Abgas-Affäre:Deutsche Kunden müssen allein gegen VW kämpfen

Der Stand von Volkswagen auf der Hannover Messe

Ein verhülltes Auto am VW-Stand auf der Hannover Messe.

(Foto: dpa)
  • Während Volkswagens US-Kunden im Abgas-Skandal wohl entschädigt werden, ist in Deutschland die Aussicht auf Schadenersatz gering.
  • Da es hierzulande das juristische Instrument der Sammelklage nicht gibt, müssen betroffene Verbraucher allein gegen VW vorgehen.
  • Verbraucherschützer wollen in dieser Hinsicht zumindest Besserung erreichen.

Analyse von Markus Balser und Max Hägler

Die Einladungskarte ist bunt, die Tonlage fröhlich. Mit dem Slogan "Vertrauen erfahren" lädt Europas größter Autohersteller seine Kunden gerade zum Volkswagenfest in die Autohäuser ein. Ende des Monats wollen die Konzernstrategen das neue Tiguan-Modell vorstellen - Überschlagsimulator und Currywurst inklusive.

Doch viele Kunden haben derzeit wenig Lust auf ein Fest mit VW. Zehntausende haben das Vertrauen in die Wolfsburger nach den Manipulationen in der Abgasaffäre verloren. Stattdessen empfinden viele Frust. Während sich Käufer in den USA auf einen vermutlich vierstelligen Dollar-Betrag Schadenersatz einstellen können, müssen sich hiesige VW-Käufer als Kunden zweiter Klasse fühlen. Sie könnten leer ausgehen. Darauf deutet die Erklärung eines Konzernsprechers vom Donnerstagabend hin, die Einigung mit US-Behörden werde "in Verfahren außerhalb der USA keine rechtlichen Wirkungen entfalten". Verbraucherschützer sind empört und warnen den Autobauer vor einem Zweiklassensystem bei der Wiedergutmachung. Damit steige "die Ungerechtigkeit gegenüber deutschen Kunden", sagte Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes.

Trotz aller Unterschiede, die VW macht: Die Kunden in Deutschland sind zumindest nicht recht- und machtlos. Sie können darauf pochen, dass der Schaden behoben wird. Der Konzern muss entsprechende Umrüstungen mit Software-Updates oder zusätzlichen Bauteilen anbieten. Wenn die Umrüstung nichts bringt, können Kunden auch vom Kaufvertrag zurücktreten.

Der Passat-Rückruf kommt nicht in Gang

Doch in der Praxis gestaltet sich das schwierig. Denn die Rückrufaktion zieht sich hin. In Deutschland ist noch immer unklar, wie viele der manipulierten Autos genau umgerüstet werden. Der Rückruf des VW-Passats droht sogar zum Desaster zu werden. Trotz wochenlanger Nachprüfungen sowie Nachbesserungen an der neuen Software ist es Volkswagen bislang offenbar nicht gelungen, die vorgegebenen Grenzwerte einzuhalten. VW muss deshalb den Rückrufplan ändern und andere Fahrzeuge, zum Beispiel den Golf, früher in die Werkstätten rufen.

Wie schwer der Kampf um Wiedergutmachung vor deutschen Gerichten werden dürfte, erlebte im März ein Geschichtsprofessor aus Trier. Seinen 38 000 Euro teuren Tiguan wollte der Kunde an sein Autohaus zurückgeben. Als der Händler ablehnte, zog er vor Gericht. Doch nach Einschätzung der Richter lassen sich die Mängel beheben. Sie wiesen die Klage ab.

Nicht viel Hoffnung für deutsche Kunden

Experten erwarten angesichts erster Urteile harte Auseinandersetzungen. Gut zwei Millionen Kunden sind in Deutschland betroffen, da dürfte VW schon wegen der Gesamthöhe einer möglichen Entschädigung wohl nicht nachgeben. Volkswagen kann sich bis zur letzten Instanz wehren. So könnten Jahre vergehen, bis Käufer eine Entschädigung erhalten.

Der Nachteil für deutsche Kunden: Sie müssen anders als in den USA, wo Sammelklagen möglich sind, im Alleingang vor Gericht. Ein kostspieliger und zeitraubender Weg. Andreas Tilp, Rechtsanwalt bei der gleichnamigen Kanzlei in Schwaben, hat erst in der vergangenen Woche die Verbraucherzentralen beraten - und ihnen nicht viel Hoffnung gemacht: "Wir haben zwei unterschiedliche Rechtssysteme: Die USA und Europa." In Amerika werde VW auf Druck der US-Behörden Schadenersatz leisten. "Den Druck gibt es in Europa und Deutschland nicht."

Hierzulande würden die Konzerne protegiert durch die Politik, was sich auch daran zeige, dass in Schadensfällen immer noch keine Sammelklagen von Kunden möglich seien. "Die deutsche Politik wehrt sich gegen solch ein Instrument", sagt Tilp, der in der Sache gegen Volkswagen klagt, jedoch nicht für Kunden, sondern für Aktionäre.

Bessere Chancen für Aktionäre als für Kunden

Das Thema Entschädigung könnte in den nächsten Monaten noch weitere Kreise ziehen. Denn neben VW sollen auch andere Autokonzerne getrickst haben. "Wir bereiten uns auch darauf vor, die anderen Hersteller anzugehen, wenn sich der Dieselskandal ausweiten sollte", sagt Anwalt Tilp. In den vergangenen Tagen hatten erste Einschätzungen des Kraftfahrt-Bundesamtes gezeigt, dass wohl die meisten Hersteller bei Diesel-Motoren getrickst haben. Doch egal ob VW oder andere Hersteller, für Aktionäre seien die Erfolgsaussichten bei Klagen größer als für Konsumenten, sagt Tilp: "Die Investoren werden in dieser Sache wohl entschädigt werden, die Halter aber werden leer ausgehen, weil sich einzelne Prozesse nicht lohnen."

Deshalb betreten große US-Kanzleien derzeit in Europa juristisches Neuland und versuchen, Klagen von Verbrauchern wenigstens zu bündeln und mit Finanzinvestoren im Rücken zu stemmen, um so dem Konzern mehr entgegensetzen zu können. Angesichts des VW-Abgas-Skandals war in Deutschland zuletzt der politische Druck auf die Bundesregierung gewachsen, Sammelklagen oder ähnliche Instrumente einzuführen. Die Verbraucherschutzminister mehrerer Bundesländer wollen den Bund dazu bringen, wenigstens eine Verbraucher-Musterklage einzuführen. Das Bundesjustizministerium prüft dies nach Angaben eines Sprechers. US-Anwalt Michael Hausfeld, der selbst gegen VW vorgeht, sagt: "Sammelklagen sind ein guter Gegner für mächtige Konzerne."

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