Audi A8:Raumschiff Aluminium ist gelandet

Wer in der 100 000 Mark-Klasse reüssieren will, muß Besonderes bieten

(SZ vom 16.04.1994) Aus dem Vorsprung durch Technik ist nun der technologische Quantensprung geworden - und wir lernen daraus: Wer heutzutage im 100 000 Mark-Segment seine Brötchen verdienen will, darf nicht mehr mit zarter Zurückhaltung ans Werk gehen, er muß für sein neues Produkt offensichtlich mit markanteren Worten trommeln.

Bevor wir uns den völlig neuen, teilweise überraschenden Aspekten des Aluminium-Audis widmen, sollte zuerst ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit die Verständnis-Wege ebnen: In der (angeblich) guten, alten Zeit erledigte der Herr von Welt seine Touren natürlich mit einem Stern auf seinem Kühler, die Söhne griffen dann (je nach Selbstverständnis) zu einem anglophilen Jaguar oder einem dynamisch-sportiven BMW. Als Audi im September 1988 mit dem V8 erstmals den Versuch unternahm, sich ebenfalls in die Königsklasse zu katapultieren, glaubte man noch, daß ein Achtzylinder und der permanente Allradantrieb genügen würden, die werte Kundschaft in die Hallen der VW-Audi-Händler zu locken. Ein Versuch, der mit großer Enttäuschung - und beachtlichen Verlusten endete.

In der Technik-Walhalla

Audi hat sich innerhalb weniger Jahre den Ruf gesichert, hervorragende Automobile zu bauen - unter dem straffen Regiment des Technik-Gurus Ferdinand Piëch haben sich die Ingolstädter in einer Parforce-Tour sondersgleichen in die höchsten Höhen der Technik-Avantgarde emporgeschraubt: der quattro-Allradantrieb, das procon-ten-Sicherheitssystem, die vollverzinkte Karosserie mit Zehn- Jahre-Durchrostungsgarantie, der Dieselmotor mit Direkteinspritzung - schon diese Auflistung genügt, um in die Technik-Walhalla aufgenommen zu werden.

Die kleine, aber heftig umworbene Klientel, die 100 000 Mark und mehr auf den Tisch eines Händlers legen kann, erwartet jedoch außer der Technik-Kompetenz noch andere Features: Eine schwer definierbare Melange aus Image, avantgardistischer und dennoch solider Technik und elegantem Design, das einen merkwürdigen Spagat zwischen jugendlicher Dynamik und ehrwürdiger Seriosität zu vollführen hat. Und letztlich muß die Kaufentscheidung dann noch im Freundeskreis die heikelste aller Fragen überzeugend beantworten: 'Warum hast Du Dir nur gerade dieses Auto gekauft?'

Natürlich hat Audi aus den V8-Problemen gelernt: Die elegant-unauffällige Form des A8 wird nur bei diesem Modell zu finden sein - Irritationen durch die Ähnlichkeit mit kleineren Modellreihen sind so von vorneherein ausgeräumt. Der Innenraum ist von beachtlicher Größe, ohne daß die Außenmaße zu unübersichtlich werden - und die Ausstattung ist randvoll mit all den Komfort- und Luxus-Items angehäuft, die die Insassen auch anstrengende Langstreckenfahrten in Würde überstehen lassen. Man hat sich manch Neues einfallen lassen - beispielsweise eine sonnenstandsabhängige Klimaanlage, die den Teil des Fahrzeugs kühl hält, in dem gerade die Sonne für eine partielle Aufheizung sorgt. Und zur Unterstützung dieser Aufgabe dient eine neuartige Wärmeschutzverglasung mit einer auf die Scheibe aufgebrachten infrarotlicht-reflektierenden Metallschicht - wer sich für einen A8 interessiert, wird bei seinem Händler mit genügend Literatur eingedeckt werden, die die ellenlange Ausstattungsliste näher erläutert. Auf diesem Schlachtfeld wird aber nicht der Kampf um den A8 gewonnen werden - hier herrschen Standards, die der A8 wie selbstverständlich erfüllt.

Um den Kampf gegen die etablierte Konkurrenz erfolgreich anzutreten, hat Audi bereits Ende der 70er Jahre damit begonnen, die Konzeption der zwangsläufig immer schwerer werdenden Modellgenerationen (ausgelöst durch höhere Sicherheits-, Leistungs- und Komfortansprüche) neu zu überdenken. Rund 15 Jahre sind seitdem ins Land gezogen - 15 Jahre, in denen Audi mit einem finanziellen und technischen Aufwand ohnegleichen das Leichtmetall Aluminium für die Großserie technologisch und produktionstechnisch aufbereitete. Zusammen mit dem größten Aluminium-Produzenten der Welt, dem US-Konzern Alcoa, wurden völlig neue Konstruktionstechniken und Fertigungsstätten geschaffen, die den A8 zweifellos zu einem technischen Solitär im Automobilbau werden lassen.

Die erste Hardware mit dem neuen Konzept war dann im September des vergangenen Jahres auf der IAA zu betrachten, als ein silbern schimmerndes Fahrzeug auf das 'Audi Space Frame'Konzept und die Aluminium-Philosophie aufmerksam machte - unter der gleißenden Haut verbarg sich ein stabiler Rahmen, der - aus Aluminium-Strangpreßprofilen und -gußknoten zusammengefügt - hohe Torsionssteifigkeit bei geringem Gewicht und großen Sicherheitsreserven versprach. Auf dieser Space Frame-Technologie ist der A8 nun aufgebaut - und seine Schöpfer versprechen ein um bis zu 150 Kilogramm niedrigeres Leergewicht, als es die Konkurrenz auf die Waage bringen. Der Vorteil: ein entsprechend niedrigerer Benzinverbrauch und - was das Aluminium betrifft - eine praktisch unbegrenzte Recyclingfähigkeit, denn hier kann alles Metall mit einem (gegenüber dem Stahl) niedrigeren Energieaufwand wiederaufbereitet werden.

Die Tatsache, daß die Neuproduktion von Aluminium erst einmal eine deutlich höhere Primärenergie benötigt, wird bei Audi für dieses Konzept jedoch in Kauf genommen, weil die niedrigeren Verbrauchswerte zusammen mit der praktisch unbegrenzten Recyclingfähigkeit diese schlechtere Ausgangsbasis problemlos wieder hereinholt. Audi hofft nun, daß dieses Technologie-Kabinettstückchen nicht nur die Legende von dem Vorsprung durch Technik am Leben erhält, sondern auch den Kundenkreis anspricht, der zwar Luxus und Komfort besitzen möchte - aber bei diesem Wunsch für jede ökologische Argumentationshilfe dankbar ist.

Die einzigen Bekannten bei dem neuen A8 sind die beiden Triebwerke unter der Alu-Motorhaube - während der bewährte 2,8-Liter-V6 unverändert über 128 kW oder 174 PS verfügt, wurde der 4,2-LiterAchtzylinder einer größeren Kur unterzogen, die ihn stärker (nun 220 kW oder 300 PS) und gleichzeitig sparsamer werden ließ. Damit werden Höchstgeschwindigkeiten von knapp 230 km/h (A8 2.8) und abgeriegelten 250 km/h beim Achtzylinder erreicht - den DIN-Drittelmix gibt das Werk für den Sechszylinder mit 9,6 Litern auf 100 Kilometer und für den Achtzylinder mit 12,6 Litern bleifreiem Superkraftstoff an. Theoretisch hervorragende Werte, die sich in der Praxis hingegen erst noch beweisen müssen - denn das gute Handling und die hervorragenden Bremsen animieren doch öfter zum Tritt auf das Gaspedal, als es die Verkehrssituation tatsächlich erfordert.

Der A8 entpuppte sich bei ersten Fahrten als ernst zu nehmende Konkurrenz zu den sogenannten Etablierten - die sich in punkto Fahrkomfort und Fahrleistungen nicht mehr voneinander unterscheiden. Daß das Aluminium-Konzept ein vernünftiger Schritt in die richtige Richtung sein könnte, beweist der Blick auf die Waage des A8 2.8, der gegenüber seinen Gegnern tatsächlich die versprochenen 140 bis 150 Kilogramm leichter ist. Solange der A8 4.2 jedoch serienmäßig mit dem quattro-Allradantrieb ausgerüstet ist, wird der Alu-Vorsprung hier durch die schwerere quattro-Technik wieder locker ausgeglichen (deswegen wird man auch in nicht allzu ferner Zukunft mit einer Fronttriebs-Variante rechnen dürfen) - allerdings bringt der quattro-Antrieb ein beachtliches Maß an zusätzlicher Fahrsicherheit auch unter härtesten Wetterkonditionen mit sich. Ob man tatsächlich zu dem 109 900 Mark teuren Achtzylinder greifen muß, sei dahingestellt - bei Audi rechnet man damit, daß sich der Verkauf etwa bei 50:50 einpendeln wird.

Ein neues Leichtbau-Kapitel

15 000 bis 16 000 Exemplare will Audi jährlich absetzen - also rund ein Drittel der S-Klasse-Zahlen und etwas weniger als die Hälfte der Siebener-Baureihe. Eine stolze Zahl, für die die Ingolstädter Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen - und dabei wird ihnen die Tatsache helfen, daß der A8 ein ausgezeichnetes Automobil geworden ist, das die gesamte Bandbreite von Komfort bis Sportlichkeit beherrscht. Und das mit dem Thema Aluminium ein neues Kapitel beim Leichtbau aufschlägt, das sich die Konkurrenz erst noch erarbeiten muß.

Das große Problem wird für Audi darin bestehen, diese Message auch den Kunden Stuttgarter und Münchner Produkte zu vermitteln - und dafür wird man den Vertrieb und die Ausstattung der Händler auf ein höheres Niveau zwingen müssen. Und außerdem 'sollte man nicht immer nur auf BMW und Mercedes-Benz schauen und glauben, daß die Kunden nur hier gefunden werden können', für den Vorstands-Sprecher Herbert Demel könnte ein Teil der Kundschaft auch von Aufsteigern anderer Marken kommen, die 'sich eben nicht in einem Gefährt der so oft erwähnten Marken sehen lassen wollen.'

Um der Qualitäten des A8 und seines bemerkenswerten Aluminium-Konzepts willen, hoffen wir, daß Herbert Demel mit seiner Prognose Recht behält.

Von Jürgen Lewandowski

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: