24-Stunden-Rennen:Berauscht vom Radfahren

Radrennen Symbolbild

557 Kilometer und 6717 Höhenmeter hat unser Autor in den 24 Stunden bewältigt (Symbolbild).

(Foto: Paolo Candelo/Unsplash.com)

24 Stunden im Sattel - am Stück, im Renntempo, ohne lange Pausen: Was für viele Menschen Horror wäre, löste bei unserem Autor gladiatorenhafte Gefühle aus.

Von Sebastian Herrmann

In wesentlichen Teilen der Menschheit haust dieser Drang, sich gelegentlich ordentlich wegzuschießen. Klassischerweise greifen die Rauschbedürftigen in diesen Fällen zu Alkohol, illegalen Kräutern oder noch gefährlicheren Substanzen. Eine weitere, von vielen unterschätzte Möglichkeit der persönlichen Entgrenzung besteht darin, auf das Fahrrad zu steigen und sich in andere Zustände zu treten. Eine lange, anstrengende Radtour, am besten im Rudel, lässt sich auch als eine Art Besäufnis begreifen: Die Fahrer fügen sich etwas zu, sie verwahrlosen im Laufe der Stunden, sie verlieren die Kontrolle über ihr Mundwerk, plappern Unsinn, schwitzen, stopfen seltsames Essen in sich hinein und am Tag nach dem Rausch spüren sie Schmerzen in diversen Körperteilen.

Durch die Linse dieser Rausch-Analogie betrachtet stellt das 24-Stunden-Rennen in Kelheim an der Donau so etwas wie das Oktoberfest unter den Hobby-Radsportveranstaltungen dar. Zumal die etwa 16,5 Kilometer lange Strecke am Ende stets durch ein Bierzelt führt, in dem eine aufgepeitschte und zu weiten Teilen alkoholisierte Menschenmenge die Fahrer anfeuert, die da von Samstag, 14 Uhr, bis Sonntag, 14 Uhr, immer wieder auf dem Rennrad vorbeifährt. Allein der Abstecher ins Bierzelt versetzt einen als Hobbyfahrer in einen kleinen Rausch: Der Puls hämmert, die Pflastersteine schütteln das Rad und die schreienden Zuschauer geben einem ein gladiatorenhaftes Gefühl.

Das Vorspiel zu diesem kollektiven Rennradbesäufnis beginnt bereits in den Tagen vor dem Wettkampfwochenende. Die Sportler rücken mit Material und rot-weißen Absperrbändern an, um sich eine gute Camping-Position in den Fahrerlagern zu ergattern. Manche Teams reisen quasiprofessionell in großen Bussen an und bauen ausufernde Versorgungsstationen auf, samt Kühlschränken im Zelt und eigenen Musikanlagen. Sie fahren in Teams und schicken stets nur einen Fahrer auf die Strecke, der eine oder mehrere Runden am Anschlag raushaut und dann abgelöst wird.

Die Einzelfahrer radeln hingegen die ganze Zeit, für sich sowie gegen sich, und versuchen, binnen 24 Stunden so viele Runden und Kilometer wie möglich zu sammeln. Sie können aber so lange Pausen machen, wie sie wollen. Wenn sie Ambitionen haben, fehlt ihnen dann aber die Zeit, um Kilometer zu fressen.

Verpflegung für den verstörten Magen

Ihre Verpflegungspunkte sehen oft nicht gar so profimäßig aus. In unserem Fall: zwei Campingstühle neben der Strecke und daneben ein Riesenverhau aus Trinkflaschen, Müsliriegeln, Obst, Energiegels, Flüssignahrung und Schüsseln Nudelsalat. Das Essen muss für drei Fahrer sowie 24 Stunden Ausdauersport reichen. Die größte Herausforderung besteht ohnehin darin, nach Stunden der Anstrengung überhaupt noch etwas in den verstörten Magen zu befördern. Eine Käsesemmel? Keine Chance, da hilft auch kräftig nachspülen mit diesem elenden Iso-Gesöff nicht weiter.

Das Rennen beginnt in gemütlichem Tempo, ein Böllerschuss in Sichtweite der Befreiungshalle über der Donau und die paar Hundert Teilnehmer rollen los. Der Kurs führt gleich den ersten Berg hinauf, der aus zwei Serpentinen besteht. Auf einen weiteren Anstieg folgt eine kurze Abfahrt, dann kommt der steilere der zwei Berge. Entlang dieser Passage brüllt die ganzen 24 Stunden Musik aus Boxen, eine Weile feuern Trommler die Radler an und die ganze Nacht sitzen Zuschauer an der Strecke, schreien Aufmunterungen oder trinken Bier. Nach dem Berg folgt eine rasante Abfahrt, bis dann die Strecke flach zurück nach Kelheim bis ins Bierzelt führt. Hier geht es darum, eine schnelle Gruppe zu erwischen, in der man sich in den Windschatten hängen kann und Kräfte spart.

Die Rudel der Teamfahrer kündigen sich durch diverse Geräusche an. Wenn die lahmen Einzelfahrer nebeneinander radeln, werden sie aus dem Weg gebrüllt. Aber meistens sind die Karbonlaufräder mit den hohen Aeroflanken, auf denen die meisten Teamfahrer unterwegs sind, rechtzeitig zu hören - sie geben ein aggressives, insektenschwarmhaftes Summen von sich.

Andreas Gabalier und Helene Fischer als Motivation

Sebastian Herrmann und Mitstreiter beim 24-Stunden-Radrennen in Kelheim

SZ-Redakteur Sebastian Herrmann (l.) und seine Mitstreiter Josef (M.) und Markus beim 24-Stunden-Radrennen in Kelheim.

(Foto: Sebastian Herrmann)

Das Testrad an diesem Tag rollt hingegen leise über den Asphalt. Das Rose X-Lite Team-4000 hat einen matt-schwarzem Karbonrahmen, der dem Rad eine klassische, zurückhaltende Optik verleiht. Die Laufräder vom Typ Mavic Ksyrium Pro SL WTS sind die einzigen Farbtupfer - sie haben je eine gelbe Speiche und einen kleinen, ebenfalls gelben Streifen auf den Naben. Das Rad ist für den Preis von 4090 Euro gut ausgestattet und verfügt über die Schalt-Brems-Gruppe Shimano Dura Ace BR-R9100, die absolut geschmeidig durch die Gänge wechselt.

Lediglich 6,1 Kilogramm wiegt das Rad, das sich fantastisch fährt - alleine das versetzt den Fahrer in einen Rausch. Bei Abfahrten und Geschwindigkeiten jenseits der 55 km/h gibt die hintere Bremse zwar manchmal ein seltsam schnarrendes Geräusch von sich, dessen Ursache jedoch ein Rätsel bleibt. Ansonsten gib es nichts zu meckern - nicht einmal nach fast 24 Stunden im Sattel.

Weiter, immer weiter, Runde um Runde

Zumindest gilt das für das Testrad. Wer sich so lange schindet, findet natürlich ständig einen Grund, sich über irgendetwas zu beschweren: über die Steigung, einen Fahrer, der nicht vorne im Wind strampeln will und über die Musik an der Partystation am zweiten Berg. Nach jeder Runde bohrt sich ein anderer Ohrwurm in den Schädel - bis der DJ es wirklich wagt und Andreas Gabaliers "Hulapalu" auflegt. Argh, schnell weiter, schnell weg. Im Bierzelt läuft irgendwann Helene Fischers "Atemlos" - noch ein Grund stärker in die Pedale zu treten und schnell durch die Nacht zu rollen. Aber was will man sich beschweren? Die Stimmung an der Strecke ist großartig und verleiht einem kräftigen Rückenwind.

Ab etwa drei Uhr morgens wird es ruhiger am Straßenrand, das Bierzelt ist nun fast leer, nur noch am zweiten Berg läuft laute Musik. Alle Fahrer tragen nachts Warnwesten, in der Dunkelheit vor einem rollen Bänder aus roten Rücklichtern, das Hinterrad des Vordermanns surrt im eigenen Lichtkegel und bei den Pausen an der Verpflegungsstation wird es nun rasch kalt. Also, schnell eine volle Flasche in die Halterung am Rahmen rammen, Gels in die Trikottasche stopfen, eine Packung Flüssignahrung reinwürgen, sich an ein paar Nudeln versuchen und weiter, immer weiter, Runde um Runde.

Durchhänger kommen und gehen

Das erste Tief schlägt schon nach 160 Kilometern zu. Übelkeit, stierer Blick und schwere Beine. Aber das Tal ist nach einer Runde verlassen, die Form kehrt zurück. Kurze Durchhänger kommen und gehen, sie gehören dazu, genauso wie die Hochgefühle, wenn es plötzlich läuft, man im Rudel mit etwa 50 km/h über den Asphalt am Ortsschild von Kelheim vorbei fliegt.

Der Vormittag nach komplett durchwachter und durchradelter Nacht vertreibt die Kälte und langsam kehrt wieder Leben ins Bierzelt und den Straßenrand an der Strecke. Auch die letzten zwei Stunden verfliegen. Und so seltsam das nach so langer Zeit im Sattel klingt: Ja, so ein Langstreckenbesäufnis auf dem sehr feinen und sehr schnellen X-Lite Team-4000 kann tatsächlich Spaß machen. Aber die Gegenmeinung ist ausdrücklich zugelassen.

Am Ende zeigt der Fahrradcomputer 557 Kilometer und 6717 bezwungene Höhenmeter an. Großartig, was für ein Rausch, da haben wir uns ordentlich weggeschossen! Der Kater setzt dann auf dem Heimweg im Auto ein: Auf der Rückbank ist einfach nicht genug Platz, um die Beine auszustrecken und irgendwie ein erträgliche Position für die schmerzenden Knie und Oberschenkel zu finden. Der Kopf dafür, der ist gründlich ausgelüftet und gereinigt von diesem 24-Stunden-Rausch. In diesem Sinne: Prost oder ab auf das Rennrad!

Hinweis der Redaktion: Das vorgestellte Produkt wurde der Redaktion vom Hersteller zu Testzwecken leihweise zur Verfügung gestellt.

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