Mobilität der Zukunft:Autos sind nicht genug

Wollen Autobauer zukunftsfähig sein, müssen sie Mobilitätskonzepte statt Motorkutschen bieten. Das Ziel: Ein maßgeschneidertes Reiseangebot für den Kunden, individuell zusammengestellt aus verschiedenen Transportmitteln.

Joachim Becker

Gut hundert Jahre lang war das Auto ein wichtiger Motor des Fortschritts. Doch automobile Epoche wird zunehmend von der digitalen Revolution überlagert: "In der Web-2.0-Welt sind Smartphones und Tablet-PCs die neuen Statussymbole. Für die Kunden von heute - und von morgen - ist die digitale Welt ein ständiger Begleiter. Und das Auto darf hier nicht der Bruch in der Kommunikationskette sein", bekennt Audi-Chef Rupert Stadler. Für die nächste Kundengeneration steht das Auto nicht mehr an erster Stelle der Einkaufsliste. Mehr noch: Das Auto wird zur bloßen Ladestation für elektronische Gimmicks.

Wer diese Auto-Aussichten für übertrieben hält, mag sich zwei Zahlen vor Augen führen: Allein im ersten Quartal 2012 wurden 420 Millionen Mobilfunkgeräte verkauft und Milliarden von sogenannten Apps (Kleinprogrammen) aus dem Internet heruntergeladen. "Auch das ist Mobilität!", betonte Dieter Zetsche auf dem Technischen Kongress des Verbands der Automobilindustrie (VDA) in Stuttgart. Der Daimler-Chef lässt keinen Zweifel daran, dass die Kommunikations-Elektronik ein wichtiger Treibstoff für die automobile Zukunft sei. "Besonders jüngeren Kunden können wir künftig kaum noch Autos ohne entsprechende Konnektivität verkaufen."

Wer sich ständig im Internet bewegt, will nicht mehr in isolierten Blechbüchsen durch die Landschaft fahren. Im Gegenteil: Wenn er anhand von Echtzeitdaten aus dem Web realisiert, dass andere Verkehrsmittel in der City schneller und günstiger ans Ziel führen, ist er eher zum Umsteigen bereit. Diesen Zukunftstrend will kein Mobilfunk- oder Mobilitätsanbieter verpassen - auch der Daimler-Konzern nicht. Mit der Mobilitätsplattform "Moovel" haben die Stuttgarter kürzlich einen neuen Service vorgestellt. Moovel bündelt Angebote öffentlicher und privater Mobilitätsanbieter. In der Startphase sind die Informationen allerdings auf den Stuttgarter Raum und die Daten von Mitfahrgelegenheit.de sowie die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) und Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart GmbH (VVS) beschränkt. Ein weiteres Pilotprojekt ist für die zweite Hälfte des Jahres 2012 in Berlin geplant.

Vom Autobauer zum Mobilitätsanbieter

Mit dem Moovel-Pilotprojekt setzen wir voll auf die intelligente Verknüpfung verschiedener Mobilitätsangebote. Wir zeigen den Nutzern auf, wie sie optimal von A nach B kommen. Und gleichzeitig können bestehende Ressourcen besser genutzt werden", so Wilfried Steffen, Leiter Business Innovation bei Daimler. Präsentiert werden die passenden Fahrtoptionen samt voraussichtlicher Fahrtzeit und Kosten per App und mobiler Webseite. Über die Verbindungsoptionen von Bussen und Bahnen im VVS-Gebiet hinaus können passende Mitfahrgelegenheiten gesucht und Fahrtangebote eingestellt werden. Eine Taxiruf-Funktion, mit deren Hilfe der Nutzer aus der App telefonisch ein Taxi bestellen kann, komplettiert die erste Version von Moovel. Grundsätzlich soll der Dienst offen für alle Anbieter urbaner Mobilität sein. In der zweiten Jahreshälfte 2012 werden beispielsweise die Daten von Car2go integriert - dem Daimler-Dienst zur Spontanmiete von Smarts in Innenstädten.

Wer wird zum besten integrierten Mobilitätsanbieter? Und wer kann riesige Datenmengen verschiedener Verkehrsträger zu attraktiven, individuellen Reiseplänen verknüpfen? Bisher haben viele Anbieter ihre Daten eifersüchtig gehütet, weil es dabei um viel Geld geht: Die Frage, wer Bewegungsprofile erfassen und mit den Nutzerdaten welche Geschäfte machen darf, beschäftigt nicht nur Unternehmensstrategen, sondern auch Verkehrsexperten und Politiker. Fakt ist, dass sich im globalen Internet viele nationale Regelungen zum Urheberrecht und Datenschutz leicht aushebeln lassen. Ein Beispiel sind die Stauinformationen verschiedener Anbieter im Internet, die von Datenkraken wie Google gesammelt und in Echtzeit zu eigenen Verkehrsinfos weiterverarbeitet werden.

Freie Fahrt auf der Datenautobahn, verspricht auch Nokia als Anbieter von Handys, Karten und Navigationsdiensten. Schon seit zwei Jahren überbieten sich die Mobilfunker mit kostenloser Routenführung als zusätzliches Verkaufsargument für ihre Smartphones. Jetzt scheinen integrierte Mobilitätsdienste in den Fokus der Anbieter zu rücken. Die Online-Routenplanung auf maps.nokia.com bietet seit Kurzem einen erweiterten Service. Neben der bekannten Fußgänger- und Auto-Navigation besteht hier die Option, den öffentlichen Personennahverkehr mit einzubeziehen. Nutzer von Tablets oder anderen Smartphones können diese Dienste über die mobile Webseite m.maps.nokia.com ebenfalls nutzen. Noch handelt es sich um ein Pilotprojekt für den Raum Berlin-Brandenburg. Doch die Idee, Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel in die automobile Routenplanung einzubeziehen, dürfte sich im Zeitalter von Daten-Flatrates schnell durchsetzen.

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