mark. Für den A6 1. 8T sind 54 000 Mark zu bezahlen, der quattro-Zuschlag beträgt stolze 5500 Mark. Der kleine Sechszylinder steht mit 56 800 Mark in der Preisliste (quattro: 62 000 Mark), deren Spitze der A6 2. 8 mit 64 000 Mark (quattro 69 200 Mark) bildet. Wer will, kann die Modelle mit Otto-Motoren statt mit einer Fünfgang-Schaltung auch mit einer tiptronic ausrüsten, die 3900 Mark Aufpreis kostet.

Doch damit geht die Liste der Sonderausstattungen eigentlich erst los: Ein Tempomat kostet 580 Mark, die Hightech-Diebstahl-Warnanlage veranschlagt 680 Mark. Wer sich beim rückwärts Einparken vom Acoustic Parking System helfen lassen will, muß 600 Mark extra hinblättern, ein automatisch abblendender Innenspiegel kostet 250 Mark, Metallic- oder Perleffekt-Lackierungen 1400 Mark. Als sehr nützlich dürfte sich ein Navigationssystem mit CD-ROM für Deutschland zum Preis von 3200 Mark erweisen. Wer auf Understatement Wert legt, kann dafür ohne Aufpreis auf den A6-Schriftzug und/oder die Hubraumbezeichnung am Heck verzichten.

Von Otto Fritscher

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