Abgasskandal:Warum prescht VW jetzt vor?

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Jetzt sind auch noch Benziner von dem Abgasskandal betroffen.

(Foto: AFP)

Der Konzern räumt neue Fehler ein. Dabei ist lange bekannt, dass bei fast allen Herstellern Autos mehr verbrauchen als angegeben. Was treibt VW dazu? Was bedeutet das für die Kunden?

"Unregelmäßigkeiten", so nennt das der Volkswagen-Konzern. 800 000 weitere Autos sind nun von solchen Unregelmäßigkeiten betroffen, zusätzlich zu den elf Millionen Autos zuvor. Diesmal sind es nicht nur Dieselautos, sondern auch Benziner, und das Problem sind nicht, wie bisher, die manipulierten Stickoxid-Emissionen: Am Dienstagabend gab der Konzern bekannt, dass es nun auch Probleme beim Ausstoß des Klimaschädlings Kohlendioxid gebe. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Warum macht VW die Verfehlungen jetzt publik?

Auf den ersten Blick ist das verwunderlich. Es ist seit Jahren bekannt, dass die offiziellen Angaben vieler Autohersteller zum Verbrauch - und damit auch zum Ausstoß von Kohlendioxid, der parallel mit dem Spritverbrauch steigt - oft nicht stimmen. Offenkundig will VW aber nun umfassend reinen Tisch machen. Die Wirtschaftswoche berichtete am Mittwoch, es habe sich zuvor ein Whistleblower aus dem Konzern bei Vorstandschef Matthias Müller gemeldet. Er habe gemeldet, dass die Werte bei Tests auf dem Prüfstand bewusst manipuliert worden seien, damit die Autos in eine bessere Energieklasse eingestuft werden.

Welche Autos sind betroffen?

Betroffen sind nach Angaben von VW 800 000 Autos. Es geht vor allem um Modelle unter dem Markenzeichen "Blue Motion", die als besonders spritsparend beworben werden. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sagte am Mittwoch, rund 100 000 der Autos seien Benziner.

Könnte sich die Zahl der betroffenen Autos ausweiten?

Seit neun Jahren verkauft VW Modelle unter dem Markenzeichen Blue Motion. Auffällig bei den CO₂-Werten sind bisher aber nur die aktuellen Euro-6-Motorenfamilien EA288 (Diesel) und EA211 (Benziner). "800 000 ist eine vorläufige Zahl, wir sind mitten in den Untersuchungen", sagt ein VW-Sprecher.

Warum weichen die Angaben der Hersteller so stark von realen Werten ab?

Der Verband Transport and Environment kam schon vor zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass die Schere zwischen Norm- und Praxisverbrauch in Deutschland 23 Prozent betrug, der Verkehrs-Thinktank ICCT, der die Manipulation der Stickstoff-Werte bei VW mit aufgedeckt hatte, kam auf durchschnittlich 40 Prozent Abweichungen - quer über alle Hersteller. Durch den Trend hin zu immer größeren, schwereren Autos, vor allem zu SUVs, wird der Spagat immer größer. Hinzu kommt der eher realitätsferne Test, den die Fahrzeuge bisher bestehen müssen. Solche Nachteile spielen beim Verbrauch im Labor bislang kaum eine Rolle. "Bei den Verbrauchsangaben der Hersteller handelt es sich um rein theoretische Werte ohne Praxisbezug", kritisiert der ADAC seit Jahren.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Stickoxiden und CO₂-Ausstoß?

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Stickoxiden und CO₂-Ausstoß?

Ja, gerade die Abgasnachbehandlung von Dieselmodellen ist zu einer komplexen Wissenschaft geworden. Mitunter müssen etwa Filter freigebrannt werden - dadurch steigt der Kraftstoffverbrauch und damit der Ausstoß von CO₂. Vereinfacht gesagt gilt der Zusammenhang: je sparsamer das Auto, umso höher ist tendenziell der Stickstoff-Ausstoß. Und umgekehrt.

Was bedeutet das alles fürs Klima?

Der Straßenverkehr macht knapp ein Fünftel der deutschen Kohlendioxid-Emissionen aus. Gemessen wird das nicht anhand von Hersteller-Angaben, sondern über den Absatz an der Zapfsäule. Allerdings müssen die Hersteller strenge europäische Normen einhalten, ansonsten drohen hohe Strafen. Die Abweichungen bei VW könnten deshalb auch ein Brüsseler Nachspiel haben. Grundsätzlich gilt: Die Autos werden zwar sparsamer. Aber dafür gibt es auch immer mehr Autos in Europa.

Haben betroffene Autofahrer Anspruch auf Schadenersatz?

Das hängt von der Dimension der Abweichung beim Spritverbrauch und damit beim CO₂-Ausstoß ab. Bei einer Abweichung von mehr als zehn Prozent vom Normwert können Autokäufer auf Schadenersatz klagen. Der Nachweis muss auf dem Prüfstand geführt werden - und hier liegt das Problem: Denn der sogenannte Neue Europäische Fahrzyklus, dem sich alle Autos bisher unterziehen müssen, findet unter idealen Laborbedingungen bei rund 25 Grad Celsius statt. Dadurch entfallen nicht nur die erhöhten Reibungswiderstände im kalten Motor und an anderen Schmierstellen wie Achsen und Getriebe. Auch dürfen Heiz- und Klimasysteme ebenso abgeschaltet bleiben wie Radio, Sitzheizung, Navi und Fahrerassistenzsysteme. All dies ist legal. Die EU-Kommission als oberste Klimawächterin wusste schon lange von den übermäßig günstigen Resultaten. 2017 soll ein neuer, realitätsnäherer Emissionstest eingeführt werden.

Müssen die Besitzer der VW-Autos jetzt Kfz-Steuer nachzahlen?

Die Steuer orientiert sich seit 2009 an den CO₂-Emissionen. Die Steuerbehörden halten sich dabei an die Typgenehmigung, die das Kraftfahrt-Bundesamt erteilt. Für Autos, deren Typgenehmigung fehlerhaft ist, gibt es keinen Präzedenzfall. Die Grünen fordern nun Ermittlungen gegen VW - der Konzern hat sich "durch zu niedrig angegebene CO₂-Werte der Steuerhinterziehung schuldig gemacht", sagt Steuerpolitikerin Lisa Paus. Verkehrsminister Dobrindt geht davon aus, "dass man eine Lösung findet, die den VW-Kunden nicht belastet".

Warum hat das Kraftfahrt-Bundesamt die höheren CO₂-Werte nicht erkannt?

Das weiß man in der Behörde selber nicht. Ein Sprecher sagte: "Das ist jetzt zu klären. Da befinden sich die Kollegen in einer Phase des Erkenntnisgewinns." Man werde nun den Sachverhalt "mit der gleichen Qualität prüfen wie die Vorwürfe zu Stickoxiden".

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