Koalitionsausschuss:Wahlrechtsreform: Viel Schall, wenig Rauch

Koalition erzielt Durchbruch bei Wahlrecht und Kurzarbeit

"Kollateralschaden-Potenzial": die Parteichefs bei der Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss, von links Markus Söder (CSU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken (beide SPD), im Bundeskanzleramt.

(Foto: Markus Schreiber/dpa)

Seit sieben Jahren wird über eine Verkleinerung des Bundestags gestritten. Insofern ist die Verständigung der Koalitionäre ein Erfolg. Wirklich gelöst haben sie das Problem allerdings nicht.

Von Robert Roßmann, Berlin

Am Morgen danach ist Markus Söder ziemlich zufrieden. Der CSU-Chef hat in den Bierkeller der bayerischen Landesvertretung geladen. Der Raum ist etwas düster, früher war der Keller ein Tresorraum. Aber Söders Laune ist glänzend. Mehr als acht Stunden hat der Koalitionsausschuss getagt. Die Pressekonferenz danach war erst kurz vor Mitternacht zu Ende. Der CSU-Chef hätte also allen Grund, knatschig zu sein. Doch er scheint mit den Ergebnissen des Koalitionsausschusses derart zufrieden zu sein, dass ihm die kurze Nacht nichts ausgemacht hat.

Söder weiß, dass derlei Treffen immer ein "Kollateralschaden-Potenzial" haben - so umschreibt der CSU-Chef das Risiko, dass Begegnungen auch mal ergebnislos zu Ende gehen können und man blamiert dasteht. Am Thema Wahlrecht hätte der Koalitionsausschuss auch scheitern können, sagt Söder. Mehr als fünf Stunden habe man nur über diesen Punkt gestritten. Dabei habe es am Anfang "weniger Wumms, sondern mehr Rumms" gegeben, auch Sitzungsunterbrechungen und emotionale Momente. Aber dann sei man doch noch zu einem fairen Kompromiss gekommen, der sich sehen lassen könne. Und so sitzt der CSU-Chef jetzt ziemlich zufrieden im Bierkeller.

Auch nach dieser Reform könnten mehr als 700 Abgeordnete ins Parlament einziehen

Seit sieben Jahren ist über eine Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags gestritten worden. Sieben Jahre lang hatten sich Union und SPD nicht verständigen können. Insofern ist es tatsächlich ein erstaunlicher Durchbruch, dass es jetzt einen Kompromiss gibt. Doch wenn man den Beschluss genauer betrachtet, war es das auch schon. Denn dem Koalitionsausschuss ist keine Verständigung auf eine substanzielle Reform gelungen, sondern nur ein Minimalkompromiss.

Der Bundestag hat eine Normgröße von 598 Sitzen. Derzeit gibt es jedoch 709 Abgeordnete - und nach der kommenden Bundestagswahl könnten es ohne Wahlrechtsänderung mehr als 800 sein. Der Koalitionsausschuss verständigte sich deshalb darauf, dass künftig bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert werden. Außerdem soll der sogenannte "erste Zuteilungsschritt" im Wahlrecht modifiziert werden. Dadurch kommt es zu einer teilweisen Verrechnung von Überhangmandaten, die eine Partei in einem Bundesland gewinnt, mit Listenmandaten dieser Partei in anderen Bundesländern. Auch das senkt die Gesamtzahl der Bundestagsmandate.

An der Zahl der Wahlkreise soll sich dagegen bei der Bundestagswahl 2021 noch nichts ändern. Allerdings möchte die große Koalition bereits in dieser Legislaturperiode gesetzlich festschreiben, dass es von der Bundestagswahl 2025 an nur noch 280 Wahlkreise geben wird - derzeit sind es 299.

Aber was bringt das alles? In ihrer Pressekonferenz in der Nacht hatten die Parteivorsitzenden dazu selbst auf Nachfragen keine genauen Angaben gemacht. Und auch an diesem Morgen ist Söder bei dem Thema nicht sonderlich mitteilsam - was aber daran liegen kann, dass dem CSU-Chefs die Details des Wahlrechts doch nicht so geläufig sind. Und so ist es an CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der zusammen mit Söder gekommen ist, die eher unangenehmen Fragen zu beantworten. Denn spätestens wenn man auf die Zahlen schaut, wird offenkundig, dass die Reform nicht viel bringen wird.

Etwa 60 Sitze weniger hätte der Bundestag, wenn bei der letzten Wahl schon das jetzt vereinbarte Wahlrecht gegolten hätte, sagt Dobrindt. Doch auf Nachfragen räumt er ein, dass das nur für den Endausbau des jetzt vereinbarten Wahlrechts gelte, dieser wird aber erst 2025 wirksam. Der erste Teil der Reform - und nur der gilt bereits bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr - führe lediglich zu einer Reduktion von 20 Sitzen.

Aber selbst diese Zahlen klingen noch besser, als sie es sind. Denn mit dem bisher geltenden Wahlrecht könnte es bei der nächsten Wahl ja sogar mehr als 800 Abgeordnete geben. Wenn der Dämpfungseffekt des neuen Wahlrechts gegenüber dem bisherigen aber nur 20 oder 60 Sitze beträgt, könnte der Bundestag sogar mit dem neuen Wahlrecht größer werden. 800 Sitze minus 20 oder 60 Sitze sind immer noch mehr als die derzeit 709.

Die dämpfende Wirkung der Bremsmechanismen, die die Koalition jetzt einführen wolle, sei "wirklich sehr gering", konstatiert deshalb der Stuttgarter Wahlrechtsexperte Christian Hesse. Auch die Opposition verurteilt den Kompromiss der großen Koalition. Der sei ein "Armutszeugnis", sagt die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann. Und ihr FDP-Kollege Marco Buschmann beklagt: "Die Beschlüsse der Groko beseitigen die Gefahr eines XXL-Bundestags nicht."

"Das Ergebnis bietet keinen Raum für Kommentare."

Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zeigte sich unzufrieden, obwohl er selbst Teil der Unionsfraktion ist. Schäuble hatte sich intensiv um einen Kompromiss im Wahlrechtsstreit bemüht. Unter seiner Leitung hatte eine Kommission mit Mitgliedern aus allen Fraktionen über Lösungen beraten - ist am Ende aber an der Aufgabe gescheitert. Schäuble müsste sich also freuen, dass es endlich einen Kompromiss gibt. Doch der Süddeutschen Zeitung antwortet er auf die Frage, was er von den Beschlüssen des Koalitionsausschusses halte, nur sarkastisch: "Das Ergebnis des Koalitionsausschusses bietet keinen Raum für Kommentare."

Neben der Verkleinerung des Bundestags hatte der Koalitionsausschuss noch weitere Themen auf der Agenda, die mit dem Wahlrecht zu tun haben. Diese sollen jetzt aber in einer neuen "Reformkommission" besprochen werden. Dabei geht es um eine mögliche Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, um eine denkbare Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre sowie um eine stärkere Repräsentanz von Frauen. In dem Beschluss des Koalitionsausschusses heißt es, die Kommission solle "im Lichte aktueller Urteile verfassungsgemäße Maßnahmen empfehlen, um eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern auf den Kandidatenlisten und im Bundestag zu erreichen".

Mehr ist von der SPD-Forderung nach einem Paritätsgesetz in der Sitzung des Koalitionsausschusses nicht geblieben. Auch das dürfte Söder gefallen haben.

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