Alternative Antriebe:Frischzellenkur

Der Toyota FCV Concept wird bei der Tokyo Motor Show enthüllt.

Der Toyota FCV concept wird auf der Tokyo Motor Show 2013 enthüllt. Das Wasserstoff-Fahrzeug soll zwischen 37.000 und 74.000 Euro kosten.

(Foto: AFP)

Autos mit Brennstoffzellen fahren meist doppelt so weit wie Elektrofahrzeuge. Schon 2025 könnten Wasserstoffautos dasselbe kosten wie Diesel- oder Hybridwagen. Doch deutsche Fahrzeuge hinken in Hinblick auf ihre Alltagstauglichkeit noch hinterher.

Von Joachim Becker

Zeit für einen Ölwechsel: Die Menschheit brauche eine Alternative zu fossilen Kraftstoffen, mahnt Dieter Zetsche: "Um die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssten wir die CO2-Emissionen im Straßenverkehr bis 2050 um 95 Prozent senken. Das ist mit konventionellen Antrieben schlicht nicht zu machen", so der Daimler-Konzernchef. Seit 30 Jahren arbeiten die Stuttgarter am umweltfreundlichen Brennstoffzellenantrieb. Spektakuläre Studien wie der Mercedes F125 mit 313 PS versprechen Fahrspaß ohne Reue: In Serie ging das Elektroauto im S-Klasse-Format allerdings nicht. Die ersten alltagstauglichen Wasserstoff-Stromer werden 2015 aus Japan kommen.

Toyota nennt bereits eine Preisspanne für sein Fuel Cell Vehicle (FCV): Zwischen fünf Millionen und zehn Millionen Yen soll die abgasfreie Mittelklasselimousine kosten - das sind etwa 37.000 bis 74.000 Euro. Bisher waren die Schmuckstücke des technischen Fortschritts aufgrund ihres hohen Platingehalts wesentlich teurer und wurden nur zu Testzwecken verleast. Künftig soll zur kontrollierten Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff nicht mehr Edelmetall nötig sein, als heute in einem Dieselkatalysator verbaut ist, kündigen Toyota und Daimler an.

Der für 2014 geplante Serienstart eines Mercedes-Brennstoffzellenfahrzeugs wurde allerdings verschoben. Bis 2017 sollen mit den Kooperationspartnern Nissan und Ford weitere Schleifen zur Preissenkung gedreht werden.

"Beim Wasserstoffantrieb profitieren wir ganz klar von unserer Kooperation mit Toyota"

Fast alle führenden Autohersteller versuchen derzeit, die horrenden Entwicklungskosten mithilfe von Partnerschaften zu reduzieren. "Beim Wasserstoffantrieb profitieren wir ganz klar von unserer Kooperation mit Toyota. Da möchten wir uns keinen Alleingang leisten", sagt BMW-Chef Norbert Reithofer. Im vergangenen Sommer hat Honda seinerseits eine Wasserstoff-Partnerschaft mit General Motors angekündigt. Das FCEV Concept, das die Japaner nun auf der Los Angeles Auto Show präsentieren, wurde aber noch in Eigenregie entwickelt. Erst 2020 wird die nächste Technologiegeneration von der Zusammenarbeit profitieren.

Selbst VW hat sich von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt wieder unter die Wasserstoffforscher eingereiht. Nach gescheiterten Versuchen mit Hochtemperatur-Brennstoffzellen in der vergangenen Dekade versuchen die Wolfsburger nun zusammen mit Ballard Power wieder den Anschluss an den Niedertemperatur-Mainstream zu finden.

Batterieantrieb wird für schwere Fahrzeuge keine Option sein

Der Grund für die Renaissance der Brennstoffzelle ist einfach: Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der Batterieantrieb nur langsame Fortschritte machen wird. "Momentan sagen uns die Zulieferer, dass die Lithium-Ionen-Batterie ihre Energiedichte in fünf Jahren verdoppeln wird - das wären beim BMW i3 dann eine Reichweite von mehr als 300 Kilometer", erklärte BMW-Chef Norbert Reithofer jüngst auf dem Handelsblatt-Autoforum in München: "Die Brennstoffzelle kommt in Betracht, wenn ich über das Jahr 2020 hinausschaue."

Für schwere und leistungsstarke Fahrzeuge wird der reine Batterieantrieb auch danach keine Option sein. Deshalb sehen die Münchner ihr Wasserstoffprojekt nicht als Konkurrenz zu den bisherigen BMW-i-Modellen: "Brennstoffzellenfahrzeuge eignen sich für größere Pkw im Langstreckeneinsatz, die unterwegs schnell aufgetankt werden müssen", stellt Projektleiter Tobias Brunner klar.

Eine Million kostet eine Wasserstofftankstelle

Rund drei Minuten genügen, um die beiden 700-bar-Hochdrucktanks zwischen den Hinterrädern des Toyota FCV mit vorgekühltem Wasserstoff zu befüllen - wenn es denn einen Zapfhahn gibt. 2015 will Japans Regierung 100 Wasserstofftankstellen bereitstellen. Bis 2016 sind in Kalifornien 68 Stationen sowohl in den urbanen Zentren als auch an den Verbindungsautobahnen geplant. Die deutsche Initiative H2 Mobility will mithilfe der Politik immerhin 50 Wasserstofftankstellen bauen. Rund eine Million Euro kostet eine solche Station, die ihren Kraftstoff aus umgewandelter Wind- und Solarenergie beziehen könnte.

Bis 2030 werde es mit dem Wasserstoffzeitalter wohl noch dauern, erwartet Koei Saga: "Bis 2020 werden Brennstoffzellenfahrzeuge nur ein Prozent unserer Neuwagenverkäufe in Japan ausmachen", schätzt Toyotas Entwicklungsvorstand für den Antriebsstrang. Das wären rund 10 000 Stück pro Jahr. Schrecken lassen sich die Japaner von weiten Zeithorizonten nicht. Schon bei der Entwicklung und Einführung der Hybridtechnik haben sie seit Mitte der Neunzigerjahre Geduld und Ausdauer bewiesen.

Leise wie ein Elektroauto

Ein Mann der ersten Stunde ist Katsuhiko Hirose, heute Leiter der Toyota Brennstoffzellen-Entwicklung. 1995 wurde er als Projektleiter des Toyota Prius zum Wegbereiter des erfolgreichsten Hybridfahrzeugs der Welt. Damals war der Brennstoffzellenantrieb noch 800 Kilo schwer, kostete ein Vermögen und füllte im Mercedes Necar 1 einen ganzen Lieferwagen aus.

"Ich konnte 1994 das Necar-1 fahren. In meinem Bericht an die Konzernzentrale stand, dass das System laut ist", erinnert sich der 58-Jährige Hirose. Fast dreißig Jahre später wiegt der Wasserstoffantrieb nicht viel mehr als ein Hybridsystem, lässt sich platzsparend im Unterboden unterbringen und ist vor allem eines: So leise wie jedes andere Elektroauto. Man muss schon das Ohr an die Karosserie des Toyota FCV pressen, um tief im Innern das leise Summen der Kompressoren zu hören. Selbst beim Durchtreten des Gaspedals bleibt der getarnte Technologieträger angenehm ruhig. Das ist um so erstaunlicher, weil er doppelt so viel Kühlluft braucht wie ein konventioneller Antrieb. Entsprechend weit reißt Toyotas Prototyp auf der Tokyo Motor Show seine riesigen Kiemenöffnungen im Bug auf.

Doppelte Effizienz durch "kalte Verbrennung"

In Brennstoffzellen wird der Wasserstoff nicht etwa verbrannt, wie der Name irrtümlich nahelegt. Die Reaktion mit Luftsauerstoff findet bei weniger als 100 Grad statt. Durch die "kalte Verbrennung" ist die Brennstoffzelle doppelt so effizient wie ein Verbrennungsmotor, während aus dem Auspuff lediglich Wasserdampf kommt. Pro Stunde entstehen rund 70 Liter Wasser bei der kontrollierten Knallgasreaktion in einem 100 Kilowatt starken Antrieb. Unter dem parkenden Toyota FCV bildet sich daher schnell eine kleine Wasserlache. Das ist die einzige Besonderheit, die bei der ersten Probefahrt auffällt.

Gut versteckt im zentraljapanischen Bergland drehen Toyotas Vorserienfahrzeuge ihre Runden. Die 4,87 Meter lange Mittelklasselimousine bietet reichlich Raum für vier Personen samt Gepäck. Kein Wasserstofftank oder Hochvoltsystem im Kofferraum schränkt die Alltagstauglichkeit ein. Der Toyota FCV beschleunigt ähnlich gemütlich wie ein Toyota Prius, nimmt Kurven dank seines tiefen Schwerpunkts aber sportlicher. 110 kW (150 PS) Leistung sind genug, um das Elektroauto konstant auf 170 km/h zu beschleunigen - und das Tempo über lange Strecken zu halten: "Bei unserer jüngsten Testfahrt von Toyota City ins 322 Kilometer entfernte Tokio haben wir nur die halbe Tankfüllung gebraucht, berichtet Projektmanager Hitoshi Nomasa stolz, "bei ruhiger Autobahnfahrt mit 100 km/h ist also eine Reichweite von 650 Kilometer möglich."

"Batterien verlieren über zehn Jahre mindestens ein Drittel der nutzbaren Kapazität"

Rund 500 Experten arbeiten bei Toyota an dem Wasserstoffprojekt - ähnlich viele wie in der Dieselentwicklung. Dabei profitiert der weltweit größte Automobilhersteller von seiner Erfahrung mit Hybridautos: Jährlich laufen 1,2 Millionen Fahrzeuge mit dem Kombiantrieb vom Band. Das Fuel Cell Vehicle baut auf der Full-Hybrid-Architektur auf - einzig der Benzinmotor wird durch einen Brennstoffzellenstapel ersetzt. "Dadurch können wir die Qualität und alle Kostenvorteile der Großserie nutzen", verrät Katsuhiko Hirose.

Mit der nächsten Prius-Generation werden ab 2015 Lithium-Ionen-Batterien zum Standardumfang gehören. Als einzige Energiequelle für größere Autos taugen die Akkus dennoch nicht: "Batterien verlieren über zehn Jahre mindestens ein Drittel der nutzbaren Kapazität. Eine gute Brennstoffzelle büßt in dieser Zeit höchstens zehn bis 15 Prozent ihrer Leistung ein - das spürt der Fahrer kaum", verspricht Chefentwickler Hirose.

"Wir müssen feststellen, dass die Entwicklung zur Marktreife schwieriger war als gedacht"

Pleiten, Pech und Pannen haben in den vergangenen Jahrzehnten allerdings gezeigt, wie heikel die Primadonnen unter der Motorhaube sein können: "Wir müssen feststellen, dass die Entwicklung zur Marktreife schwieriger war als gedacht und mehr Zeit in Anspruch genommen hat als kalkuliert", gibt Hirose zu, "nur wenige Leute verstehen heute ganz genau, was mit der Zeit in den Brennstoffzellen passiert. Die Materialforschung ist der Schlüssel." Kleinste Verunreinigungen im Wasserstoff zerstören oder verkleben die teuren Zellmembranen. Gerade beim Hochfahren des Systems sind die Trennschichten im Format einer Frischhaltefolie von rapider Alterung bedroht.

Als technisches gelöstes Problem gilt mittlerweile die Wintertauglichkeit. Bleibt bei Kälte nur ein wenig Feuchtigkeit in dem System zurück, vereisen die hauchdünnen Zellen und der Antrieb wird unbrauchbar. Selbst bei 30 Grad unter null soll der Energiewandler laut Toyota nun problemlos funktionieren. Dann steht zwar nicht die volle Leistung zur Verfügung - aber immer noch mehr als bei Batteriefahrzeugen, die bei Minusgraden kaum Energie liefern. Die Zeit spielt also für den Brennstoffzellenantrieb: Die Ernüchterung nach der Batterie-Euphorie kommt bestimmt - genau wie die nächste Ölkrise.

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