Big Data:Krebsdiagnose aus der Suchmaschine

Wissenschaftler von Microsoft erklären, dass sie Krebskranke anhand ihres Suchverhaltens im Internet erkennen können - noch bevor die Nutzer selbst von der Erkrankung wissen.

Von Berit Uhlmann

Juckreiz, Blähbauch, Appetitverlust, heller Stuhl? Der moderne Mensch konsultiert bei solchen Symptomen gerne mal das Internet. Nicht auszuschließen ist, dass der Rechner in Zukunft hellhörig wird und dem Nutzer eine Warnung schickt: Verdacht auf Krebs der Bauchspeicheldrüse! Für Microsoft ist dieses Szenario gar nicht so abwegig. Theoretisch ließe sich eine solche Warnfunktion realisieren, verkündeten jetzt zwei Wissenschaftler des Unternehmens.

Eric Horvitz und Ryen White demonstrierten, dass sie Pankreaskarzinome schon Monate vor der ärztlichen Diagnose erkennen können, indem sie Anfragen an Microsofts Suchmaschine Bing auswerteten. In fünf bis 15 Prozent der Fälle gelang ihnen die Früherkennung. Beeindruckender ist die sehr niedrige Zahl von Fehlalarmen. Von 10 000 Nutzern wurde weniger als einer fälschlicherweise als krebskrank eingestuft. Insgesamt flossen in ihre Analyse die Daten von mehr als neun Millionen anonymisierten Internetnutzern ein.

Unter ihnen identifizierten die Wissenschaftler zunächst Menschen, die in ihrer Suchanfrage von einer Krebsdiagnose berichteten, etwa: "Bei mir wurde Bauchspeicheldrüsenkrebs festgestellt, was passiert jetzt?" Anschließend werteten sie aus, nach welchen Krankheitszeichen diese Menschen in den vorangegangenen Monaten gesucht hatten. Sie glichen die Suchbegriffe dann mit den Anfragen anderer Nutzer ab und konnten so zum Beispiel jene Menschen herausfiltern, die aus beruflichem Interesse das Netz nach medizinischen Fakten durchstöbern, höchstwahrscheinlich aber nicht selbst betroffen sind.

Die psychologischen Wirkungen von ungefragten Krebswarnungen sind nicht geklärt

Unter realen Bedingungen musste sich der Algorithmus allerdings nicht bewähren - und wird es wohl auch nicht so schnell. Horvitz und White kündigten zwar an: "Wir sind gespannt darauf, die Analyse auf andere verheerende und schwer zu diagnostizierende Krankheiten anzuwenden." Dennoch stellte Microsoft im hauseigenen Blog klar, dass es nicht beabsichtigt, seinen Kunden in naher Zukunft einen Krebsalarm auf den Bildschirm zu schicken. Man habe zunächst die prinzipielle Machbarkeit zeigen und damit eine Diskussion unter Ärzten anstoßen wollen. Deshalb sei die Arbeit auch zuerst in einer medizinischen Zeitschrift veröffentlicht worden. Sie erschien diese Woche im Journal of Oncology Practice.

In der Tat wirft das Allwissen der Suchmaschine eine Menge Fragen auf. Die Microsoft-Mitarbeiter führen ins Feld, dass ein webbasiertes Screening einfach und kostengünstig sei, sie räumen allerdings ein, dass die psychologischen Auswirkungen solcher Warnungen nicht geklärt seien. Hinzu kommen grundsätzliche Zweifel. Die Früherkennung erfüllt längst nicht immer die Erwartungen. Gerade bei sehr aggressiven Erkrankungen leben die Patienten durch die frühe Diagnose nicht automatisch länger. Sie wissen nur eher über ihr Schicksal Bescheid. Ob sie diesen Blick in die Zukunft auch ungefragt beim Surfen durchs Netz bekommen wollen, ist zu bezweifeln.

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