Abgasskandal:Wie alte Diesel sauberer werden sollen

Dieselauto

Können Dieselautos tatsächlich so nachgerüstet werden, dass sie die Grenzwerte einhalten? Wenn ja, wird es aufwändig und teuer.

(Foto: dpa)
  • Nun, da in immer mehr Städten Fahrverbote drohen, machen sich immer mehr Autohersteller über Nachrüstlösungen für ihre Dieselmotoren Gedanken.
  • Einem Insider zufolge will der Herstellerverband VDA bis spätestens Oktober eine detaillierte Nachrüstliste für deutsche Euro-5-Diesel präsentieren.
  • Doch das dürfte technisch sehr aufwändig werden. Außerdem ist ungeklärt, wer für die Kosten aufkommt.

Von Joachim Becker

Ist es Betrug? Die Mär vom sauberen Diesel ist jedenfalls realitätsfern. Die Dieselflotte bläst in Deutschland durchschnittlich 767 Milligramm Stickoxid (NOx) pro Kilometer in die Luft. Erlaubt sind momentan etwa ein Zehntel davon (80 mg/km). Doch dieser Grenzwert gilt bestenfalls im Labor. Im Alltag blasen laut Umweltbundesamt (UBA) selbst neue Euro-6-Diesel sechs Mal mehr NOx raus als vorgesehen: Mit durchschnittlich 507 mg/km tragen auch moderne Ölbrenner maßgeblich zur schlechten Luft in Städten bei. Getäuscht sehen sich all jene, die an Fortschritte durch strengere Abgasnormen geglaubt haben.

Laut Umweltbundesamt sind Diesel für zwei Drittel der Stickoxidimmissionen in den Städten verantwortlich. Kein Wunder, dass dort über Fahrverbote nachgedacht wird. Obwohl die Selbstzünder auf dem Prüfstand legal sind, verstößt der anhaltend hohe Abgaswert in der Praxis gegen den Geist der Gesetze. Betrogen fühlen sich nicht nur die Kommunen, die Verantwortung für die Luftreinhaltung tragen. Auch die Autokäufer, denen die Werbung vermeintlich umweltfreundliche Diesel aufgeschwatzt hat, sind sauer. Unter anderem, weil die Restwerte sinken und das grüne Sparfuchs-Image beim Teufel ist. Dabei hätte die Politik längst wissen müssen, dass die Grenzwerte nur auf dem Papier stehen. Denn bei Messungen im Labor und auf der Straße stellt das Umweltbundesamt schon seit Jahren ein systematisches Versagen der Dieselabgasreinigung fest.

Das hätte jeder nachlesen können. Das UBA sammelt alle relevanten Daten seit 1995 im offiziellen Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs (HBEFA). Kommunen und Politiker in ganz Europa nutzen das ständig aktualisierte Verzeichnis zur Ermittlung verkehrsbedingter Emissionen. In der neuesten Version berücksichtigt das Standardwerk nun auch Messungen beim betriebswarmen Motor und allen in Deutschland typischen Außentemperaturen. "Unsere neuen Daten zeichnen ein deutlich realistischeres und leider noch unerfreulicheres Bild der Stickoxidbelastung durch Diesel-Pkw in Deutschland", sagt UBA-Präsidentin Maria Krautzberger: Sie fordert eine schnelle Entlastung für all jene, die unter den Folgen der viel zu hohen Dieselabgase leiden.

Was tun, wenn Autos ganz legal die Luft verpesten? Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert ein prinzipielles Fahrverbot für Diesel in hoch belasteten Städten. Noch vor den angedrohten Sanktionen der EU hat die DUH auf eigene Faust eine Klagewelle angestrengt. Einfahrverbote lassen sich juristisch aber nicht so leicht durchzusetzen, wie viele glauben. Zuständig wäre vor allem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Im aufziehenden Bundeswahlkampf hat der CSU-Politiker auf Sendepause geschaltet. Vor allem deshalb, weil sich mit Fahrverboten keine Wahlen gewinnen lassen. Der Diesel, so viel ist klar, ist längst ein Politikum.

Euro-5-Diesel sind sogar dreckiger als Euro-4-Autos

Auch wenn alles nach einer Hängepartie aussieht: Die Hersteller durchforsten ihren Bestand an Selbstzündern derzeit intensiv auf Nachrüstlösungen. Öffentlich wollen sie darüber nicht reden, weil es wie ein Schuldeingeständnis aussehen würde. Doch ein hochrangiger Insider verrät, dass der Herstellerverband VDA bis spätestens Oktober eine detaillierte Nachrüstliste für deutsche Euro-5-Diesel präsentieren will. Das sei bei dem Treffen zwischen der Autobranche und dem Landesverkehrsministerium Baden-Württemberg am 10. Mai dieses Jahres in Stuttgart vereinbart worden.

Im Fokus stehen Euro-5-Diesel, weil sie mit 39 Prozent den Großteil des Diesel-Bestandes ausmachen. Dass die relativ jungen Selbstzünder (seit 2009) schlechter abschneiden als Euro-4-Modelle, heizt die Diskussion an: Mit durchschnittlich 906 mg NOx/km erweisen sich Euro-5-Modelle laut UBA in der Praxis als die ärgsten Luftverpester. Viele der jüngeren Euro-5-Modelle markieren damit sogar einen Rückschritt gegenüber Euro-4-Dieseln mit 674 mg/km im Schnitt. Eklatanter kann die Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung kaum ausfallen.

Schrumpfdiesel als Dreckschleudern

Grund für die schlechten Abgaswerte ist der Downsizing-Trend: Die Motoren wurden zuletzt bei gleicher Leistung immer kleiner, um den Spritverbrauch und damit die CO₂-Werte zu senken. Viel Aufwand also, um die Klimavorgaben der EU einzuhalten. Bei der Abgasreinigung wurde dagegen meist gespart. In den allermeisten Fällen verfügen Euro-5-Diesel außer über einen Partikelfilter nur über eine sogenannte innermotorische Abgasreinigung: Ein Teil der verbrannten Luft wird dem Motor erneut zugeführt, um die Stickoxide zu entsorgen. Diese Abgasrückführung funktioniert bei niedrigen Lasten und moderaten Temperaturen auf dem Prüfstand prima. Bei großen und schweren Autos werden die meisten dieser Schrumpfdiesel aber zu Dreckschleudern.

Den Autoherstellern dürfte nur bei nachgewiesenem Abgasbetrug rechtlich beizukommen sein. Trotzdem wollen sie Fahrverbote verhindern. Rund die Hälfte der Euro-5-Diesel ließe sich per Software-Update "reparieren", so der bereits erwähnte Experte eines großen Autoherstellers, der ungenannt bleiben möchte. Wie bei den Betrugsdieseln von VW ist die Wirksamkeit dieser Maßnahme aber umstritten. Mit einer verbesserten Luftmassenmessung und Motorsteuerung sollen kritische Spitzenlasten vermieden werden. Dadurch dürften aber die Fahrdynamik leiden und der Verbrauch steigen. Das ist wohl der Grund, warum die Hersteller ihre Diesel nicht längst per Update "sauberer" gemacht haben.

Gibt es bald eine neue Abgasnorm?

Mit reinen Softwaremaßnahmen lassen sich die NOx-Emissionen bestenfalls halbieren. Deshalb kreist die Expertendiskussion momentan um eine neue Emissionseinstufung unter dem Namen Euro-5-Plus. Ihr Ziel ist eine Absenkung der Stickoxidwerte auf der Straße auf rund 250 mg/km. Das reicht nicht für eine offizielle Anerkennung als Euro-6-Fahrzeug. Dafür wären umfangreiche Umbauten nötig. Zum Beispiel eine Kontrolle des Adblue-Füllstandes, um den Fahrzeugstart zu verhindern, wenn das Additiv zur Abgasreinigung fehlt.

So tief greift auch eine Nachrüstlösung von Baumot/Twintec nicht ins Fahrzeug ein. In Tests von ADAC, DUH und Emission Analytics konnte das BNOx genannte System die Stickoxide unter realen Bedingungen um etwa 93 Prozent reduzieren. Doch andere wichtige Zulieferer lehnen eine solche Standardlösung für hunderte verschiedener Modelle ab. Ohne Dauertests sowie eine minutiöse Abstimmung mit dem Autohersteller ist ihnen ein derart tiefer Eingriff in die Abgasnachbehandlung viel zu riskant.

Wer trägt die Kosten - die Hersteller oder die Kunden?

Zudem sind die genannten Kosten von 1500 Euro reine Materialpreise ohne Mehrwertsteuer. Hinzu kämen knapp 200 Euro für ein Steuergerät, weil die Hersteller ihre Motorsteuerung auch aus Gründen der Gewährleistung nicht für fremde Software öffnen wollen. Allenfalls einen lesenden Zugriff auf die Daten der Diagnoseschnittstelle soll ermöglicht werden. Zusammen mit dem Werkstattaufwand von rund vier Stunden liegt der Preis deutlich höher: "Unter 2000 Euro geht bei der Hardware-Nachrüstung gar nichts", sagt der Insider.

Voraussetzung sind Standardteile, die bei Zulieferern schon vorhanden sind. Zum Beispiel von einer späteren Euro-6-Version desselben Autos. Eine Umrüstung von mehreren Millionen Dieselfahrzeugen würde Milliarden kosten. Wer das bezahlen soll, ist völlig ungeklärt. Damit droht neuer politischer Streit. Denn warum sollten die Kosten am Ende auf die Kunden abgewälzt werden? Die Hersteller haben ihnen schließlich saubere Autos versprochen.

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