Nach Massaker in Florida:Lieber erstmal den Täter für verrückt erklären

  • Nach dem Amoklauf von Florida mit 17 Toten betont US-Präsident Donald Trump, dass der Täter geisteskrank gewesen sei.
  • Eine Verschärfung des Waffenrechts bringt er hingegen nicht ins Spiel.
  • Dies folgt einer Strategie.

Analyse von Thorsten Denkler, New York

US-Präsident Donald Trump ist das, was in den USA ein Mann der NRA genannt wird. Die nationale Waffenvereinigung ist einer der mächtigsten Organisationen in den USA mit im Grunde nur einem Ziel: Den Besitz von Waffen jeder Art für jeden überall in den USA möglich zu machen. Wer sich die Waffenlobby zum Gegner macht, der hat es in einigen Regionen der USA schwer, einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Für Trump war das nie eine Frage, er hat sich von der NRA immer als ihr Präsident feiern lassen. Und die hat kräftig Geld für seinen Wahlkampf gesammelt. Die NRA hat gut 30 Millionen Dollar in Anzeigen Pro-Trump und Anti-Clinton gesteckt. Etwa so viel, wie die SPD insgesamt für den Bundestagswahlkampf 2017 ausgegeben hat.

Darum ist es auch kein Wunder, dass Trump in seinen ersten Erklärungen nach dem Massaker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida, kein Wort über Waffen oder das Waffenrecht verlor. Kein Wort darüber, wieso ein 19-Jähriger am Mittwoch mit unzähligen Magazinen für sein halbautomatisches Sturmgewehr vom Typ AR-15 in seine ehemalige Schule eindringen, 17 Menschen erschießen und Dutzende weitere verletzen konnte.

Trumps schlichte Erklärung lautet: Der junge Mann war geistig krank. In der Tat, nach allem, was über den Täter bekannt ist, war er ein auffälliger Schüler. Aggressiv und unberechenbar. Er durfte nicht mehr mit Rucksack in die Schule kommen, weil er darin gerne Waffen wie Messer oder Pistolen in die Schule schmuggelte, um damit anzugeben. Später flog er von der Schule.

In einem ersten Tweet hat Trump erklärt, die Bürger aus Parkland hätten den Mann immer wieder den Behörden melden müssen. Damit schob er ihnen einen gehörigen Teil der Verantwortung für das Massaker zu. In einer Fernsehansprache kündigte er am Donnerstag an, mehr dafür tun zu wollen, dass Kinder und Jugendliche geistig gesund blieben, um weitere Schießereien an Schulen zu verhindern. Konkret wurde er nicht, aber er sagte, er werde sich mit Vertretern von Bundesstaaten und Städten zusammensetzen, "um die Schulen sicher zu machen und das schwierige Problem der geistigen Gesundheit anzugehen".

Er verschiebt damit - ganz im Sinne seiner Wahlkampfhelfer von der NRA - den Blick von Waffen und dem Waffenrecht auf das Individuum: Nicht die Waffe tötet, sondern der Mensch, der sie benutzt. Was allerdings nicht erklärt, warum sich jeder junge Erwachsene und viele Jugendliche in den USA eine halbautomatische Waffe kaufen können, mit der ein geübter Schütze bis zu fünf Schuss pro Sekunde abfeuern kann. Was im Zweifel bedeutet, dass er fünf Menschen in eben dieser Sekunde töten kann.

Es ist nicht das erste Mal, dass Trump die geistige Gesundheit des Täters in Frage stellt: So war das nach dem Las-Vegas-Massaker mit 58 Toten Anfang Oktober. So war das auch nach den Schüssen in einer Kirche in Texas Anfang November, die 26 Menschen das Leben kosteten.

Es gibt keinen Beweis, das geistig Kranke häufiger zu Gewalt neigen

Dennoch hat er danach keinen Anlass gesehen, eine vor diesem Hintergrund etwas verwirrende Entscheidung von Februar 2017 zu überprüfen. Damals hat er etwa 75 000 geistig kranke Menschen aus einer Datenbank für Hintergrundchecks von potentiellen Waffenkäufern entfernen lassen. Unter dem Jubel der NRA, versteht sich.

Barack Obama hatte die Regel Anfang 2016 angekündigt. Unter dem Eindruck vieler Schulmassaker und besonders dem an der Sandy Hook Grundschule in Connecticut im Jahr 2012 wollte er erreichen, dass Personen mit mentalen Problemen keine Waffen mehr kaufen können. Auch der Schütze an der Sandy Hook Grundschule galt als geistig verwirrt. Er erschoss 20 Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren und sechs Angestellte der Schule.

Das Gesetz sah damals schon vor, dass Menschen mit geistigen Problemen keine Waffen besitzen dürfen, wenn sie damit zu einer Gefahr für sich oder andere werden könnten. Nur war das Register der Bundespolizei FBI für den Hintergrundcheck (NICS) an der Stelle löchrig. Obama ordnete deshalb an, dass die Behörde für Soziale Sicherheit dem FBI alle Personen melden sollte, die

  • ihre Versicherung wegen einer Behinderung in Anspruch nehmen,
  • nicht in der Lage waren, ihre Geldangelegenheiten zu regeln,
  • und dokumentierte mentale Probleme haben.

Das traf auf etwa 75 000 Menschen zu, die zusätzlich in das NICS-System aufgenommen werden und auf legalem Wege keine Waffe mehr kaufen können sollten. Das Dekret wurde allerdings erst im Dezember 2016 fertig. Also nach der US-Wahl, die Trump gewann.

Das Dekret ist dank Trump Geschichte. Und auch sonst weicht er, wo es geht, die Waffenkontrolle auf. Unter seiner Führung sind auch etwa 500 000 Menschen aus dem NICS-System gefallen, die bislang als Justizflüchtlinge galten und deshalb ihr Recht verwirkt hatten, eine Waffe zu kaufen.

Das Justizministerium hat dafür im November einfach die Definition eines "Justizflüchtlings" geändert. Als solche gelten jetzt nur noch Personen, die die Grenzen eines Bundesstaates überschritten haben, um sich einer Strafverfolgung zu entziehen. Wer in den Grenzen des Bundesstaates bleibt, in dem er sich vor Gericht verantworten muss, der kann dort wieder eine Waffe kaufen.

Zusätzlich hat Trump in seinem Haushaltsplan für das Jahr 2019 eine massive Kürzung der personalintensiven Hintergrund-Überprüfung von potentiellen Waffenkäufern angekündigt. Statt 73 Millionen Dollar sind nur noch 61 Millionen Dollar dafür veranschlagt, den Bundesstaaten mit Geld zu helfen, ihre Datenbanken zu pflegen - eine Kürzung um 16 Prozent.

Aber zurück zu Trumps Methode, die geistige Gesundheit der Täter in Zweifel zu ziehen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es Unsinn, anzunehmen, dass jemand eher zu Gewalt neigt, wenn er unter einer geistigen Krankheit leidet. Studien haben gezeigt, dass an lediglich vier Prozent aller Gewalttaten in den USA Menschen mit geistigen Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolarer Störung oder Depression beteiligt waren. Andersherum: 96 Prozent aller Gewalttaten hatten ihren Ursprung nicht in einer geistigen Krankheit des Täters. Wenn Menschen mit geistiger Erkrankung Gewalt ausüben, dann meist gegen sich selbst.

Die öffentliche Wahrnehmung in den USA ist jedoch eine völlig andere: Eine Medien-Studie aus dem Jahr 2016 hat ergeben, dass in über der Hälfte aller Berichte, in denen es um Gewalt ging, die Frage der geistigen Gesundheit des Täters thematisiert wurde. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Auch wenn tatsächlich mal ein Täter an einer geistigen Krankheit leidet, sei das "nicht repräsentativ" für die Gründe von Gewalt in den USA, sagt Emma McGinty, Autorin der Studie und Professorin für Gesundheitspolitik an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland.

So gesehen ließe sich sagen, dass Trump etwas Gutes getan hat, als er die Obama-Regel außer Kraft gesetzt hat, mit der mehr Menschen mit mentalen Problemen vom Waffenkauf ferngehalten werden sollten. Gegen die Obama-Regel hatten schließlich auch liberale Gruppen demonstriert, die die Rechte von geistig Kranken in Gefahr sahen.

Allerdings war auch der Schritt ganz im Sinne der NRA. Die fährt eine Art Doppelstrategie: Um nicht über das Waffenrecht reden zu müssen, erklärt sie Täter, die Massaker angerichtet haben, regelmäßig zu kranken Monstern. Und krank seien die, weil das Gesundheitssystem der USA so kaputt sei, dass ihnen nicht rechtzeitig geholfen werden konnte. Ganz so macht es auch Trump.

Öffentlich unterstützt die NRA deshalb zwar, dass in die Hintergrundchecks mehr Informationen zur geistigen Gesundheit einfließen. Schlicht, um so leichter vom Kernproblem des übermäßigen Waffenbesitzes in den USA ablenken zu können.

Sobald es aber konkret wird, wie im Fall der neuen Obama-Regeln, versucht sie mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Datenbanken größer werden. Dann sind plötzlich Bürgerrechte in Gefahr.

Als größtes Übel wird ein nationales Waffenregister gesehen, in dem jeder Waffenbesitzer mit Name, Adresse, Zahl und Typ seiner Waffen eingetragen wäre. Jede noch so kleine Verschärfung der Überprüfungsregeln wird als Schritt in diese Richtung gewertet.

Die Gewaltforscherin McGinty gesteht allerdings zu, "dass jemand, der massenhaft Menschen umbringt, niemand ist, den wird als mental gesund bezeichnen würden". Das bedeute aber nicht, dass diese Täter in einem klinischen Sinne geisteskrank seien und entsprechend behandelt werden könnten. Meist spielten Stressfaktoren eine Rolle. Es könne jedenfalls eine ganze Bandbreite von Gründen geben, die jemanden zu so einer Tat bewegten.

Mit anderen Worten: Potentiell kann aus Sicht der Wissenschaft jeder zu einem Massenmörder werden. Genau diese Botschaft aber ist es, die Trump und die NRA auf gar keinen Fall verbreitet sehen wollen. Denn die Konsequenz kann dann nur sein, den Waffenbesitz mehr oder weniger zu verbieten.

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