Bayerns Schulpolitik:CSU könnte ihren Zickzackkurs als klare Linie verkaufen

Abitur

Abitur ARCHIV - ´Abitur - Bitte Ruhe!" steht am 13.05.2011 vor dem Eingang der Turnhalle des Anton-Bruckner-Gymnasiums in Straubing. Foto: Armin Weigel/dpa (zu dpa Kuschelnoten beim Schmalspur-Abi? - Reifeprüfung vor Mini-Reform' vom 10.06.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++

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Einst trieb Edmund Stoiber Bayerns Gymnasiasten im Rekordtempo ins G8. Nun geht es unter dem Druck der Wähler wieder zurück zum G9.

Kommentar von Frank Müller

Immer schon steht das bayerische Abitur in dem Ruf, besonders anspruchsvoll zu sein. Doch allmählich drängen sich ein paar extra schwere Zusatzfächer für den Prüfungskanon auf. Chaostheorie zum Beispiel: Zeigen Sie auf, welche unvorhergesehenen Abläufe die Debatte über das bayerische Schulsystem noch weiter komplizieren könnten. Dazu als Wahlfach Absurdes Theater: Skizzieren Sie eine Aufführung, in der alle Protagonisten völlig unterschiedliche Ideen haben und dabei stets betonen, sich komplett einig zu sein.

Bayern ist ein Land grotesker Doppelbödigkeit in der Schulpolitik. Zum einen ist der Freistaat im deutschen Vergleich sehr erfolgreich, was die Bildung betrifft. Das Niveau ist hoch, Bayerns Schüler sind stets unter den Besten; zugleich sind die Schulen keine unmenschlichen Stressfabriken, sondern oft humane, freundliche Institute mit gut motiviertem Personal. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite leistet sich das Land eine Schulpolitik, die für Lehrer, Eltern und Kinder eine Zumutung ist.

Mehr als ein Jahrzehnt ist es nun her, dass der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber den Bayern fast handstreichartig ein Schuljahr wegnahm, seitdem hat Bayern das achtstufige Gymnasium. Das gibt es zwar auch anderswo, aber in Bayern musste es in Stoiberschem Rekordtempo übers Knie gebrochen werden.

Seitdem wird eine nicht enden wollende Debatte geführt, wie man aus dem unangenehmen und viel zu engen Korsett wieder herauskommt. Das G 8 hat in vielen Familien den Stress erhöht, den Takt verdichtet, den Kindern Freiheit genommen. Die Mehrheit der Menschen will dieses System nicht. Man hätte es schon vor Jahren stoppen können, doch die Bildungspolitiker verlegten sich aufs Modifizieren des Unhaltbaren. Sie ersannen Gymnasien der zwei Geschwindigkeiten und eine "Mittelstufe plus". Schülern, die mehr Zeit zum Lernen brauchten, sollten in einem großen Feldversuch wieder neun Jahre ermöglicht werden, für die anderen blieb es bei acht.

Zick-Zack-Kurs als Sonderform der klaren Linie

Das wurde als individuelle Förderung der Schüler verkauft. In Wahrheit ging es jedoch um Gesichtswahrung für die CSU. Sie wollte sich nicht die Blöße geben, die ursprüngliche G-8-Reform zurückzunehmen. Und versuchte gleichzeitig, ein bisschen G 9 zu verwirklichen.

Dass das nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Zuletzt plädierte sogar der Parteinachwuchs von der Jungen Union für eine klare Rückkehr zu einem einheitlichen G 9. Dass dies die einzig sinnvolle Konsequenz aus dem jahrelangen Kuddelmuddel ist, glauben viele. Auch die CSU insgesamt spürt es, aber sie ziert sich noch.

Die Zeit des Umschwungs aber wird kommen, die nahende Landtagswahl im nächsten Jahr verstärkt den Druck auf die CSU. Vieles spricht also dafür, dass der Wähler bald eine Wende bewundern wird, die wie immer in solchen Fällen bei Horst Seehofers CSU, ein halsbrecherischer Kurswechsel mit hohem Chuzpe-Faktor ist. Wenn die Haupt- und Staatspartei demnächst das G 9 wieder einführen sollte, dann wird sie das nicht kleinlaut tun und einen Fehler eingestehen. Sie wird vielmehr großspurig behaupten, dass sie daran schon seit Jahren arbeite, der Elternwille höchste Priorität habe und sich alles zwangsläufig aus Seehofers immerwährender Koalition mit der Bevölkerung ergebe.

Die Erfahrung zeigt, dass solche Kehrtwenden funktionieren - dem Wähler ist es immer noch lieber, dass die CSU spät zur Vernunft kommt als gar nicht. Weil bis zur Wahl noch Zeit ist, werden die "Details" der G- 8-Stopselei bis dahin vergessen sein. Und schließlich brauchte auch die SPD ihre Zeit, bis sie auf G 9 einschwenkte. Für die Schüler bietet sich dann neuer Prüfungsstoff: Beschreiben Sie einen Zickzack-Kurs als Sonderform der klaren Linie.

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