Hilfe durch neue Technik:Bei Geisterfahrern zählt jede Sekunde

Fahrzeuge sollen künftig miteinander kommunizieren und so das Risiko auf Autobahnen minimieren. Autobauer und Zulieferer haben sich sogar schon auf einheitliche Standards geeinigt. Die Technologie könnte Geisterfahrern vorbeugen.

Von Joachim Becker

Viel Zeit bleibt nicht, wenn ein Geisterfahrer auf der Autobahn unterwegs ist. Das zumindest zeigen die schweren Unfälle der letzten Wochen mit vielen Toten und Verletzten. Ein Frühwarnsystem im Auto könnte künftig solche Kollisionen verhindern helfen, indem es die Fahrer in Echtzeit warnt. Seit Anfang August erproben 120 Versuchsfahrzeuge im Großraum Frankfurt den spontanen Austausch von Warnmeldungen zwischen Fahrzeugen. "Sichere Intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland" (simTD) heißt einer der weltweit größten Feldversuche zur automobilen Spontankommunikation. Andere Verkehrsteilnehmer werden dabei zu erweiterten Sensoren des Fahrzeugs, das sich ständig in einer Informationswolke bewegt.

2015 soll die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation (Car to Car) in Serie gehen: Nach jahrelanger Forschung und Erprobung haben sich zwölf europäische Fahrzeughersteller, 17 Zulieferer und 30 Forschungseinrichtungen auf gemeinsame Standards geeinigt. Wie der Datenaustausch aussehen könnte, zeigt das Beispiel Falschfahrer: Ignoriert er die "Einfahrt verboten"-Schilder, schlagen vernetzte Assistenzsysteme Alarm. Eine kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung könnte den Fahrer mit einem Warnton, einem kurzen Bremsruck und deutlichen Hinweisen im Kombiinstrument oder im Head-up-Display auf die Gefahr hinweisen. Fährt er dennoch entgegen der Fahrtrichtung weiter, ließen sich alle Autos und Motorräder im Umfeld über ein spontanes Funknetzwerk (Wlan: Wireless Local Area Network) warnen. Automatische Kamerasensoren an den Autobahnausfahrten wären in Verbindung mit den kombinierten Sende- und Empfangsstationen auch in der Lage, sofort die Polizei zu informieren.

Datenübertragung hat sich im Test bewährt

Vergleichbare Warnszenarien werden bei der simTD-Erprobung im Rhein-Main-Gebiet erfolgreich durchgespielt. "Die Datenübertragung zwischen vielen Autos hat sich auf Millionen von Testkilometern bewährt", sagt Peter E. Rieth, Leiter der Continental-Division Chassis & Safety: "Die Kommunikation lässt das Auto in die Zukunft schauen - weiter als dessen Kameras und Sensoren in der jeweiligen Fahrsituation reichen. Aus der Informationswolke filtern die bordeigenen Assistenzsysteme jeweils das Wichtigste heraus und plausibilisieren die empfangenen Daten. Bei Bedarf können sie dann die Bremsen vorzuspannen, damit die Sicherheitssysteme ihre optimale Schutzwirkung entfalten."

Rund um Frankfurt wird beispielsweise eine Stauwarnung getestet, die den Fahrer selbst bei 200 km/h rechtzeitig und fahrspurgenau informiert. Bremst ein vorausfahrendes Fahrzeug rasant ab und meldet so ein Stauende oder eine Unfallstelle nach der nächsten Biegung, können sich die nachfolgenden Fahrzeuge sofort auf die Situation einstellen.

"Die Kommunikation mit anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur erweitert den Horizont des Fahrers erheblich. Durch die hochpräzise Datenfusion mit den bordeigenen Systemen könnten wir die Unfallzahlen noch weiter senken", erklärt Peter E. Rieth. Der Zeithorizont für diese intelligente Form der Vernetzung reicht allerdings weit ins nächste Jahrzehnt. Erst einmal müssen die Autohersteller ihren Kunden den Spontanfunk mit innovativen Komfort- und Sicherheitsfunktionen verkaufen, damit er auf Stückzahlen kommt.

Japan ist schon weiter

"Wenn man Ampelanlagen in das Netzwerk integrieren könnte und den Fahrer vorab über eine grüne Welle und die nächste Rotphase informieren würde, wäre das ein Selbstläufer", prognostiziert Marc Menzel, technischer Experte für drahtlose Kommunikation bei Continental. Auch die Warnung vor Wanderbaustellen wird unter Fachleuten als heißer Kandidat für eine Verbindung zur Verkehrsinfrastruktur (Car to X) gehandelt. Doch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer zögert noch, offizielle Zusagen zu machen.

Bund, Länder und Gemeinden haben zwar die Vorteile der spontanen Funknetzwerke erkannt und simTD mit 69 Millionen Euro gefördert. In der neuen Publikation "Straße im 21. Jahrhundert" mahnt das Bundesverkehrsministerium zudem: "Die Straße der Zukunft kann die Rolle eines Innovationsmotors übernehmen. Aufschub und eine zögerliche Einführung neuer Technologien führen dagegen zu erheblichen Einschränkungen. Die Straße der Zukunft soll den Standort Deutschland durch Beschleunigung und unmittelbare Implementierung des technischen Fortschritts stärken." Gleichzeitig fürchtet sich die öffentliche Hand vor hohen Infrastrukturinvestitionen in Zeiten klammer Kassen.

Japan ist schon einen Schritt weiter: Landesweit sind dort 1600 Mauterfassungsstationen an den Autobahnen mit 5,8-GHz-Sendern bestückt. Die Wlan-Stationen übermitteln Warnhinweise und Informationen zur dynamischen Routenführung an die Autos. Auf dieselbe Frequenz hat sich auch das Car-to-Car-Konsortium in Europa verständigt. Technisch steht der Einführung also nichts mehr im Wege - jetzt müssen nur noch die Kunden mitspielen.

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