Fall Peggy und NSU-Mordserie:Ein totes Mädchen, die DNA-Spur eines Terroristen - und viele Fragen

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  • Auf einem Stofffetzen, der sich in unmittelbarer Nähe des Skeletts der getöteten Peggy befunden hatte, wurde eine DNA-Spur des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt sichergestellt.
  • Als Peggy 2001 auf dem Schulweg spurlos verschwand, lebte Böhnhardt mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Untergrund. Das NSU-Trio wohnte in Zwickau, nicht einmal hundert Kilometer von Peggys Heimatort Lichtenberg entfernt.
  • Böhnhardt wurde schon einmal mit dem Mord an einem Kind in Verbindung gebracht - allerdings konnte bis heute nicht nachgewiesen werden, dass er etwas mit dem gewaltsamen Tod des Schülers Bernd B. 1993 in Jena zu tun hat. Der Fall wird nun neu geprüft.
  • Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess fordern, dass sich Beate Zschäpe zu den neuen Erkenntnissen äußern soll.

Von Jana Stegemann und Felix Hütten

Was sind die neuen Erkenntnisse im Fall Peggy?

Das, was gestern Abend bekannt wurde, könnte eine spektakuläre Wende im Kriminalfall Peggy sein. Die gemeinsame Pressemitteilung vom Polizeipräsidium Oberfranken und der Staatsanwaltschaft Bayreuth besteht nur aus sechs Sätzen, der Inhalt ist jedoch brisant. Im Zuge der Ermittlungen im Fall der 2001 verschwundenen Peggy aus Lichtenberg hat die Polizei DNA-Spuren des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt festgestellt. Nach SZ-Informationen wurden die Spuren auf einem Stofffetzen entdeckt, der im Juli nahe der sterblichen Überreste des Mädchens gefunden worden war. Der Fund sei im "direkten Zusammenhang" mit der Entdeckung der Skelettteile erfolgt, teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel in Bayreuth mit.

Peggys sterbliche Überreste waren Anfang Juli dieses Jahres von einem Pilzsammler in einem Wald in Thüringen an der Grenze zu Oberfranken gefunden worden - mehr als 15 Jahre nach ihrem Verschwinden und nur 15 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Das Skelett des Mädchens war aber nicht vollständig, außerdem fehlten Gegenstände, die Peggy bei ihrem Verschwinden bei sich trug. Aus diesem Grund durchsuchte die Polizei das Waldstück Ende September erneut - und fand dabei Kleidungsstücke des Mädchens.

Klar ist für die Ermittler, dass der Fundort der Skelettteile nicht der Tatort war. Wie lange genau Peggy nach ihrem Verschwinden noch gelebt hat, ist unklar. Ebenso, wie lange die Skelettteile in dem Wald lagen. Die Knochen seien Peggy aber im Alter von neun Jahren zuzuordnen, sagte Potzel.

Kriminalfall
:Thüringen lässt nach Spur zu Böhnhardt Mord an Schüler neu prüfen

Der neunjährige Schüler Bernd B. wurde 1993 in Jena ermordet. NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt wurde schon einmal mit dem Mord in Verbindung gebracht. Bisher konnte ihm nichts nachgewiesen werden.

Was verbindet den NSU mit Peggy?

Bisher gab es keine Hinweise, dass Verbindungen zwischen dem Fall Peggy und der NSU-Mordserie bestehen. Als Peggy auf dem Schulweg spurlos verschwand, lebte Böhnhardt bereits sei drei Jahren mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Untergrund. Das NSU-Trio wohnte in Zwickau, nicht einmal hundert Kilometer von Peggys Heimatort Lichtenberg entfernt, die Mordserie des NSU begann im September 2000.

Um sich der Festnahme zu entziehen, begingen Mundlos und Böhnhardt 2011 gemeinsam Suizid. Ihre Leichen wurden von der Polizei in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Rätsel gab den Ermittlern auf, dass im Wohnmobil auch die verkohlten Reste eines Plüschteddys, eines Kinderschuhs, einer Puppe und einer Wasserpistole gefunden wurden. An allen Kinderspielzeugen sowie an dem Schuh wurden DNA-Spuren der beiden Männer gefunden. An dem Kinderschuh fand sich eine Spur, die bislang niemandem zugeordnet werden konnte - jedoch auch nicht der toten Peggy.

Auf einem der Computer, die in der vom NSU genutzten Wohnung in Zwickau sichergestellt wurden, entdeckten die Ermittler außerdem kinderpornografische Bilder. Das Gerät gehörte Beate Zschäpe. 2013 wurden deshalb Ermittlungen gegen sie aufgenommen. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, weil eine zu erwartende Strafe im Verhältnis zu den Strafen wegen Terrorismus "voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht" fallen würde, wie die Staatsanwaltschaft damals erklärte. Ob Böhnhardt mit den Bildern etwas zu tun hatte, lässt sich nicht sagen.

Im Mai 2015 hielt es der baden-württembergische CDU-Landtagsabgeordnete Matthias Pröfrock für denkbar, dass der NSU sich neben Banküberfällen auch "über das Vermitteln von Kindern zum Zweck des Missbrauchs finanziert" haben könnte. Seine diesbezügliche Frage an einen Ermittler im Fall Michèle Kiesewetter hielt dieser allerdings für nur "spekulativ". Im Juli befragte Pröfrock im Untersuchungsausschuss in Stuttgart den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz von Baden-Württemberg, Helmut Rannacher, über mögliche Zusammenhänge zwischen der rechtsextremen Szene und Kinderpornografie. Darüber wusste Rannacher nichts zu sagen.

Bekannt ist allerdings, dass der Thüringer Neonazi Tino Brandt, ein V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes, im rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" Kontakt zu den NSU-Terroristen hatte. Brandt wurde 2014 wegen Kindesmissbrauchs und der Förderung von Prostitution Minderjähriger verurteilt. Darüber, dass Böhnhardt mit diesen Verbrechen etwas zu tun hatte, ist nichts bekannt.

Warum wird nun auch über den ungelösten Mord am neunjährigen Schüler Bernd B. gesprochen?

2014 verfolgte die Polizei Hinweise, dass Böhnhardt in den Mord am neunjährigen Bernd B. im Juli 1993 in Jena verwickelt war. Diese Spur erhärtete sich jedoch nicht. Wegen der Entwicklung im Fall Peggy lässt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die Akten des Falls aber komplett neu prüfen. "Es gab einen Tod eines neunjährigen Kindes in den Neunzigerjahren in Jena und da waren Herr Böhnhardt und sein Name schon einmal im Visier und das müssen wir alles viel, viel gründlicher betrachten", sagte der Linken-Politiker. Der Fall des ermordeten Schülers ist bis heute nicht aufgeklärt.

Wie werden DNA-Spuren ausgewertet? Warum sind die Ermittler erst jetzt auf die Verbindung gekommen?

Die Untersuchung von DNA-Spuren kann, je nach Spurenlage, lange dauern und bedarf aufwendiger Verfahren.

DNA-Moleküle, also Träger der Erbinformation, befinden sich im Zellkern, zum Beispiel von Hautstückchen, und können von Forensikern am Tatort gesichert werden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen codierenden und nicht codierenden DNA-Abschnitten. Der größte Teil der menschlichen DNA besteht aus nicht codierenden Abschnitten, die hochindividuell bei jedem Menschen verschieden sind.

Die Möglichkeit, DNA zu untersuchen, hat die Rechtsmedizin revolutioniert, als sie in den Achtzigerjahren erstmals angewendet wurde. Selbst wenn ein Täter am Tatort keine weiteren Spuren hinterlassen hat, finden sich manchmal Blut- oder Spermaspuren, aus denen DNA-Segmente gewonnen und untersucht werden können. Ist der Täter in einer Datenbank bereits erfasst, kann seine Identität festgestellt werden.

Wichtigste Datenbank in Deutschland ist die DNA-Analysedatei, die das Bundeskriminalamt führt. Allerdings ist es Ermittlern nicht immer möglich, DNA zu sichern. Gerade in unwegsamem Gelände, in Wäldern oder Gewässern zerstört die Natur wichtige Spuren, auch Licht und Hitze kann DNA-Moleküle schädigen. Zudem besteht immer die Gefahr, dass Unbeteiligte einen Tatort kontaminieren und die Ermittler auf falsche Spuren bringen.

Welche Auswirkungen haben die neuen Erkenntnisse auf den NSU-Prozess?

Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess, forderte Beate Zschäpe auf, sich zu den neuen Erkenntnissen im Fall Peggy zu äußern. "Ich würde mir wünschen, dass Frau Zschäpe auch in diesem Fall an der Aufklärung mitwirkt und auspackt, was sie dazu weiß", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Daimagüler kündigte zudem einen neuen Beweisantrag an, der den in der abgebrannten Wohnung in Zwickau gefundenen Datenträger zum Gegenstand hat, auf dem sich kinderpornografisches Material befand. Man müsse herausfinden, sagte Daimagüler, "wer Kenntnis hatte und wer es draufgeladen hat - Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe oder alle drei".

Dagegen erwartet der bayerische Innenminister Joachim Herrmann vorerst keine direkten Auswirkungen. Die Ermittlungen in Sachen NSU-Terror lägen bei der Bundesanwaltschaft. Der Fall Peggy werde dagegen weiter von Kripo und Staatsanwaltschaft in Oberfranken bearbeitet. Allerdings werde es jetzt umfangreiche polizeiliche Ermittlungen geben. Man gehe allen denkbaren Hinweisen nach, sagte Herrmann. "Da liegt jetzt ganz einfach sehr viel Arbeit vor uns."

Fall Peggy
:Chronologie eines rätselhaften Verbrechens

2001 verschwand die kleine Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule spurlos. Ein Fall mit immer neuen Wendungen, Ermittlungen und Hinweisen.

Mit Material von dpa

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