Abgasskandal:Der Diesel wird zum teuren Nischenprodukt

Auspuff eines Dieselautos

Voller Stickoxide und Rußpartikel: Die Abgase eines weitgehend ungefilterten Dieselautos.

(Foto: dpa)
  • Dass jetzt viele Hersteller ihre Diesel nachrüsten, zeigt: Der Antrieb war unausgereift und die Politik hat alle Augen zugedrückt.
  • Die technischen Gründe, warum Selbstzünder mehr Schadstoffe ausstoßen als Benziner, sind komplex.
  • Das Q&A erklärt, warum der Diesel derart in Verruf geraten ist und die Zukunftsaussichten eher düster sind.

Von Joachim Becker

Retten, was zu retten ist: Mercedes will drei Millionen Diesel nachrüsten, Audi und BMW werden folgen. Mit Software-Updates wollen die Autohersteller ihre Selbstzünder nachträglich sauberer machen. Angeblich soll der Kunde keine Nachteile davon haben - weder durch höheren Kraftstoffverbrauch noch durch schlechtere Fahrdynamik. "Wir haben aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre gelernt und können die Motorsteuerung daher optimieren", sagt ein Mercedes-Sprecher.

Man könnte auch sagen: Der Diesel war unausgereift - und die Politik hat alle Augen zugedrückt. Jetzt könnte es für das Erfolgsmodell aus deutschen Entwicklungslabors zu spät sein: Wenn es die Städte mit ihren Umweltzonen ernst meinen, muss ein Großteil der Selbstzünder draußen bleiben. Und die neuen, wirklich sauberen Diesel werden teuer.

Warum sind Dieselabgase ein Problem?

Stadtluft macht krank. Kinder, Jugendliche und alte Menschen sind besonders gefährdet. Reizgase aus dem Auspuff erschweren das Atmen. Auf Dauer können sie nicht nur die Lunge schädigen, sondern auch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Schuld daran sind in Europa vor allem Dieselfahrzeuge mit hohem Stickoxid-Ausstoß (NOx). In den Städten stammt mehr als die Hälfte dieser lokalen Luftbelastung direkt aus dem Straßenverkehr. In ländlichen Gebieten liegen die NOx-Werte dagegen um zwei Drittel niedriger und überschreiten nur selten das kritische Limit.

Nach Aussage der Europäischen Umweltagentur sind in Deutschland jährlich etwa 10 000 vorzeitige Todesfälle auf die NOx-Belastung zurückzuführen. Wenn alles so weitergeht wie bisher, könnten im Jahr 2040 weltweit 174 000 vorzeitige Todesfälle auf das Konto der schmutzigen Selbstzünder gehen. Das zeigt eine aktuelle Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT). Dieselstinker sind also eine Zeitbombe, die dringend entschärft werden muss.

Warum stoßen Diesel mehr Schadstoffe aus als Benziner?

Dieselfahrzeuge galten lange Zeit als Wunderwaffe, um die Klimaziele im Straßenverkehr zu erreichen. Vorteil moderner Ölbrenner: Sie können ein extrem mageres Kraftstoff-Luft-Gemisch verbrennen. Das spart Sprit, in der Regel liegt der Verbrauch um 20 Prozent niedriger als beim Benziner. Anders als viele Nutzfahrzeuge werden Diesel-Pkw aber selten mit konstantem Tempo gefahren. Auf Kurzstrecken und im dynamischen Hin und Her des Stadtverkehrs drohen die Effizienzgewinne wieder zu verpuffen: Mit kalter Abgasanlage, viel Sauerstoff und hohen Drücken im Brennraum stoßen Diesel viel mehr Stickoxide aus als Benziner.

Euro-6-Modelle versuchen das Problem meist mit einer aktiven Abgasreinigung zu lösen. Doch die Einspritzung der Harnstofflösung Adblue ergibt erst dann Sinn, wenn der Katalysator 200 Grad Celsius heiß ist. Vorher klappt die Umwandlung der Stickoxide in harmlosen Wasserdampf und Stickstoff nicht. Bei den meisten Stadtfahrten kommt das System erst gar nicht auf Betriebstemperatur. Auf Kurzstrecken unter zehn Minuten Dauer werden also auch Euro-6-Diesel oft nur unzureichend gereinigt. Abhilfe könnte das Vorglühen des Katalysators schaffen: Der Zulieferer Continental, der gerade einen Heizkatalysator vorgestellt hat, schätzt die Mehrkosten auf rund 1000 Euro für eine Serienversion ab Werk. Dadurch würden Dieselneuwagen noch teurer, als sie ohnehin schon sind. Die Nachrüstung für ältere Modelle ist wirtschaftlich nicht sinnvoll.

Das Thermofenster - legal oder nicht?

Wie dreckig sind Euro-5-Diesel?

Alle Euro-5-Diesel haben einen Partikelfilter. Zum Feinstaubproblem in den Städten tragen sie also weniger bei als moderne Benzin-Direkteinspritzer. Doch das Stickoxidproblem ist damit noch nicht gelöst. Daher verbrennen neuere Dieselmodelle ihre Abgase meist ein zweites Mal: Ein Teil der Abluft wird vom Motor über einen geschlossenen Kreislauf erneut angesaugt. Momentan steht diese Abgasrückführung im Zentrum der Diskussion: Lässt sich die innermotorische Abgasreinigung sinnvoll auf über 50 Prozent steigern? Nur dadurch könnte ein Großteil der bestehenden Dieselflotte per Software-Update schnell und kostengünstig sauberer werden.

Warum wurden Euro-5-Diesel nicht schon längst nachgerüstet?

Daimler will drei Millionen Dieselfahrzeuge per Software nachrüsten. Für Umweltverbände war diese Maßnahme längst überfällig. Denn der Mercedes-Vierzylinderdiesel vom Typ OM 651 ist nicht nur durch seine Effizienz aufgefallen. Messungen auf der Straße zeigen seit Jahren katastrophal schlechte Abgaswerte. Sobald sich Fahrzeuge mit dem OM 651 außerhalb des rund 25 Grad Celsius warmen Testlabors bewegen, wird die Abgasnachbehandlung "flexibel geregelt, um den Motorschutz und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten", heißt es bei Mercedes.

Experten sprechen von einem "Thermofenster", wenn die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur gesteuert wird. Grund sind Kohlenwasserstoffe und Ruß im Abgas. Wenn die unverbrannten Rückstände in den kalten Rohrleitungen kondensieren, setzen sie die abgasführenden Bauteile zu. Diese Erfahrung haben viele Hersteller gemacht: Unter Hinweis auf den gesetzlich zulässigen Bauteilschutz reduzieren sie die Abgasrückführung bei deutschen Durchschnittstemperaturen. Das Ergebnis sind vermeintlich saubere Diesel, die im Alltag zu Dreckschleudern werden.

Ist so ein "Thermofenster" illegal?

Zumindest in den USA gibt es dafür genaue Vorschriften. Ein Abschalten der Abgasreinigung ist dort strikt verboten. Das Beispiel VW zeigt, welche Folgen eine derartige Betrugssoftware ("Defeat Device") haben kann. Auch für Audi, Fiat Chrysler und Mercedes ist das Thema noch nicht ausgestanden. Denn jede entsprechende Software muss den Behörden in den USA genauestens dargelegt werden. Anders als in Europa prüft die US-Umweltbehörde EPA mit hohem Engagement, ob die Stickoxid-Limits eingehalten werden. Pro Meile (1,6 Kilometer) dürfen Diesel-Pkw genau wie Benziner nur 50 Milligramm NOx ausstoßen. Das ist weniger als die Hälfte des Euro-6-Grenzwerts (80 mg NOx/km). Prinzipiell können Diesel also sauber sein - billige Kleinwagen mit Selbstzünder gibt es in den USA aber genauso wenig wie Steuervorteile für den Dieselkraftstoff.

In Europa ist der Nachweis einer illegalen Abschalteinrichtung schwieriger. Die Vorschrift 715/2007/EG, verlangt zwar eine funktionierende Emissionsminderung "in normal use", also bei normalem Gebrauch. Explizit verboten sind Einrichtungen, die eine Abgasreinigung im Straßenbetrieb abschalten - so wie es zum Beispiel einige Fiat-Chrysler-Diesel nach 22 Minuten machen. Doch auf dem Prüfstand sind solche Tricks schwierig nachzuweisen. Allein schon deshalb, weil das System den Prüfstandsbetrieb erkennt, der im NEFZ-Testzyklus nach 20 Minuten endet.

Die Motorsteuerung eines modernen Selbstzünders ist ohnehin ein Labyrinth: Mit bis zu einer Million Zeilen Programm-Code und der Rechenpower eines modernen Taschencomputers kann das Kraftstoff-Luft-Gemisch und die Abgasnachbehandlung permanent reguliert werden. Die Software steuert 50 und mehr verschiedene Fahrmodi vom Kaltstart bis zum Anhängerbetrieb in Höhenluft. Bisher hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) bei der Typprüfung nicht genau nach diesen Betriebsstrategien gefragt. Der Quellcode der entsprechenden Software musste nicht offengelegt werden. Das KBA hat auch nicht in Brüssel geklärt, wie weit Thermofenster zulässig sind. In dieser Grauzone konnten die Hersteller unbehelligt pfuschen. Erst Anfang 2017 hat die EU-Kommission zusätzliche Leitlinien für die Erkennung von Abschalteinrichtungen bekannt gegeben.

Wie sieht die Zukunft des Diesels aus?

Hat die Politik nichts vom "Thermofenster" gewusst?

Experten des Umweltbundesamtes (UBA) kritisieren diese Gesetzeslücke schon lange: "Wir müssen endlich solche Sonderregelungen beenden", fordert UBA-Fachgebietsleiter Lars Mönch seit Jahren: "Erstens gibt es einige Fahrzeugmodelle, bei denen die Abgasnachbehandlung auch in der Praxis vorbildlich klappt. Und zweitens: Der Bauteilschutz wurde früher vor allem gebraucht, weil Katalysatoren und Turbolader nicht hochtemperaturfest waren. Das Argument gilt nicht mehr." Neue Materialien haben die Katalysatoren und Turbolader längst alterungsbeständig gemacht. Statt der Überhitzung einzelner Bauteile sind niedrige Temperaturen in der Abgasanlage das eigentliche Problem. Doch das Bundesverkehrsministerium ließ die Autohersteller zehn Jahre lang gewähren. Bis sich die europäischen Gremien endlich auf Straßentests einigen konnten, durften ihre Diesel unbehelligt tricksen.

Macht der neue Testzyklus Real Driving Emissions (RDE) alles besser?

Bisher war die Norm Euro 6 (seit 2015) kein Gütesiegel für saubere Abgase. Das zeigen nicht nur eine Reihe von Messungen auf der Straße, sondern auch die "freiwilligen" Mercedes-Nachbesserungen. Um einem offiziellen Rückruf durch das KBA zuvorzukommen, wollen die Stuttgarter (ähnlich wie Opel bei dem 1.6 CDTI ecoFlex) auch die neueste Version ihres OM 651-Vierzylinders überarbeiten: Bei den Euro-6-Varianten soll die Harnstoff-Dosierung erhöht werden. Voraussichtlich müssen die Kunden dann häufiger Adblue nachfüllen.

Künftig führt kein Weg an einer drastischen Senkung des NOx-Ausstoßes vorbei: Ab September 2017 soll die neue Abgasstufe Euro 6d allen Schummeleien endgültig einen Riegel vorschieben. Dann werden die Laborprüfungen verpflichtend durch Praxistests ergänzt. Knapp Kühlschrank-große mobile Messgeräte auf der Anhängerkupplung analysieren die Auspuffabgase auf Stickoxide und Feinstaubpartikel.

Auf der Straße dürfen Euro-6d-Modelle nur noch das 2,1-Fache des Laborwerts ausstoßen. Das klingt viel: Statt 80 mg/km Stickoxid sind in der Praxis 168 mg/km erlaubt. Doch diese Realemissionen liegen weit unter dem aktuellen Euro-6-Durchschnitt, den das UBA mit 507 mg/km angibt. Berücksichtigt wird auch die Kaltstartphase zu Beginn der knapp zweistündigen RDE-Testfahrt. Bis minus sieben Grad Celsius muss der NOx-Ausstoß möglichst gering bleiben. Für die neue Typprüfung wird die Abgasanlage daher mit verschiedenen Katalysatoren bestückt. Weil das System auch im städtischen Stop-and-go schnell aufwärmen soll, steigt der Kraftstoffverbrauch je nach Fahrprofil um bis zu fünf Prozent. Für Kurzstreckenfahrer wird der saubere Diesel also deutlich unattraktiver.

Wenn die realen Stickoxidwerte ab 2021 nur noch das 1,5-Fache des Laborwerts erreichen dürfen, könnte sich der Dieselanteil bei Neuwagen auf 20 Prozent halbieren. Die meisten Modelle müssen dann wohl mit einem zusätzlichen 48-Volt-System ausgestattet werden. Der Mild-Hybrid macht den Selbstzünder noch teurer - und für Privatkäufer mit geringer jährlicher Fahrleistung weitgehend uninteressant. So gesehen schafft sich der Diesel als sauberer Sparantrieb selbst ab.

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