Wagnis Neuwagen:Die Rache des roten Renault

Ende der 80er Jahre wurden die solidesten Wagen aller Zeiten gebaut. Heute gelten sie als Spritschlucker und haben im Alter so manche Macken. Doch ein sparsamer Neuwagen macht nicht zwangsweise glücklich, wie unser Autor leidvoll erfahren musste.

Gerhard Fitzthum

Was gibt es Grausameres als das abrupte Ende einer Lebensgemeinschaft? Wie soll man von einem Tag auf den anderen ohne den vertrauten Partner auskommen? Und vor allem: Was tut man diesem an, wenn man ihn einfach vor vollendete Tatsachen stellt? Tatsächlich hat er mich dreiundzwanzig Jahre durch den Alltag begleitet, ohne mich je im Stich zu lassen - mein roter Renault Espace. Nur einmal blieb er stehen, aber daran war ein Werkstattfehler schuld. Bei der Montage eines neuen Auspuffrohrs hatte der Mechaniker die Manschette der Antriebswelle beschädigt. Prompt rutschte die bei der nächsten größeren Lenkbewegung aus dem Getriebe. Der Motor heulte auf, aber nichts tat sich.

Vor kurzem war ich es nun, der aufheulte. Eine halbe Stunde, nach dem ich den Kaufvertrag unterzeichnet hatte - den Kaufvertrag für ein neues Auto! Im Espace nach Hause schaukelnd, war mir plötzlich die Dimension dieser Entscheidung bewusst geworden, plötzlich spürte ich, welch schwerer Abschied mir bevorstand. Was hatte ich getan? Woher nahm ich das Recht, meinen treuen Weggefährten der Schrottpresse zu überantworten?

Lebenserwartung: 30 Jahre

Dass sich unsere Wege einmal trennen würden, war mir keineswegs von Anfang an klar gewesen. Schließlich hatte ich mir den komfortablen Familientransporter auch deshalb gekauft, weil er zu den ersten Modellen gehörte, die auf 30 Jahre Betriebsdauer ausgelegt waren. Ende der Achtziger war ja die Idee der Nachhaltigkeit populär geworden. Autos sollten nicht mehr nach wenigen Jahren auseinanderfallen, sondern so gut verarbeitet sein, dass sie im Prinzip ewig halten.

Zugegeben, in den vergangenen fünf Jahren hatte ich immer mal wieder an Trennung gedacht. Nicht, weil ich an der Haltbarkeit der Karosse zweifelte. Im Zeichen des Klimawandels war es aber zunehmend unschicklich geworden, mit einem tonnenschweren Benzinschlucker herumzufahren. Doch noch hatte ich keine Mühe, den Status quo zu rechtfertigen. Rechnet man nämlich den Ressourcenverbrauch mit, der bei der Herstellung eines Neufahrzeugs anfällt, so war das Festhalten an meinem Oldie noch die weit bessere Lösung. Doch alles, was ich mit zehn Litern Sprit auf hundert Kilometer tagein tagaus transportierte, waren mein eigener Hintern, die Sporttasche und hin und wieder ein paar Getränkekästen.

Dennoch hätte ich es nie übers Herz gebracht, mich von meiner mobilen Zweitheimat zu trennen, schon gar nicht für eine Abwrackprämie. Diese zu nutzen hatte mir meine Tochter geraten, die sich auf diese Weise kaltschnäuzig saniert hatte. Doch dann begann mir das geliebte Fahrzeug ganz von selbst Argumente zu liefern - es zeigte erste Alterserscheinungen. So krächzte eines Tages plötzlich die Servolenkung, ein Druckschlauch war undicht geworden. Unbemerkt hatte sich die ölige Flüssigkeit in die Umwelt verabschiedet. Sechs Wochen hatte ich nun Zeit, mich an das Leben ohne meinen Espace zu gewöhnen. So lange dauerte es nämlich, bis die Werkstatt jemanden fand, der das längst nicht mehr lieferbare Ersatzteil von Hand nachbaute.

Ein paar Tage später qualmte es dann aus dem Motorraum, als ich auf meinen Parkplatz fuhr. Sofort trat ich die Kupplung und ließ den Wagen ein paar Meter zurückrollen. Ich wollte nicht gleich auch noch das Haus verlieren, wenn schon die Kiste in Flammen aufging. Die Motorhaube aufmachen und nachschauen traute ich mich natürlich nicht. Man weiß ja, was passiert, wenn man einem Schwelbrand frischen Sauerstoff zuführt. Mit zittrigen Beinen rannte ich in den Keller, um Wasser zu holen. Die vermeintlichen Rauchwolken hatten sich aber bereits verflüchtigt. Es war nur ein Schlauch des Kühlsystems geplatzt, was das Kühlwasser direkt auf den heißen Motorblock hatte spritzen lassen. Hätten bloß nicht die Nachbarn am Fenster gestanden, während ich mich zum Trottel machte!

Improvisation ist alles

Die Sache war schnell erledigt. Als Fahrer eines französischen Autos an Improvisation gewohnt, kürzte ich den Schlauch an der undichten Stelle und steckte den Rest wieder zusammen. Zufrieden schaute ich auf mein Werk, nicht jedoch, ohne den Blick über die restlichen Eingeweide schweifen zu lassen. Was ich entdeckte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren: Kein Schlauch, der nicht hochgradig porös oder wenigstens mit Haarrissen übersät gewesen wäre, kein Kabel, das nicht deutliche Korrosionsspuren gezeigt hätte, keine Bremsleitung, auf die man noch einen Pfifferling gegeben hätte. Innerhalb weniger Sekunden hatte das Vertrauen in die Verkehrstüchtigkeit meines Automobils die gewohnte Selbstverständlichkeit verloren. Dass es noch fuhr, war ein Wunder!

Wie wenig man sich auf Wunder verlassen kann, durfte ich schon eine Woche später erfahren. Wieder roch es plötzlich nach Frostschutz, wieder tropfte es. Jetzt suppte auch noch der Kühler. Einen neuen einbauen zu lassen, lag nun wirklich nicht mehr drin. Das eilig besorgte Kühlerdichtmittel tat zwar seinen Dienst. Aber was würde passieren, wenn die Schläuche einmal richtig heiß werden?

Fortan fuhr ich mit zwei randvollen Wasserkanistern im Heck, die Flasche mit Frostschutz und die mit dem Kühlerdichtmittel lagen direkt daneben. Natürlich hatte ich mir auch einen kleinen Handfeuerlöscher zugelegt - und ein umfangreiches Werkzeugsortiment. Um im Zweifelsfall noch nach Hause zu kommen, lud ich auch das Fahrrad nicht mehr aus, was den Platz meines Raumwunders beim Einkaufen ziemlich knapp werden ließ. Vor dem Einsteigen bückte ich mich an allen möglichen und unmöglichen Stellen, um zu sehen, ob und wo es diesmal tropfte. Immer wieder boten mir freundliche Passanten ihre Hilfe an. Sie glaubten, dass ich nach einer Kontaktlinse suchte, oder nach dem runtergefallenen Autoschlüssel.

Die Rache kam eine Woche später

Und dann passierte, was ich vor einem Jahr noch für unmöglich gehalten hätte: Bei einem der wöchentlichen Werkstattbesuche fiel mein Auge auf ein hübsches kleines Auto mit Faltdach und meiner Lieblingsfarbe Blau, ein Ökomodell, Vorführwagen, Euro-5-Norm. Benzinverbrauch nicht einmal die Hälfte vom Espace. Alle Skrupel waren plötzlich verschwunden. Nach kurzen Preisverhandlungen hatte ich den Vertrag unterzeichnet - und meinen altgedienten Partner vergessen.

Eine Woche später. Seit dem Vortag hat der kleine Blaue den Parkplatz eingenommen, auf dem bisher der große Rote stand. Stolz stehe ich auf dem Balkon und schaue hinunter. Plötzlich wird der Himmel schwarz und schwärzer. Sekunden später schießen Hagelkörner groß wie Taubeneier aus den Wolken und donnern auf's noch junge Blech. Und der Antrag für die Kaskoversicherung liegt noch unabgeschickt auf dem Schreibtisch. "Verzeih mir!", stammle ich vor mich hin, "bitte!" Zu spät. Mein Lebensgefährte, so schien es, hatte sich bereits an mir gerächt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: