Selbst-Alkoholtests in Frankreich:Pusteröhrchen-Pflicht sorgt für Chaos

Weil bei fast einem Drittel aller tödlichen Unfälle in Frankreich Alkohol im Spiel ist, müssen Autofahrer dort seit 1. Juli Alkoholtests mitführen. Nach einem Monat funktioniert die Maßnahme aber nicht einmal ansatzweise. Die Geräte sind ausverkauft und die Polizei greift nicht durch. Inzwischen ist auch Präsident Hollande skeptisch.

Steve Przybilla

In Frankreich, wo sogar bei McDonald's Bier ausgeschenkt wird, ist der Alkoholkonsum tief in der Kultur verwurzelt. Im Straßenverkehr hat dies dramatische Folgen: Bei fast einem Drittel aller tödlichen Unfälle ist Alkohol im Spiel; in Deutschland ist das nur zu etwa zehn Prozent der Fall. Die französische Regierung hat reagiert, indem sie ein neues Straßenverkehrsgesetz auf den Weg brachte. Der "Code de la Route" schreibt seit Juli 2012 vor, dass jeder Autofahrer einen Einweg-Alkoholtest mit sich führen muss. Wer etwas getrunken hat, soll sich vor Fahrtantritt selbst kontrollieren - so die Theorie.

In der Praxis herrscht seit Einführung der neuen Regelung im Nachbarland Chaos. Autofahrer fühlen sich schlecht informiert, Experten kritisieren die Ungenauigkeit der Billiggeräte, von denen viele Urlauber noch gar nichts wissen. Sogar Präsident François Hollande gab jüngst zu bedenken, der Schnelltest drohe "Autofahrer in die Irre zu führen". Am schwersten wiegt jedoch die Tatsache, dass die sogenannten Ethylomètres seit Wochen ausverkauft sind - wohl auch ein Grund dafür, warum die Polizei die Vollstreckung des Bußgeldes (elf Euro) für Nichtmitführen eines Alkoholtests zunächst bis zum 31. Oktober ausgesetzt hat.

"Es gibt aber nirgendwo auch nur ein einziges Gerät"

Eigentlich sollten sie längst in Apotheken, Drogerien, Tankstellen und Supermärkten zum Verkauf ausliegen. "Es gibt aber nirgendwo auch nur ein einziges Gerät", sagt Gisela Burkhardt, 60, als sie bei einer Kontrolle von einem Gendarmen ein Ethylomètre entgegennimmt. "Wir haben schon überall nachgefragt, aber niemand wusste, wann überhaupt die Geräte wieder vorrätig sein werden", erklärt die in Lothringen lebende Düsseldorferin.

So wie Burkhardt ergeht es den meisten, die dieser Tage kontrolliert werden. Dass es sich dabei nur um die üblichen Ausreden handelt, darf man bezweifeln. In Straßburger Supermärkten sind momentan zumindest keine Alkoholtests lieferbar. Auf deutscher Seite des Rheins, in der baden-württembergischen Grenzstadt Kehl, zuckt eine Tankstellenverkäuferin nur mit den Schultern: "Bis die wieder reinkommen, haben wir Winter." Bei der Konkurrenz sieht es nicht anders aus.

Von solchen Schwierigkeiten wollen sich die Behörden nicht unterkriegen lassen. "Die Grundidee der Tests ist schließlich eine gute", sagt Jean François Colombet, Leiter der zuständigen Stabsstelle in der Straßburger Präfektur. Sie ermöglichten den Verkehrsteilnehmern eine bis dato unbekannte Form der Selbstkontrolle: "Wenn das Testergebnis nahelegt, dass man zu viel getrunken hat, wirkt das repressiv und präventiv", so die offizielle Verlautbarung.

Das bezweifeln viele Franzosen. "Das ist doch nur eine symbolische Maßnahme, die den Staat keinen Cent kostet", sagt der Straßburger Student Florent Dousselin. "Die Absicht ist zwar gut, aber in der Praxis steckt sehr viel Lobbyismus dahinter. Es gibt nur wenige Firmen, die sich den Markt der Pusteröhrchen teilen." Und Aimie Bouju, Praktikantin beim deutsch-französischen TV-Sender Arte, glaubt: "Wenn das Gerät nein sagt, fahren die Leute doch trotzdem. Bis die Mentalität, das Auto auch mal stehen zu lassen, in unserer Kultur verankert ist, wird es noch viele Jahre dauern."

"Der Sicherheit nicht dienlich"

Derweil stellt sich auch die Mietwagenbranche auf die neue Situation ein. "Die großen Firmen werden ihre Flotten nach und nach mit den Einmaltests bestücken", sagt ein Sprecher von Billiger-Mietwagen.de. Wer allerdings in Deutschland ein Auto mietet und über die Grenze fährt, muss selbst vorsorgen: "Ohnehin sollte der Kunde vor Antritt der Fahrt kontrollieren, ob alle erforderlichen Gegenstände im Auto sind", sagt der Sprecher. Sollten die Ethylomètres dann wieder vorrätig sein, wartet bereits das nächste Problem: Welche Modelle sind überhaupt zugelassen?

Wichtig ist, dass das NF-Zeichen aufgedruckt ist", erklärt Stefan Mannßhardt, Leiter des gemeinsamen Zentrums für deutsch-französische Polizei- und Zollzusammenarbeit in Kehl. Die Norme Française sei Voraussetzung dafür, dass die Polizei die Geräte akzeptiere. "Allerdings liefern auch die zertifizierten Einmaltests nur Näherungswerte", räumt Mannßhardt ein. Teurere elektronische Varianten seien schon besser, könnten aber ebenfalls nicht mit der Technik der Polizei mithalten. Während der Vertreter eines französischen Automobilklubs die Alkoholtester befürwortet, beziehen deutsche Vereine kritische Positionen: "Grundsätzlich begrüßen wir jede Maßnahme, die der Verkehrssicherheit dient", sagt AvD-Sprecher Dirk Vincken. "In diesem Fall geht es aber eher um die psychologische Seite. Von der Technik her sind die Alkoholtests der Sicherheit nicht dienlich."

Auch der ADAC bleibt kritisch. "Viel zu ungenau" nennt eine Sprecherin die Technik - eine Tatsache, die in Frankreich noch zu gerichtlichen Streitereien führen könnte. Besonders haltbar sind die Geräte jedenfalls nicht. Die Polizei empfiehlt, sie nicht im Handschuhfach zu verstauen, da sie weder starke Hitze noch besondere Kälte vertrügen. Doch selbst wer sein Ethylomètre vorausschauend unter dem Sitz lagert, wird es spätestens nach anderthalb Jahren wegwerfen müssen. Viele der Pusteröhrchen, die momentan im Umlauf sind, haben nämlich nur ein begrenztes Haltbarkeitsdatum.

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