Militärmanöver:Angst vor Russlands "grünen Männchen"

Militärmanöver: Bollwerk gegen die große Angst vor den Russen: Nato-Soldaten bei einer Übung in Bulgarien.

Bollwerk gegen die große Angst vor den Russen: Nato-Soldaten bei einer Übung in Bulgarien.

(Foto: AFP)
  • Im September führen russische und weißrussische Armee gemeinsam das Manöver Zapad-2017 durch.
  • Die Übung weckt bei den Ostsee-Anrainern die Angst, dass sich nun dauerhaft russische Soldaten im Grenzgebiet aufhalten.
  • Russland seinerseits sieht sich durch die Nato bedroht, die im Baltikum und Polen Bataillone stationiert hat.

Von Tobias Matern und Frank Nienhuysen

Die ersten russischen Soldaten sind schon in Weißrussland angekommen, und Sorgen sind auch längst da. Das geplante russisch-weißrussische Manöver Zapad-2017 hat in der Region massive Befürchtungen ausgelöst. Die Ukraine, aber auch die Balten und die Polen fühlen sich bedroht. Aber nach Moskauer Logik ist so ein Manöver nötig, weil es sich wiederum von der Nato bedroht fühlt.

Die Übung namens "der Westen" findet alle vier Jahre statt

Kürzlich traf sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko mit seinem weißrussischen Kollegen Alexander Lukaschenko, es sollte vor allem um ein Thema gegangen sein: das Manöver Zapad-2017. Lukaschenko hatte der Ukraine schon im Frühjahr versichert, dass bei der großen Übung keinerlei Panzer von weißrussischem Boden die ukrainische Grenze überqueren würden. Kiew aber befürchtet, dass Russland das Manöver für "eine Aggression gegen ein beliebiges europäisches Land" nutzen könnte. So jedenfalls zitiert die Zeitung Nesawissimaja Gaseta den ukrainischen Verteidigungsminister Stepan Poltorak.

Sorgen machen sich aber auch andere. Vor allem Polen und die drei baltischen Staaten - und die Nato-Führung selber. Die Übung Zapad, auf Deutsch "der Westen", findet seit 2009 alle vier Jahre statt, diesmal jedoch wird sie in Europa sensibler wahrgenommen als in der Vergangenheit. Es ist die erste seit dem Ukraine-Konflikt und der schweren politischen Krise zwischen Russland und dem Westen wegen der russischen Krim-Annexion.

Mitte September soll das Manöver abgehalten werden, für knapp eine Woche. Nach Angaben Moskaus werden daran 12 700 Militärangehörige teilnehmen. Auch die russische 1. Garde-Panzerarmee, im Zweiten Weltkrieg gegründet und 2016 neu gebildet, soll dabei sein. Aus russischer Sicht wurde die Panzerarmee zur Abschreckung des Westens reaktiviert.

Stoltenberg hat Zweifel an den russischen Zahlenangaben

Moskau hat die Nato routinemäßig vorab über die Zahlen informiert. Aber dass die Angaben stimmen, daran hat das westliche Verteidigungsbündnis Zweifel. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte die Informationen zwar, betonte aber, dass die genannten Truppenzahlen von Mitgliedstaaten der Allianz hinterfragt würden. Frühere Übungen hätten gezeigt, dass Moskau "deutlich mehr Truppen" eingesetzt habe als angegeben worden waren. Das "Wiener Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen" sieht vor, dass bei Manövern Beobachter anderer Staaten zugelassen werden müssen, sobald mindestens 13 000 Personen teilnehmen. Russland und Weißrussland liegen darunter. Bei Zapad-2017 sind es 300 Soldaten weniger - nach Einschätzung Litauens Zehntausende mehr.

Verteidigungsminister Raimundas Karoblis sprach sogar von 100 000 russischen Soldaten, mit denen Präsident Wladimir Putin angeblich "die Nato testen" wolle. Litauen befürchtet, dass die Soldaten nach Ende der Übung an den Grenzen zur EU belassen werden könnten. "Die große Sorge ist, dass sie nicht gehen, und das ist keine Paranoia", zitiert die New York Times einen US-Kommandeur.

Auch der weißrussische Oppositionspolitiker Nikolaj Statkewitsch, ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat, hält es für möglich, "dass wir nach der Übung Tausende ausländische Soldaten auf unserem Gebiet haben werden, und den Verlust unserer Unabhängigkeit". Ein Verdacht, den Weißrusslands Präsident Lukaschenko von sich weist. "So wie die Truppen hierherkommen, so werden sie von hier auch wieder weggehen". Die beiden slawischen Bruderstaaten weisen auf den "defensiven Charakter" der Übung hin, für Russlands Außenminister Sergej Lawrow kommt eine Absage deshalb nicht infrage.

Im Suwalki-Korridor ist die Nato besonders verwundbar

Beschuldigungen von der einen Seite, ein verbaler Konter von der anderen - das ist in diesen Zeiten Alltag: Ein psychologischer Kreislauf, der das Misstrauen vertieft. Russland hat 2014 die Krim annektiert und "grüne Männchen", Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, auf die ukrainische Halbinsel geschickt. Das hatte den immer schnelleren Abtausch an militärischen Übungen ausgelöst. Die Zahl der Manöver jedenfalls ist in den vergangenen drei Jahren gestiegen. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu sind für 2017 mehr als 2800 Übungen diverser Art angesetzt. Im Blickpunkt stehen die großen Manöver. Nur: Nach Moskaus Logik ist nicht der Westen wegen der Krim-Erfahrungen zu Recht besorgt, sondern Russland seinerseits müsse sich vor einer aggressiven Nato fürchten.

Schoigu wies mit Blick auf Zapad-2017 auf "eine Steigerung der Nato-Aktivitäten" hin. Russland sei zu "entsprechenden Verteidigungsmaßnahmen gezwungen". Moskau zielt etwa auf die westliche Ostsee-Übung Baltops ab, auf das Nato-Manöver Noble Jump in Bulgarien, Rumänien und Griechenland, auf Saber Strike, und natürlich Sea Breeze, bei dem auf dem Schwarzen Meer auch die Ukraine teilnimmt. Russland, das sich von der Nato umzingelt sieht, reagiert mit Zapad-2017 auf die Stationierung mehrerer Nato-Bataillone in Estland, Lettland, Litauen und Polen mit insgesamt etwa 4600 Soldaten, obwohl diese ja wiederum erst als Reaktion auf die Krim-Annexion und die Ängste der Osteuropäer dort stationiert worden waren.

Angstmacherei oder realistische Bedrohung? Eine Frage der Sichtweise

Alte Taktiken, garniert mit neuer Technik, werden nun in der Nato wieder geübt. Armeen wie die der USA und auch die Bundeswehr achten nach Jahren der Out-of-Area-Einsätze wie in Afghanistan nun darauf, ein klassisches militärisches Rüstzeug nicht aus den Augen zu verlieren: Landesverteidigung im Nato-Verbund. Das klingt nach Kalter-Kriegs-Rhetorik, und tatsächlich sind Begriffe wie die Fulda-Lücke - also die Stelle, an der sich die Nato einst am ehesten verwundbar von der Sowjetunion fühlte - durch den "Suwalki-Korridor" ersetzt worden. Gemeint ist das Gebiet, das einerseits Polen und das Baltikum mit der Nato, und andererseits Weißrussland und die russische Exklave Kaliningrad verbindet. Vom Pentagon finanzierte Studien, wie etwa die der Rand-Corporation, entwickeln Szenarien, nach denen russische Soldaten innerhalb von 60 Stunden in baltische Hauptstädte vordringen könnten, ohne dass die Nato dem viel entgegensetzen könnte. Angstmacherei oder realistische Bedrohung? Eine Frage der Sichtweise.

Das Misstrauen ist vor dem Zapad-Manöver jedenfalls groß. Auch die gerade abgehaltene gemeinsame Übung der chinesischen und russischen Marine hat ihren Teil dazu beigetragen. Diese hat zwar bereits seit 2012 jährlich stattgefunden, diesmal jedoch nicht etwa im fernen Pazifik, sondern zum ersten Mal in der Ostsee, in der Nähe von Kaliningrad. Litauens Außenminister Linas Linkevičius sah darin eine "mögliche Bedrohung für die Stabilität in der Region". In der Abschlusszeremonie betonte der russische Vizeadmiral Alexander Fedotenkow, die Übungen seien "nicht gegen irgendeinen dritten Staat" gerichtet. Ein Zeichen russisch-chinesischen Zusammenhalts wurde damit gleichwohl gesetzt. Zeichen wollen sicherheitshalber auch die USA setzen; während Zapad-2017 soll nach Aussagen der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite die Zahl der patrouillierenden US-Kampfjets verdoppelt werden.

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