Außenansicht:Mi Heimat es su Heimat

Dr. Simone Egger, 39, ist Kulturwissenschaftlerin und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 2014 hat sie den Band "Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden" veröffentlicht.

Simone Egger, 39, ist Kulturwissenschaftlerin und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 2014 hat sie den Band "Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden" veröffentlicht.

(Foto: Verena Nagl)

Die CSU, Bayern und die Tracht, das war früher eine Einheit. Mittlerweile trägt die ganze Welt Tracht - und die CSU ist plötzlich heimatlos geworden. Sie steckt vor der Wahl in der Identitätskrise, weil sie nicht wahrhaben will: Zur Heimat gehört heutzutage auch Vielfalt.

Von Simone Egger

Im Herbst 2018 läuft ein Heimatfilm in den deutschen Kinos. "Wackersdorf" erzählt eine Episode der bayerischen Geschichte, in der sich neue soziale Bewegungen mit einer - wenn nicht historisch verbrieften, dann umso häufiger und intensiver beschworenen - Widerständigkeit der Menschen im Freistaat verbinden. Entlang eines meterhohen Zauns wurde in den 1980er und 1990er Jahren mitten im Wald verhandelt, ob eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage den Landkreis Schwandorf ökonomisch bereichern - oder nicht nur der Oberpfalz langfristig schwere Schäden zufügen würde. Im Widerstand gegen die Entscheidungsträger der Regierungspartei CSU verbündeten sich Bewohnerinnen und Bewohner der Region, Bäuerinnen und Bauern, der Landrat, alternativ Denkende aus dem gesamten Bundesgebiet. Ihre Kritik galt nicht nur einer allzu fortschrittsgläubigen Atompolitik, sondern vor allem der Art und Weise, wie Macht und Gewalt ausgeübt wurden.

Wackersdorf führte viele in den Protest für die Demokratie in Bayern. Der Kampf um die WAA markiert deshalb aus heutiger Sicht einen zentralen Erinnerungsort des anderen Bayern, einer Heimat ohne CSU-Programm. Und nimmt damit die heutige Krise der Partei vorweg.

Die Frankfurter Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus hat sich seit den 1970er Jahren mit der Frage befasst, was Heimat bedeuten kann. Sie hat Regionalentwicklung, Umweltschutz und ökologische Konflikte mit einem politischen Bewusstsein und der Sorge um Heimat zusammengedacht. Im Wechsel mit romantischen Vorstellungen von Idyllen und anderen Sehnsuchtsorten, wie sie gerade in Bayern imaginiert werden und auch besonders zahlreich vorhanden sind, hat Heimat in diesem Sinne mit einem konkreten Empfinden zu tun. Mit Auseinandersetzung.

Heimat geht auf ein Gefühl des Versichert-Seins zurück, ist etwas Selbstverständliches und ermöglicht im besten Fall ein gutes Leben. Heimat beinhaltet immer auch ein abgrenzendes Moment. Wenn ich weiß, wer ich nicht bin, weiß ich eher, wer ich bin. Was als Heimat wahrgenommen wird, ist eine sehr persönliche Frage. Dabei muss Heimat aber nichts Rückwärtsgewandtes sein und sich nicht auf das geschlossene System einer Schneekugel begrenzen. Heimat spüren und erfahren, sagt Ina-Maria Greverus, hat immer damit zu tun, dass ich aktiv werden und meine Lebenswelt gestalten kann.

Diese Möglichkeit nutzte unter dem Hashtag #Ausgehetzt im Sommer 2018 ein breites Bündnis aus etablierten Netzwerken, Initiativen, Parteien, Kirchen und anderen einflussreichen Institutionen; es protestierte gegen rassistische Ausgrenzung und rechte Stimmungsmache in Bayern. Trotz strömenden Dauerregens folgten mehrere zehntausend Menschen dem Aufruf. Der Protest richtete sich insbesondere gegen den Populismus der CSU und ihre anhaltend rückwärts gewandte Interpretation der postmodernen Gegenwart. Die von der CSU immer vehementer hervorgebrachten Versuche der Abschottung haben für viele Menschen nichts mehr mit der Zukunft zu tun, die im Wahlwerbespot der CSU gepriesen wird. Sie nehmen Heimat als Ort wahr, an dem vieles gleichzeitig stattfindet und stattfinden kann.

Bayern ist eine Region, die durch kulturelle Besonderheiten wie Trachten und andere - ältere und neuere - Traditionen weltbekannt ist und Menschen aus aller Welt anzieht. Offenheit ist damit ein wesentliches Kennzeichen von Heimat - auch oder gerade weil man dort Dirndl und Lederhosen trägt. Früher war die Tracht das Sinnbild der Einheit von Bayern und CSU. Das hat sich geändert. Egal ob man aus Bayern stammt oder nicht: Jede und jeder kann, bevorzugt auf der Wiesn, die Tracht ausprobieren, durchaus auch ironisch, und sich so ins Bayerischsein hinein fühlen. Was das Bayerische ist, wird auf diese Weise immer wieder überformt. Mit der Rede von "Laptop und Lederhosen" hatte die CSU dieses Zusammenspiel von Tradition und Moderne vor Jahrzehnten treffend beschrieben. Aber diese Definitionsmacht hat die Partei mittlerweile eingebüßt.

Vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kundgebung gegen Sektiererei und Hetze war es wichtig, selbst dafür einzutreten, was Bayern aus ihrer Sicht ausmacht. Zugehörigkeit ist aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive immer ein individuelles Gefühl, das im kollektiven Bewusstsein aufgehen kann, aber eben nicht muss. In der Berichterstattung über die Demonstration tauchte gleich mehrfach ein Schild mit dem Slogan "Mi Heimat es su Heimat" auf. Zu lesen war der Spruch zwischen zwei Plakaten mit der Aufschrift "A Mass statt Hass" oder "Grant'n - Ja! Hetz'n - Nein!". Die deutlich in Dialekt gehaltenen Botschaften stammten von einer Gruppe, die in historischen Trachten zur Kundgebung gekommen war. Ein Dutzend Menschen waren aus Riedering, einer Bilderbuch-Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, angereist, um in München ihre Meinung kundzutun.

"Mi Heimat es su Heimat" ist ein mehrfacher Verweis. Aufgerufen wird damit zunächst einmal die spanische Redewendung "Mi casa es su casa". Mein Haus ist Dein Haus. Damit bietet man jemand anderem an, sich im eigenen Heim wie zu Hause zu fühlen. "Mi Heimat es su Heimat" meint zugleich eine Umdeutung. Nicht Exklusion, sondern die Möglichkeit der Begegnung kennzeichnet dieses andere Verständnis von Zugehörigkeit.

Die Beschäftigung mit dem Thema Heimat kann ein Pulsmesser für gesellschaftliche Fragen und das Bewusstsein für Teilhabe und Verantwortung sein. Es wäre fatal, Heimat als konservatives und gar rechtes Gedankengut zu brandmarken und sich nicht mit diesem Schlüsselthema der flüchtigen Moderne zu beschäftigen. Welche Fragen den Bewohnerinnen und Bewohnern das Freistaats, aber nicht nur ihnen, derzeit besonders am Herzen liegen, macht ein Artikel deutlich, den der Journalist Yves Bellinghausen im August 2018 für das SZ-Magazin verfasst hat. Unter der Überschrift "Kümmern Sie sich bitte um meine Heimat!" wird eine Kolumne mit den Sätzen eingeführt: "Die CSU sieht 'die Heimat' bedroht. Unser Autor auch. Aber nicht durch Migranten, sondern durch unbezahlbare Mieten."

Viele Menschen erfüllen den alten CSU-Slogan von "Laptop und Lederhosen" mittlerweile mit Leben. Sie sind in Bayern und in der Welt zu Hause, sehen ihre Heimat nicht durch Diversität bedroht. Die Vielheit ist zum Teil ihres Selbstverständnisses geworden. Und natürlich kann man nicht nur eine, sondern zwei, drei, viele Heimaten haben. Die CSU dagegen kämpft um ihr altes Verständnis von Heimat und schlägt dabei wild um sich. Ein Dreh- und Angelpunkt der politischen Diskussion war in den vergangenen Jahren der Themenkomplex "Migration". Wesentlich bestimmten Diskurse um Sicherheit und "Rückführungen" das Agieren und Agitieren der bayerischen Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder, der zunächst mit einem symbolträchtigen Kreuzerlass zu Felde zog, um anschließend Verunglimpfungen des Asylrechts nach allen Regeln eines rechten Populismus zu lancieren.

Doch welche Möglichkeiten ein offenes Konzept von Heimat birgt, wird inzwischen breit diskutiert. Wer mag, liest Heimat selbstverständlich nach seinem eigenen Verständnis. Das haben im Freistaat mittlerweile auch Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien begriffen. Nach Jahrzehnten der unangefochtenen Herrschaft über Seen, Berge und Idylle ist der CSU damit die Deutungshoheit über ihren Markenkern abhanden gekommen. Mehr Heimat als heute war vielleicht nie. Heimatgefühle werden sogar im Discounter angesprochen, kaum mehr ein Fleck ohne Landliebe und Leberwurst. Und gerade jetzt hat die CSU den Bezug zur Heimat verloren, weil sie sich verschließt.

"Damit Bayern stabil bleibt", das will die CSU garantieren, doch all ihren Bekundungen zum Trotz: Sie ist heimatlos geworden. Sie schwebt in anderen Sphären. "Bavaria One", das Raumfahrtprogramm von Markus Söder, illustriert durch das Konterfei des amtierenden bayerischen Ministerpräsidenten in einem stilisierten Weltall, steht sinnbildlich dafür. Heimatlosigkeit ist ein starkes Gefühl.

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