Abgasaffäre:Dobrindt scheut den Konflikt mit der Autoindustrie

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Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bei der Vorstellung der Ergebnisse des Abgastests, den das Kraftfahrt-Bundesamt durchgeführt hat. (Foto: Getty Images)
  • Eine Messung des Kraftfahrt-Bundesamtes ergab: Fast alle der 53 getesteten Dieselautos stoßen mehr Stickoxide aus als erlaubt.
  • Einige davon überschreiten die erlaubten Grenzwerte um mehr als 1000 Prozent.
  • Dennoch setzt Verkehrsminister Dobrindt auf Konsens statt Konflikt mit der Autoindustrie; statt Durchgreifen gibt es verharmlosende Erklärungen.

Von Markus Balser, Berlin, Thomas Fromm und Klaus Ott, München, Berlin/München

Einmal angenommen, Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr fänden nur dort statt, wo Autofahrer sowieso bremsen müssen. An einer roten Ampel, an den Ein- und Ausfahrten von Autobahnen, beim Abbiegen. Niemand wäre zu schnell, es gäbe keine Verstöße, aber natürlich wäre das die reinste Farce. Der einzige Sinn und Zweck der Kontrollen wäre es, nichts zu kontrollieren.

So ähnlich läuft das seit Jahren bei den Abgas-Messungen von Diesel-Fahrzeugen. Von den Behörden geprüft wird im Labor, unter geschönten Bedingungen - direkt vor der Ampel sozusagen. So dürfen zum Beispiel ganz offiziell die Reifen aufgepumpt werden, um den Rollwiderstand zu senken - das verbessert die Werte, hat aber mit den realen Emissionen im Straßenverkehr nichts mehr zu tun.

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Seit Freitag liegen in Deutschland erstmals amtliche Messergebnisse dazu vor, wie viel Dreck Autos wirklich ausstoßen. Das verheerende Resultat des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) aus Flensburg: Fast alle der insgesamt 53 untersuchten Fahrzeuge stoßen mehr Stickoxide aus als erlaubt. Zum Teil werden die Grenzwerte weit überschritten. Dokumentiert ist das in der letzten der jeweils acht Prüfreihen des KBA bei den 53 Autos und Jeeps. Das ist eine, so beschreibt es das Bundesamt selbst, "realitätsnahe Straßenmessung"; kurz RDE genannt. RDE steht für " Real Drivings Emissions". Prüfreihe acht zeigt also besser als die übrigen sieben Test-Zyklen, wie viel der gesundheits- und umweltschädlichen Stickoxide wirklich aus dem Auspuff herauskommen: Es sind viel zu viele.

Konsens statt Konflikt mit der Autoindustrie

Die Frage ist nun: Werden daraus auch die richtigen politischen Konsequenzen gezogen? Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) setzt die Politik seiner Vorgänger fort: Konsens statt Konflikt mit der Autoindustrie; verharmlosende Erklärungen, nur nicht Durchgreifen. Der jetzt von Dobrindt vorgelegte Untersuchungsbericht endet unter anderem mit einer bezeichnenden Aussage. Das KBA werde mit jenen Herstellern im Gespräch bleiben, die bisher "aus technischen Gründen keine Möglichkeit der Verbesserung" sähen.

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Technische Möglichkeiten, aber heißt es in der Branche hinter vorgehaltener Hand, gebe es durchaus. Man müsse nur bereit sein, in sie zu investieren. Vielen Autokonzernen sind diese technischen Möglichkeiten offenbar nur schlicht zu teuer.

Die neuen Tests offenbaren Erstaunliches. Denn VW-Autos - wegen der Manipulationen ohnehin in Verruf geraten - sind nicht mal die schlimmsten Abgassünder. Passat, Beetle und Golf mit Schummelsoftware lagen zwar zwischen 190 und fast 350 Prozent über den Grenzwerten. Ausgerechnet ein Passat und ein Touran von VW sowie ein A3 der Tochter Audi erfüllten dagegen die Euro-6-Norm, obwohl doch Volkswagen mit seiner Abgas-Affäre Auslöser der gesamten Untersuchung war. Bei diesen drei und auch anderen Fahrzeugen mit einem neuen Motor (EA 288) hat der VW-Konzern die Schadstoff-Messungen nicht manipuliert; anders als bei früheren Modellen mit der Motorreihe EA 189.

Doch viele andere Hersteller fielen mit erstaunlich hohen Werten auf. Fiat und Opel kamen im Straßentest jenseits der Laborbedingungen mit einzelnen Modellen auf eine Überschreitung der Grenzwerte um 800 Prozent, beim Range Rover, bei Modellen von Dacia, Renault und Suzuki lagen die Ergebnisse bei mehr als 1000 Prozent über dem bei Labormessungen erlaubten Wert. Rechtlich bewegen sich die Hersteller damit allerdings in einer Grauzone. Denn die RDE-Straßentests sind nach EU-Bestimmungen erst ab 2017 vorgeschrieben. Andererseits: Bis 2017 ist nicht mehr viel Zeit.

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SZ-Grafik; Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)

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SZ-Grafik; Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)

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SZ-Grafik; Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)

Dass die Labor- und Straßenwerte derart stark voneinander abweichen, hat technische Gründe. Alle Hersteller nutzen sogenannte "Thermofenster" - eine Steuerung, die bei niedrigen Außentemperaturen die Abgasreinigung herunterfährt, damit der Motor keinen Schaden nimmt. Dies ist nach EU-Vorschriften in Ausnahmefällen möglich. Die Hersteller machten davon aber im großen Stil Gebrauch.

Hohe Abgaswerte sind die Regel, nicht die Ausnahme

Knapp die Hälfte der Modelle konnte den Prüfern nicht plausibel belegen, dass es technische Gründe für das Herunterfahren der Regelung gab. Die Abgaswerte fielen hier auffällig hoch aus. Bei manchen Wagen seien diese Thermofenster bereits bei einer Außentemperatur von 18 Grad zum Einsatz gekommen, hieß es. Hohe Abgaswerte sind dann nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Möglicherweise fuhren die Autohersteller die Abgasreinigung schlicht aus Kostengründen herunter. Denn die Beispiele Passat, Touran und A3 zeigen, was die Autoindustrie heute offenbar kann, wenn sie will. Auch BMW steht halbwegs gut da, aber vor allem deshalb, weil die Konkurrenz so dramatisch schlecht aussieht. Das KBA hat drei BMW-Modelle getestet. Alle drei überschreiten bei der "realitätsnahen Straßenmessung" die Grenzwerte, um rund das Doppelte und mehr.

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Die Daimler-Belegschaft ist "verunsichert"

Aus Sicht des Kraftfahrt-Bundesamtes sind diese Werte aber "unauffällig". Dies deshalb, weil sich das KBA jenes Tricks bedient, den die Europäische Union (EU) anwendet. Bis September 2017, bei neuen Fahrzeugen sogar bis September 2019, dürfen die Grenzwerte um den Faktor 2,1, also um mehr als das Doppelte überzogen werden. Dies sieht eine Übergangsfrist für die Verschärfung der Grenzwerte vor.

In der Industrie sorgen die Nachrichten für große Unruhe - die Angst, irgendwann zu einem zweiten Fall Volkswagen zu werden, ist groß. Zum Beispiel bei Daimler: Monatelang hatte der Konzern Vorwürfe zurückgewiesen, er würde tricksen - jetzt müssen auch viele Modelle der Stuttgarter zurückgerufen werden und die US-Behörden wollen Ermittlungen, um zu verstehen, unter welchen Bedingungen die offiziellen Abgaswerte ermittelt wurden. "Die Nachricht, dass das US-amerikanische Justizministerium die Daimler AG aufgefordert hat, den Zertifizierungsprozess in Bezug auf Abgasemissionen in den USA intern zu untersuchen, hat uns überrascht", sagte Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht den Stuttgarter Nachrichten. Die Belegschaft sei "verunsichert".

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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