Abgasreinigung für Diesel:Intelligente Chemiefabrik für doofe Oldtimer

Eine Diesel-Zapfpistole im Tank-Einfüllstutzen eines Autos.

Ältere Dieselautos für 1500 Euro mit moderner Katalysatortechnik nachrüsten? So einfach ist es nicht.

(Foto: AFP)
  • Umweltverbände und Politiker fordern immer wieder Hardware-Nachrüstungen für ältere Dieselautos, um deren Stickoxidausstoß zu senken.
  • Zwei unabhängige Gutachten zeigen, wie schwierig es ist, die zusätzliche Abgasreinigung in die Fahrzeuge zu integrieren.
  • Die Entwicklung von wirksamen Katalysatorsystemen dauert Jahre - und kann so teuer werden wie der Einbau eines komplett neuen Motors.

Von Joachim Becker

Schmutzige Diesel und niemand hat etwas gewusst? Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnte schon 2011 vor Neuwagen, die Grenzwerte nur im Labor einhalten. "Die Umwelt interessiert nicht der Prüfzyklus, sondern die tatsächlichen Emissionen bei der Nutzung der Fahrzeuge", mahnte DUH-Abgasexperte Axel Friedrich. Damals glaubten Autokäufer noch an die Mär vom sauberen Diesel. Jetzt bekommen sie die Quittung: Das Bundesverwaltungsgericht billigt Fahrverbote; ab nächsten Donnerstag dürfen selbst Euro-4-Selbstzünder mit der grünen Plakette nicht mehr alle Straßen in Hamburg-Altona befahren. Für die neueren Euro-5-Diesel kommen Verbote ab September 2019 in Betracht. Dann könnte es in hoch belasteten Städten wie Stuttgart und München regelmäßig heißen: Bis zu 5,3 Millionen relativ junge Ölbrenner müssen draußen bleiben.

Die Restwerte der ausgesperrten Dieselmodelle befinden sich im freien Fall, der Schaden geht in die Milliarden. Autohersteller und Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu. "Seit zehn Jahren ist bekannt, dass die Emissionsnormen unrealistisch sind und niemand die Einhaltung im Realverkehr einforderte", so ein führender Berater der Bundesregierung. Auch ein leitender Diesel-Entwickler will momentan lieber ungenannt bleiben. Er beschreibt die Abgaszertifizierung als eine Art von Steuererklärung: "Da versuchen Sie ja auch, nur das Nötigste zu zahlen."

Den schwarzen Peter haben die hoch belasteten Kommunen. Zumal Deutschland auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der dicken Luft verklagt wird. Umstritten ist, wie weit Software-Updates helfen: Die Autohersteller wollen die Stickoxid-Emissionen (NOx) so um fast ein Drittel senken. Die optimierte Motorsteuerung und Abgasrückführungsstrategie muss von den Zulassungsbehörden aber in jedem Einzelfall abgesegnet werden. Das führt momentan zu erheblichen Verzögerungen. Für die DUH sind die "Mickey-Maus-Updates" ohnehin nur Placebo-Maßnahmen, weil die Abgaswerte bei winterlichen Temperaturen genauso schlecht blieben wie zuvor.

Neue Modellgenerationen entstehen meist nicht auf einem weißen Blatt Papier. Sie sind oft nur punktuell aufgehübschte Weiterentwicklungen. Die alten, unflexiblen Antriebsarchitekturen begrenzen eine moderne Abgasreinigung. Selbst bei aktuellen Neuwagen fordern die Altlasten ihren Tribut. "Mit Euro 6 werden Diesel so sauber wie Benziner", versprach der Automobilverband VDA 2014. Wenig später stattete die Delfter Prüforganisation TNO solche Saubermänner mit mobilen Abgasmessgeräten (PEMS) aus. Selbstzünder wie die Mercedes C-Klasse zeigten bei den Straßentests im Frühjahr 2015 alarmierend hohe Stickoxidwerte. Hatte sich Mercedes bis dahin mit dem "saubersten Diesel" der Welt gebrüstet, mussten die Stuttgarter nun eingestehen, dass sie mit Thermofenstern und anderen "Maßnahmen zum Motorschutz" tricksen. Wer das im Hinterkopf behält, versteht besser, warum Hardware-Nachrüstungen problematisch sind.

Intelligente Chemiefabrik für doofe "Oldtimer"

Zunächst klingt alles ganz plausibel: Euro-5-Motoren, die generell "nur" über Oxidationskatalysator, Partikelfilter und Abgasrückführung verfügen, sollen mit einem zusätzlichen Katalysator ausgestattet werden. "Nur eine technische Nachrüstung mit einem in allen Betriebszuständen funktionierenden Abgasreinigungssystem kann die derzeit stattfindende Enteignung der vielen Millionen Diesel-Haltern stoppen", so DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Die Umwelthilfe und einige Zulieferer haben Prototyen präsentiert und die Kosten auf rund 1500 Euro taxiert. Eine Rechnung, die für viele Antriebsexperten zu viele Unbekannte enthält.

Das erscheint auf den ersten Blick widersinnig: In den USA werden solche Katalysatoren seit über zehn Jahren eingesetzt, um die kalifornischen Grenzwerte mit dem Diesel zu erreichen. Spätestens ab September dieses Jahres gehört die katalytische Abgasreinigung mit Hilfe einer Harnstofflösung (Adblue) bei allen neuen Modellen mit der Abgasstufe Euro-6d Temp zum Standard. Eine ausgereifte Technik also, möchte man meinen. Das Problem ist nur, dass man sie in ziemlich doofe "Oldtimer" einbaut.

Im Stadtverkehr sind Dieselmotoren unterfordert

Es geht eben nicht nur darum, ob die neuen Katalysatoren in die alten Abgasstränge passen. Viel kritischer als die Hardware und ihre Versorgung mit Adblue ist die intelligente, hochdynamische Steuerung einer mehrstufigen Chemiefabrik im Unterboden. Egal an welcher Stellschraube man dreht: Alles hat einen erheblichen Einfluss auf das Gesamtsystem. Das ist der große Unterschied zur Hardware-Nachrüstung von Dieselbussen, die viel gleichmäßiger gefahren werden. Im Konstantbetrieb haben Nutzfahrzeuge weit weniger Schwierigkeiten, die Backofen-Temperatur von rund 200 Grad Celsius im Abgasstrang zu halten, um Stickoxide in harmlosen Stickstoff und Wasserdampf zu verwandeln.

Die ersten Euro-6-Pkw leiden ja gerade daran, dass sie im Kurzstreckenverkehr oder bei geringer Last, zum Beispiel beim Mitschwimmen im Stop-and-Go, schnell auskühlen. Große Motoren verschärfen das Problem, weil sie im Stadtverkehr unterfordert sind. Der Joker im Nachrüst-Poker scheinen Euro-5-Fahrzeuge zu sein, die eine Adblue-Variante haben. "Es ist davon auszugehen, dass Fahrzeughersteller auch für Fahrzeugtypen bereits vor EU 6 Abgassysteme mit SCR-Katalysatoren entwickelt haben", schreibt Georg Wachtmeister in seinem Gutachten für das Bundesverkehrsministerium. Zum Politikum wurde der 14-seitige Text vor allem wegen seines Schlusssatzes: "Aus jetzigen Abschätzungen geht hervor, dass sich der Kostenrahmen für eine Hardware-Nachrüstung in einer realisierbaren Größenordnung bewegt", so der Professor für Verbrennungskraftmaschinen an der TU München.

Ohne tiefe Eingriffe funktioniert das System nicht

Die DUH sieht durch das "Regierungsgutachten die Machbarkeit der technischen Nachrüstung bestätigt". Doch was ist eine "realisierbare Größenordnung"? Hier widerspricht das Wachtmeister-Gutachten der DUH: "Aus den Reihen der Firmen des Nachrüstmarktes wurden Kosten für eine Hardware-Nachrüstung gestaffelt nach Stückzahlen von 1000 bis 3000 Euro genannt. Aus meiner Sicht sind diese Kosten etwas zu optimistisch geschätzt. Einschließlich der Kosten für die Einbauarbeiten werden sich wohl Kosten von circa 3000 Euro ergeben." Das ist wohlgemerkt eine erste, generalisierende Kostenschätzung, der ein paralleles Gutachten im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums vehement widerspricht.

Grund sind eine Reihe von gegensätzlichen Effekten durch den Einbau eines zusätzlichen Katalysators. Wie ein Pfropfen in einer gestopften Trompete steigert er zum Beispiel den Abgasgegendruck und damit die Partikelemissionen. Folglich müssen die Reinigungszyklen des Partikelfilters angepasst werden - was bei einem alten Euro-5-Entwicklungsstand mit einem Partikelfilter ohne passiven Partikelabbau einfacher klingt, als es ist. Das mache einen "umfassenden Eingriff in die Motorsteuerung erforderlich", heißt es im gemeinsamen Gutachten der Professoren Baar, Bagende, Beidl, Koch und Rottengruber. Vom höheren Spritverbrauch für die Filterreinigung ganz zu schweigen.

In dem 153-seitigen Gemeinschaftsgutachten werden viele solcher Abhängigkeiten beschrieben, die jeder Diesel-Entwickler kennt. Deshalb seien bei der Hardware-Nachrüstung auch die "Absicherungsarbeiten mit Einbeziehung der den Herstellern bekannten Worst-Case-Szenarien" zu berücksichtigen, fordert das Autoren-Kollektiv.

In der Diesel-Historie hat es genug brennende Partikelfilter und erstickte Motoren mit zugesetzten Abgasrückführungssystemen gegeben. Es genügt nicht, einige Teile aus dem Regal zu kombinieren - die Chemiefabrik muss dauerhaft sicher funktionieren. Experten kennen zahllose Spätfolgen wie korrosive Ablagerungen durch ätzenden Ammoniak bei einer Abgastemperatur von weniger als 180 Grad Celsius. Das Reizgas, das bei der Umwandlung aus Adblue entsteht, darf auch nicht aus dem Auspuff entweichen. Ein Ammoniak-Schlupfkatalysator fehlt aber bei den meisten bisher vorgestellten Nachrüstlösungen.

Es kann Jahre dauern, bis Hardware-Nachrüstungen serienreif sind

In diesem Kontext wird klar, dass die Nachrüstung mit voller Herstellergarantie fast so aufwendig wäre wie der Einbau eines komplett neuen Motors. Für den Umbau eines BMW 320d EU5 mit einem SCR-Katalysatorsystem im Fahrzeugunterboden rechnet das Professoren-Team mit Kosten von rund 9000 Euro brutto. Von einer Nachrüstung ohne Langzeit-getestete Bauteile, bewährte Software-Bausteine und ein gesamthaftes Systemverständnis raten beide Gutachten unisono ab. Damit sind nicht autorisierte, autarke Bastellösungen ohne vollen Zugang zur Motorelektronik vom Tisch.

Selbst dann bleibt das Problem der Kraftstoff-Nacheinspritzungen, um den SCR-Katalysator im motorfernen Teil des Abgasstrangs zu heizen. Durch einen deutlich höheren Verbrauch würde jedoch die Betriebserlaubnis erlöschen. "Unter der Vorgabe der Erfüllung gleicher Sicherheits- und Qualitätsanforderungen wie bei der Originalausrüstung würde der Entwicklungsprozess circa 1,5 Jahre für ein einzelnes Modell dauern", schreiben Baar, Bagende, Beidl, Koch und Rottengruber. Aufgrund der unterschiedlichen Testanforderungen genügt auch keine US- oder Euro-6-Variante; solche Vorentwicklungen mit allen Abgasnachbehandlungs-Komponenten, dem angepassten Kabelbaum, dem Adblue-Tank mit Füll- und Heizeinrichtung, dem Dosiersystem, NOx-Sensoren sowie der Serienabsicherung können den Prozess aber beschleunigen.

Um die vielen verschiedenen Entwicklungsziele unter einen Hut zu bringen, ist in jedem Fall weit mehr Zeit vonnöten, als viele Nachrüster glauben machen. Eine schnelle Lösung, um Fahrverbote und Klagen in den Städten zu verhindern, ist die Hardware-Nachrüstung nicht.

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