Schienenverkehr von morgen:So sollen die Bahnen besser werden

Nächste Haltestelle: Marienplatz. Doch vielleicht verlassen Sie bald die Bahn dort nicht mehr durch eine Türe - die ganze Seite des Fahrzeugs könnte sich öffnen. Diese und andere Ideen diskutieren Mobilitätsexperten, um den Schienenverkehr der Zukunft effizienter zu gestalten.

Klaus C. Koch

Rajesh Singh, gebürtig in Indien und Ingenieur von Beruf, könnte sich vorstellen, den Verkehr der Zukunft auf mehreren Etagen, aber nur mit einer einzigen Trasse abzuwickeln. Auf der Oberseite einer auf Stelzen verkehrenden Hochbahn könnten Schnellzüge im Fernverkehr fahren. Eingehängt an Stahlträgern würden auf der Unterseite langsamere S-Bahnen oder Vorortzüge durch die Stadt schweben und kleinere Haltestellen bedienen.

Auf doppeltem Boden würde sich auch der Nonstopzug eines aus Taiwan stammenden Ideengebers bewegen. Bauingenieur Peng Yu-lun bemängelt, dass moderner Schienenverkehr zwar immer neue Geschwindigkeitsrekorde aufstelle. Aber in der Realität sei es doch so, dass durch die vielen Stopps in kleineren Orten die Durchschnittsgeschwindigkeit auf weniger als die Hälfte sinke. Wenn der Zug gar nicht halten müsste, sondern auf einer parallel verlaufenden Schiene jeweils nur einen kleinen Satelliten abhänge, der am Bahnsteig bremse und vom nächsten Zug wieder aufgenommen würde, könnte das Aus- und Einsteigen "wie im Fluge" erfolgen.

Verschiedene Konzepte auf der Innotrans

Mehr als zweihundert solcher Einfälle wurden unlängst auf der weltgrößten Schienenverkehrsmesse, der Innotrans in Berlin, präsentiert. Während Siemens, von der Schiene bis zur Solartechnik auf zahlreichen Baustellen unterwegs, seine urbanen Aktivitäten seit Kurzem unter "Infrastrukturen und Städte" zusammengefasst hat, rief die Konkurrenz zu einem weltweiten Ideenwettbewerb auf. Der Regionalflugzeug- und Schienenfahrzeughersteller Bombardier sammelte in einem Projekt namens YouCity Vorschläge für künftige Verkehrskonzepte in so unterschiedlichen Metropolen wie London, der aufstrebenden Drei-Millionen-Einwohner-Stadt Belo Horizonte (Brasilien) und Vientiane, der Hauptstadt von Laos.

So sehr etwa die Taktfolge von U- und S-Bahnen auch verkürzt werde, um mehr Passagiere in kürzerer Zeit von A nach B bringen zu können, so wenig scheinen doch Engpässe vermeidbar, wie sie beim Ein- und Aussteigen entstehen. Denn jedes Mal, wenn sich die Türen öffnen, erklärt Projektleiter Laurent Letourneux, stehen sich mindestens drei Personengruppen im Weg: Diejenigen, die einsteigen möchten, müssen warten, bis die Aussteigenden draußen sind, während andere, die im Weg stehen, in diesem Moment noch gar nicht, sondern erst beim nächsten Halt raus wollten. Experten sprechen von einem Flaschenhals, der einer schnelleren An- und Abfahrt im Weg sei.

In Japan gibt es Drücker

In Japan sind in solchen Situationen die Oshiya, also die Drücker zur Stelle, deren Aufgabe darin besteht, die Passagiere passgenau in die überfüllten Züge hineinzupressen, damit sich die Türen noch schließen lassen. Eine der Ideen, diesen Engpass zu beseitigen, bestünde darin, statt der Türen die gesamte Seite eines Zuges zu öffnen. Dadurch, so Letourneux, könnten auch Fahrräder einfacher im Zug mitgenommen werden.

Ob ein anderer Teil der Fahrgäste, der gerade am Fenster das Kinn aufstützt oder sein Gepäck abgesetzt habe, somit zum "Schüttgut" würde, sei zugegebenermaßen eine Sicherheitsfrage. Seine Erfinder, die Mexikanerin Brenda Cortéz, der Pakistaner Ahmed Ullah Mazullah, der Brite Klaiq Tahir-Ali, sowie die Deutschen Florian Strenge, Hanna Martus und Andreas Beer waren deshalb so frei einzuräumen, dass es solche Züge wohl "nicht gleich morgen" geben werde. Weil sich das Problem des Ein- und Aussteigens bei zunehmender Zahl von Doppelstockbussen und -zügen eher verschärfen dürfte, bestünde eine weitere Lösung darin, auch die Haltestellen doppelstöckig auszubauen. Aus dem für die Disziplin beim Schlangestehen bekannten London stammt zudem die Idee, den Vorteil zu nutzen, dass die meisten Metrozüge inzwischen durchgängig begehbar sind. Die Türen dürften bei diesem Single-Flow (zu deutsch: Einbahnstraßen)-System jeweils ausschließlich nur zum Aus- oder zum Einsteigen benutzt werden.

Nicht ganz neu ist der Gedanke sogenannter "AutoShuttles" als Städteverbindung. Sie könnten an Autobahn-Einfahrten in genormten Boxen Fahrzeuge aufnehmen und sie per elektronischer Zieleingabe automatisch mit Geschwindigkeiten von bis zu 180 km/h zum nächstgrößeren Zielort steuern. Dort könnte der Autobesitzer den Container mit seinem Fahrzeug wieder verlassen. Bezahlt würde per Kreditkarte. Eine einzelne Shuttle-Spur, heißt es, könnte bis zu vier herkömmliche Fahrspuren ersetzen.

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