Alte Waggons, neuer Anbieter:Wettlauf auf der Schiene

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Mit Locomore versucht erneut eine kleine Firma, der mächtigen Bahn Konkurrenz im Fernverkehr zu machen. Viele in der Branche fragen sich nun: Gelingt der Versuch auf der Strecke von Berlin nach Stuttgart?

Von Marco Völklein

Das Bild am Stuttgarter Hauptbahnhof prägen auch an diesem Morgen die Züge der Deutschen Bahn. Da stehen die weißen ICE- und IC-Züge für den Fernverkehr, direkt daneben die roten Fahrzeuge für den Nahbereich, für Fahrten nach Heilbronn, nach Freudenstadt und Schwäbisch Gmünd. Wenn es aber nach Derek Ladewig geht, dann wird zwischen all den weißen und roten Zügen der DB bald eine weitere Farbe zu sehen sein: Denn Ladewig will orangefarbene Züge aufs Gleis schicken. Und damit dem Platzhirsch DB Konkurrenz machen.

Vom 14. Dezember an soll ein Zug des Anbieters Locomore die baden-württembergische Landeshauptstadt mit Berlin verbinden. Dazwischen lässt Ladewig ihn unter anderem in Heidelberg, Kassel und Wolfsburg halten. Morgens geht's hin, nachmittags wieder zurück. Ein Zugpaar täglich - das ist gegenüber den 1300 täglichen Zugfahrten der Deutschen Bahn (DB) mickrig. Und dennoch beobachtet die Branche gespannt den erneuten Anlauf eines Konkurrenten. Denn bislang gibt es im Fernverkehr kaum Wettbewerb.

Trotz einer Schönheitskur versprühen die alten Wagen einen gewissen Retro-Chic

Ladewig hat zudem große Pläne: Von 2017 an will er weitere Verbindungen anbieten, etwa von Frankfurt nach München oder von Hannover aus an Ruhr und Rhein. "Wir wollen eine Wahlmöglichkeit schaffen", sagt Ladewig. "Den Kunden eine etwas anders ausgestattete Fernbahn anbieten." Geschäftsreisende sollen im Locomore-Zug Businessabteile vorfinden mit Tischen, Steckdosen und Wlan. Wer nicht arbeiten möchte, kann sich mit anderen Reisenden in Themenabteilen verabreden - Skat-Freunde sollen so etwa Mitspieler für die Dauer der Reise finden. Zudem sollen die Preise meist unter dem Tarif der DB liegen, aber nur knapp über dem der Fernbusse. So kostet die Strecke Stuttgart-Berlin im Locomore-Basistarif zwischen 22 und 65 Euro. Bei der DB werden regulär 142 Euro fällig, mit Glück und frühzeitiger Buchung sind auch Sparpreise ab 19 oder 29 Euro drin. Im Fernbus gibt es die Fahrt Stuttgart-Berlin ab 19 Euro.

Ladewig verspricht "eine Belebung des Marktes". Sein Ziel sei es, "mehr Reisende auf die Schiene zu bekommen". Das haben auch schon andere versucht - und sind gescheitert. 2014 etwa stellte der Interconnex nach 13 Jahren die Verbindung Leipzig-Warnemünde ein. Die Fernbus-Konkurrenz und hohe Kosten für die Nutzung der Schienenwege zwangen den Anbieter aufs Abstellgleis. Seit 2012 fährt zudem der Hamburg-Köln-Express (HKX). Allerdings musste auch der zuletzt sein Angebot ausdünnen. Ansonsten dominiert die DB mit einem Anteil von 99 Prozent den Fernzugmarkt. Aber warum eigentlich?

Als "größte Markteintrittshürde" nennt Maria Leenen vom Hamburger Beratungsunternehmen SCI Verkehr die finanziellen Herausforderungen. Um einen oder gleich mehrere Züge aufs Gleis zu schicken, benötigen Firmen viel Geld; allein für einen einzigen ICE muss die Deutsche Bahn etwa 30 Millionen Euro hinblättern. Zugleich aber ist das Risiko immens: Sollte der Zug nämlich nicht laufen, kann ein Anbieter ihn nicht einfach so an einen anderen Interessenten weiterverkaufen. Denn anders als bei Passagierflugzeugen, die nahezu weltweit einsetzbar sind, gibt es bei Schienenfahrzeugen, die oft nur für einige nationale Netze zugelassen sind, nur einen beschränkten Gebrauchtmarkt.

Daher setzt auch Locomore-Macher Ladewig auf altes Material. Bei seinen insgesamt neun Waggons, die er für die Stuttgart-Berlin-Verbindung benötigt, handelt es sich um ehemalige Reisezugwagen der Bundesbahn aus den Siebzigerjahren, die diese irgendwann mal in die Niederlande verkauft hatte. Von dort holt ein Waggonvermieter, mit dem Locomore zusammenarbeitet, sie wieder zurück nach Deutschland. Zuvor aber werden sie in einem Werk in Rumänien mit neuen Sitzbezügen, Steckdosen und einigen Großraumabteilen aufgemöbelt. Dennoch räumt Ladewig ein, dass seine Waggons einen "Retro-Chic" verströmen - und so die vielen Jahre, die sie schon auf dem Buckel haben, wohl nicht ganz kaschieren können.

Ohnehin steht kein großer Investor hinter Ladewig und seiner Idee. Das Startkapital hat sich der ehemalige Bahnreferent der Grünen im Bundestag über eine Crowdfunding-Plattform im Internet besorgt; etwas mehr als 600 000 Euro kamen über Klein- und Kleinstspenden zusammen. Für Locomore ist es daher wichtig, dass der Stuttgart-Berlin-Zug von Anfang an gut ankommt. Die ersten Buchungen seien zwar vielversprechend, sagt Ladewig. Aber mehr als drei Monate Luft hätten er und seine Mitstreiter nicht.

Zumal die DB es potenziellen Angreifern auch nicht gerade leicht macht. So können die Unternehmen nur alle fünf Jahre einen Rahmenvertrag mit der DB abschließen, um sich Wegerechte auf dem Schienennetz und in den Bahnhöfen zu sichern. Zuletzt klagten Konkurrenten auch über die stetig steigenden Preise für die Nutzung von Schienenwegen und Bahnhöfen. Das hatte 2015 auch die Monopolkommission kritisiert. Seit Kurzem nun schreibt ein Gesetz vor, dass die DB unter Aufsicht der Bundesnetzagentur die Nutzungspreise bestimmt. Derzeit läuft das Verfahren für die Zeit nach Dezember 2017. Für Matthias Stoffregen vom Verband Mofair, der die DB-Konkurrenten vertritt, ist das zwar "ein deutlicher Fortschritt". Zugleich beobachtet er gespannt, wie die Preisfestlegung konkret läuft.

SZ-Grafik; Quelle: Locomore (Foto: N/A)

Bislang sperrt sich die DB mitunter auch, wenn es darum geht, Fahrscheine der Konkurrenten über die eigenen Reisezentren zu vertreiben. So sind auch Locomore-Tickets nicht über den DB-Vertrieb erhältlich; Wettbewerber berichteten in der Vergangenheit immer wieder davon, dass es schwierig sei, einen Laden in einem Bahnhof anzumieten, um dort einen Ticketshop einzurichten. Und als Ladewig wollte, dass sein Zug im Wagenstandsanzeiger auf den Bahnsteigen aufgenommen wird, habe ihm die DB erklärt, dass er sich die Kosten dafür mit dem DB-Fernverkehr teilen müsse - obwohl da sein einziger Zug neben einem guten Dutzend der DB auftaucht. "Mühsam" sei das alles, sagt Ladewig. Und plant schon die nächste Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde.

Die Monopolkommission hatte für mehr Wettbewerb auf den Gleisen plädiert

Dabei würden die Bahnkunden von mehr Wettbewerb durchaus profitieren, urteilte zumindest die Monopolkommission - auch wenn zuletzt durch die Fernbusse der Druck auf die DB deutlich wuchs. Die Frage ist nur: Wie kriegt man mehr Wettbewerb auf die Schiene? Die Monopolkommission empfiehlt, den Bahnbetrieb von der Infrastruktur zu trennen. Das aber lehnt der Bund als DB-Eigentümer ab.

Fachleute wie Karl-Heinz Rochlitz von der Bundesnetzagentur haben noch einen anderen Vorschlag: Er empfiehlt, den Ansatz des Schienennahverkehrs auf den Fernsektor zu übertragen. Denn dort haben DB-Konkurrenten bereits einen Anteil von knapp einem Drittel. Allerdings läuft der Markt auch völlig anders: Während der Fernverkehr eigenwirtschaftlich arbeitet, fließen in den Nahverkehr über die Länder pro Jahr acht Milliarden Euro an Zuschüssen. Jedes Land schreibt einzelne Strecken oder Netze aus und beauftragt meist die Firma mit dem günstigsten Angebot. So fahren neben den roten Zügen von DB Regio etwa in Bayern auch blaue Züge des Konkurrenten Transdev oder grün-gelbe Züge des Anbieters Netinera.

Wenn es nach Rochlitz geht, dann könnte der Bund ähnlich verfahren. Laut Stoffregen hätte der Bund so die Chance, attraktive Strecken und weniger begehrte Abschnitte in Einzellosen zu bündeln, und könnte "ganz konkret bestimmen, welche Verkehre er haben will", sagt Stoffregen. Bei den DB-Oberen aber kommen solche Ideen eher schlecht an. Sie betonen stets, dass hinter Anbietern wie Transdev oder Netinera teils potente ausländische Konzerne stehen, mitunter auch einstige Staatsbahnen, beispielsweise aus Italien oder den Niederlanden. Und statt für diese den deutschen Markt weiter zu öffnen, argumentiert die DB, sollten zunächst deren Heimatmärkte liberalisiert werden.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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