Aston Martin:Tadellose Doktor-Arbeit

Aston Martin erfindet Lagonda neu, um eine sportliche Alternative zu etablierten Premiummarken zu werden.

Georg Kacher

Das bewegte Leben ist an Dr. Ulrich Bez, 68, fast spurlos vorbeigegangen. Trotz Krähenfüßen, grau meliertem Haar und leicht getrübter Nachtsicht hat sich der drahtige Schwabe mit dem spitzbübischen Lächeln die engagierte Gestik und den eloquenten Redefluss des bei BMW, Porsche und Daewoo gereiften Jungspunds bewahrt. Der Ingenieur fühlt sich am Lenker des selbstgebauten superleichten Mountainbikes immer noch genauso wohl wie am Steuer des selbstentwickelten 24-Stunden-Renners.

Der Mann, den sie auf der Insel ehrfürchtig "Herr doctor Bez" nennen, leitet seit 2001 "Äschddn" Martin, das 2007 von Ford an eine Investorengruppe unter Vorsitz der englischen Motorsport-Größe David Richards verkauft wurde.

Obwohl Bez die Modellpalette zügig ausbaute und erneuerte, schreibt das Unternehmen seit 2004 schwarze Zahlen. Weil Aston nicht alle Projekte im Alleingang stemmen kann, wird der Cygnet-Kleinwagen von Toyota zugekauft und der für 2012 geplante Lagonda-Crossover von der nächsten Mercedes M-Klasse abgeleitet.

Die neue Firmenzentrale in Gaydon zwischen Birmingham und London entstand noch unter der Regie von Ford, kurz nachdem der frühere BMW-Vorstand Wolfgang Reitzle die Premier Automotive Group mit den Marken Aston Martin, Land Rover, Jaguar und Lincoln gegründet hatte.

Nach den Engländern Walter Hayes, John Oldfield, David Price und Bob Dover übernahm vor elf Jahren Ulrich Bez das Steuer. Er stoppte den projektierten Mittelmotorsportwagen, trieb dem unfertigen Vanquish die Kinderkrankheiten aus und optimierte den weit gediehenen DB9, der 2002 die Wende zum Besseren brachte.

VH-Architektur als flexible Matrix

Im Gegensatz zum extrem kompliziert konstruierten Vanquish bauten der DB9 und der 2005 eingeführte V8 Vantage bereits auf einer neuen modularen Matrix auf. Die sogenannte VH-Architektur, die sich durch hohe vertikale und horizontale Flexibilität auszeichnet, versorgt inzwischen die gesamte Palette vom Zweisitzer bis zum viertürigen Rapide.

"VH ist keine Plattform, sondern eine Philosophie ohne erkennbares Verfallsdatum", erklärt Bez, "durch die Integration neuer Systeme, Elemente und Werkstoffe halten wir die Matrix stets auf neuestem Stand. Was sich ändert, sind die technischen Inhalte, die Abmessungen und Aufbauvarianten, das Gewicht. Durch intelligente Mischbauweise kann zum Beispiel das Verhältnis zwischen Karbon und Aluminium modellspezifisch variiert werden: Beim Supersportwagen dominiert Kohlefaser, beim V8 Vantage Leichtmetall."

Ein Gang durch die Werkshallen zeigt, wie VH in der Praxis funktioniert. Die geklebte Grundstruktur unterscheidet sich primär im Bereich des Vorder- und Hinterwagens. Fahrgastzelle, Radaufhängung und die Hilfsrahmen sind weitgehend identisch; nach ähnlichem Muster fertigt Magna in Graz im Lohnauftrag den viertürigen Rapide.

Für den kleinen Cygnet, einem Toyota iQ im Luxus-Look von Aston Martin, wurde dagegen in Gaydon eine eigene Montagestraße eingerichtet, an der entlang individuell lackiert und besonders nobel tapeziert wird.

Die Aston-Martin-Produktion erinnert eher an eine japanische Vorzeigefabrik als an eine englische Autoschmiede klassisch-düsterer Art. Die Hallen sind hell ausgeleuchtet und weiß gestrichen, jede Arbeitsstation ist von Ablaufplänen und Qualitäts-Charts flankiert, konferiert und optimiert wird in kleinen Besprechungsnischen direkt am Band.

Die Astons werden immer verwechselbarer

Der Chef moniert beim Rundgang einen angerosteten Container, klaubt höchstpersönlich Papierschnipsel vom glänzenden Hallenboden, checkt hier den Sitz eines Kabels und dort die Ausrichtung eines Keders. Die Werker tragen schwarze Kluft mit weißem Logo, der Herr doctor trägt modisches englisches Tuch, australische McWilliams-Stiefel und eine mechanische Uhr vom Partner Jaeger-le-Coultre.

Nur die Autos werden immer verwechselbarer - das belegt schon die triste schwarz-weiße Farbwelt, deren Phantasie sich augenscheinlich in immer neuen Grautönen erschöpft.

Ulrich Bez mag es auch lieber bunt und markant: "Die Kunst ist es, Emotionen zu vermitteln, individuelle Stärken herauszuarbeiten, Eintönigkeit im Keim zu ersticken. Deswegen bin ich gar nicht scharf auf die vielen Assistenzsysteme, die manchmal eher bevormunden als helfen. Für den Charakter eines Autos und den Umgang damit ist es wichtiger, die Motor-Getriebe-Kombination unverwechselbar zu kalibrieren, markentypische Fahreigenschaften zu erschaffen und das Design wie aus einem Guss erscheinen zu lassen."

Wenn Aston Martin in den nächsten Jahren seine Palette ersetzt, dann wird wieder die hohe Schule der Evolution zelebriert. Meister Bez sieht dabei den DB9 als zentrales Grundmuster, das behutsam nach oben und unten verändert wird.

Wie so eine Mutation aussehen kann, zeigt der Supersportwagen One-77, dessen kantigere und bösere Formensprache künftig querbeet den Ton angeben soll. Darüber hinaus müssen die neuen Autos leichter werden, die Zukunft des V8 wird derzeit kritisch hinterfragt, die Variantenvielfalt dürfte eher zu- als abnehmen. "Der Zwölfzylinder wird weiter gepflegt und läuft noch bis 2020, mindestens", verspricht der drahtige Zampano, "V8 und V6 lassen sich dagegen bei Bedarf auch zukaufen."

Flirt mit Mercedes

Doch der inoffizielle Königsweg führt eher zu einem komplett neuen Reihensechszylinder, von dem sich mit wenig Aufwand ein Vierzylinder ableiten lässt. Der Vierer gilt als potentielles Trumpf-As, denn sobald sich der Formel-1-Zirkus zum Downsizing bekennt, stehen auch die Sportwagen-Hersteller vor einem Paradigmenwechsel.

Dass Aston Martin mit Mercedes flirtet, ist seit Jahren ein offenes Geheimnis. Würde es neben der M-Klasse-Connection nicht auch sinnvoll sein, an die neue Mercedes Heckantriebs-Architektur anzudocken, sich in die AMG-Kohlefaserentwicklung einzuklinken oder zumindest Motoren zuzukaufen?

Ulrich Bez überlegt kurz, dann schüttelt er den Kopf: "Wir hätten schon lieber einen Reihenmotor als einen V6, mit Karbon können wir inzwischen selber ganz gut umgehen, und die VH-Struktur ist noch lange nicht ausgereizt. Einen V8 könnte man von Dritten beziehen, und nachdem sogar der Diesel seit dem Le-Mans-Sieg hoffähig ist, gibt es da möglicherweise ebenso Potential. Aber unsere Kernkompetenz wollen wir nicht unbedingt teilen, sondern gezielt ausbauen."

In Stuttgart sieht man das wohl ähnlich, denn statt Aston Martin als verlängerte Werkbank für Maybach zu nutzen, sollen die Nobelmodelle künftig in das S-Klasse-Portfolio eingegliedert werden. Wenn das wirklich so kommt, stehen die Zeichen schlecht für das angedachte schwäbisch-englische Duett aus einer großen Lagonda-Limousine und dem Maybach 57-Nachfolger. "Lagonda braucht mehr als ein Modell, um als Marke überleben zu können", weiß der oberste Vordenker.

Herr doctor Bez ist kein Freund des Hybridantriebs und Kers - jenem System zur Rückgewinnung kinetischer Energie, das in der Formel 1 seit 2009 genutzt wird. Während die Energiebilanz des Hybrids der Umwelt seiner Meinung nach mehr schadet als nützt, kritisiert der gelernte Techniker Kers ob des Mehrgewichts und der im Alltag kontraproduktiven Leistungsspritze.

Plädoyer für den kleinen Schwan

Stattdessen plädiert er für den kleinen Schwan Cygnet als sparsames Kurzstreckenfahrzeug, das für bis zu 50.000 Euro mit fast allen Luxusextras ausgestattet werden kann, die man von den Sportwagen kennt. Vom Drei-Meter-Knubbel soll es bald auch eine Elektrovariante und einen Zweisitzer mit integrierter Haustierbox geben.

Und wenn der in Warwickshire eingekleidete Toyota tatsächlich 1500 Käufer pro Jahr findet, könnte Bez an einem ausgewachsenen Schwan Gefallen finden, der vermutlich als Lagonda das Fliegen lernt. Kein Problem - solange es kein unter Vollnarkose zur Lordschaft auf Rädern mutierter Auris Hybrid ist.

Die Frage, wie er denn das Produktprogramm von morgen strukturieren möchte, entlockt dem ausgefuchsten Manager nur ein wissendes Grinsen. Ob er denn zurückkehren würde zu einer Dreiteilung in DB5, DB7 und DB9? - "Dann hätten wir doch den Rapide DB11 taufen müssen. Wir gehen weg von den DB-Bezeichnungen. Deshalb heißt das neueste Modell Virage, und der Top-Aston One-77."

Trotzdem bleibt es bei der Dreiteilung zwischen V8, DB9 und DBS, die künftig noch deutlicher werden soll. Dazu kommt ungefähr alle sechs Monate eine neue Variante, "so wie Apple das beim iPhone und iPad macht". Parallel dazu soll die Marke durch Motorsport-Erfolge in noch hellerem Glanz erstrahlen. 2012 will Aston mit einem GT3-Auto unter die Top Fünf am Nürburgring fahren, und eines Tages sollen die grünen Renner sogar reif sein für einen Sieg in Le Mans.

Wenn sich das so anhört wie ein Stück Porsche-Geschichte, dann ist das kein Zufall. Denn der Vater des 993 will es den Schwaben noch einmal so richtig zeigen - mit kleiner Münze, großen Ambitionen und der geballten Erfahrung aus mehr als 40 Berufsjahren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: