Abwasserentsorgung:Weg mit der Brühe

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Kreuzfahrtschiffe gelten als wenig ökologisch. Nun soll das Abwasser nicht mehr im Meer landen, sondern an Land gereinigt werden.

Von Steve Przybilla

Die Stella Scandinavica ist schon fast entleert. Im Dauerregen verlassen die letzten Passagiere die Ostsee-Fähre, gefolgt von Autos, Lastwagen und Containern, die von Göteborg nach Kiel gereist sind. Doch nicht nur Personen und Waren wechseln in diesem Moment ihren Ort: Auch ihre Hinterlassenschaften gehen von Bord. Alle Abwässer, die in den letzten zwölf Stunden angefallen sind, fließen in die Kanalisation - ganz diskret über einen Schlauch, der am Schiffsrumpf befestigt ist.

"Das ist kein Hexenwerk", sagt Ulf Jahnke vom Kieler Hafen. "Wenn Sie zu Hause duschen, geht das Abwasser ja auch direkt in die Kanalisation." Allerdings funktioniert dieses einfache Verfahren nur bei Schiffen, die wenige Stunden unterwegs sind. Sobald die Abwässer länger an Bord lagern, beginnt ein chemischer Prozess. "Die Schwefelbildung schreitet voran, der pH-Wert verändert sich" sagt Jahnke. Das toxische Gemisch darf dann nicht mehr in eine kommunale Kläranlage wandern - in die Ostsee indes schon. Noch bis 2021 ist es Kreuzfahrtschiffen gestattet, ihr Abwasser ungeklärt auf hoher See zu entsorgen. Erst dann tritt das HELCOM-Abkommen in Kraft, auf das sich die Ostsee-Anrainerstaaten verständigt haben.

Reedereien können von da an selbst entscheiden, was sie mit der stinkenden Flüssigkeit tun: sie an Land abgeben oder schon an Bord klären, mithilfe eigener Technik. In Kiel hofft man darauf, dass sich die erste Variante durchsetzt. Im Sommer 2017 weihte der Hafen eine 1,8 Millionen teure Aufbereitungsanlage ein, die die Abwässer vorbehandelt. "Dabei werden Luft und Ozon eingeblasen", erklärt Jahnke. "Das ist ein bisschen wie bei einer Sektflasche, die man schüttelt, um die Kohlensäure rauszulassen." Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, kann das Abwasser in die Kieler Kanalisation fließen.

143 Anläufe von Kreuzfahrtschiffen verzeichnete der Hafen in Kiel im Jahr 2017, gezählt wurden zudem mehr als 500 000 Passagiere – so viele wie noch nie zuvor. Um die Abwässer der Schiffe besser zu entsorgen, hat der Kieler Hafen investiert. (Foto: Seehafen Kiel/dpa)

Am Hafen selbst ist die Anlage mit bloßem Auge nicht zu sehen. Kein Geruch, keine Sickergrube. Noch nicht mal ein Gullydeckel. Die Rohre mit einem Durchmesser von 1,20 Meter schlängeln sich unter der Erde entlang. 300 Kubikmeter Flüssigkeit können pro Stunde aufgenommen werden - die Anlage ist nach Aussage der Hafenverwaltung die modernste ihrer Art in Europa. "Wir sind froh, dass wir nun technisch in der Lage sind, größere Kapazitäten aufzunehmen", sagt Janke. "Und dass viele große Reedereien schon mitmachen." Zu den ersten Nutzern zählten Tui, Aida und Phoenix Seereisen.

Pro Passagier und Tag fallen auf einem Kreuzfahrtschiff bis zu 200 Liter Abwasser an

Das alles klingt gut, verdeckt aber die Tatsache, dass bisher nur ein Drittel derer, die die Anlange nutzen könnten, dies auch wirklich tun. "Natürlich besteht die Gefahr, dass wir am Ende auf unseren Kosten sitzen bleiben", sagt Jahnke - immerhin gibt es längst marktreife Lösungen, mit denen Kreuzfahrtschiffe ihre Abwässer an Bord filtern können. Andererseits: Warum sollten Reedereien in solch teure Technik investieren, wenn die Entsorgung in den Hafengebühren ohnehin schon enthalten ist oder nur einen geringen Aufpreis kostet? "Wenn das Abkommen erst mal in Kraft tritt, werden die anderen sicher bald nachziehen", hofft Jahnke.

Die Vorzeichen dafür stehen gut. Schließlich lebt die Branche von einer intakten Natur, die sie ihren Kunden präsentiert. Zumal die schwimmenden Hotels ohnehin seit Längerem in der Kritik stehen, weil sie auf hoher See immer noch Schweröl verbrennen - eine ökologische Todsünde. So verwundert es nicht, dass sich der Branchenverband Clia schnell zum "ganzheitlichen Ansatz" im Kieler Hafen bekannte. Gleichzeitig schlug er aber auch kritische Töne an: So hätten die meisten Ostseehäfen noch einen "deutlichen Nachholbedarf", was die Entsorgung von Abwasser angeht. Immerhin geht es um gewaltige Mengen: Pro Passagier und Tag fallen auf einem Kreuzfahrtschiff bis zu 200 Liter Abwasser an.

Es wäre interessant zu erfahren, welche Methode der Abwasserentsorgung die Reedereien bevorzugen. Doch die meisten Unternehmen antworten auf Anfragen nur sehr allgemein und schwammig. So gibt Tui Cruises etwa an, die Anlage in Kiel intensiv zu nutzen (was die Hafenbehörde bestätigt). Gleichzeitig heißt es jedoch, die "Mein Schiff"-Flotte habe ohnehin Wasseraufbereitungsanlagen an Bord, "die mit modernen Kläranlagen an Land vergleichbar sind". Hapag-Lloyd versichert, man werde die Einrichtung "bei unseren zukünftigen Anläufen in Kiel berücksichtigen, sofern dies notwendig ist", während Costa erklärt, die Aufbereitungsanlage in Kiel bereits zu nutzen - was die Hafenbehörde aber dementiert: Demnach entsorgt die Reederei dort zwar ihren Müll, "hat aber bei den fünf Anläufen der Costa Pacifica in 2017 kein Abwasser an der neuen Hafenauffangreinrichtung abgegeben".

Auch Umweltschützer halten sich bisher noch zurück. "Es ist für uns sehr schwer zu beurteilen, welchen Methode die bessere ist", sagt Malte Siegert vom Naturschutzbund (Nabu) in Hamburg. "Die neue Anlage in Kiel ist vorbildlich", sagt er. "Und bei neuen Schiffen ist Abwasser inzwischen nicht mehr das große Problem." Kritisch sieht er jedoch die vielen ausgemusterten Schiffe, die nach China weiterverkauft werden und dort noch jahrelang im Einsatz sind. "Die sind ja nicht weg", sagt Siegert. "Da werden die ökologischen Probleme einfach nur verlagert."

Ein weiteres Ärgernis: Um ihren Schwefelgehalt zu reduzieren, nutzen viele Kreuzfahrtschiffe sogenannte Scrubber. Diese waschen die Schadstoffe aus den Abgasen heraus - entweder direkt mit Meerwasser oder in geschlossenen Systemen, die dann wiederum im Hafen entleert werden. "Dabei entsteht eine hochtoxische Grütze", sagt Siegert. "Ich habe meine Zweifel, ob viele Häfen an der Ostsee darauf schon vorbereitet sind." Ob sich die landseitige Abwasserentsorgung künftig durchsetzt, will der Nabu noch nicht prognostizieren. Allzu optimistisch gibt man sich aber nicht, denn schwarze Schafe hätten es wegen mangelnder Kontrollen relativ leicht. "Die Wasserschutzpolizei ist personell nicht besonders gut aufgestellt", sagt Siegert. "Die können allenfalls Stichproben nehmen."

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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