Außenansicht:Die Stunde der Entwicklungspolitik

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Fluchtursachen lassen sich durchaus in Herkunftsländern bekämpfen.

Von Michael Bohnet

Die Ursachen von Flucht sind Verfolgung, Krieg, Repression, Armut, Hunger und Dürre. Diese Ursachen sind das eigentliche Problem, nicht die Flüchtlinge. Die Bekämpfung der Ursachen ist auch eine Aufgabe der Entwicklungspolitik. Dabei gibt es keine schnellen Lösungen, trotzdem sind konkrete Maßnahmen möglich.

Erstens: Massive Umschichtung der deutschen Hilfe auf die ärmsten Länder. Derzeit kommen 25 Prozent den nach der Definition der Vereinten Nationen 50 ärmsten Ländern zugute. Zu ihnen gehören etwa 30 fragile und von bewaffneten Konflikten betroffene Länder. Im Jahr 2025 werden schätzungsweise 80 Prozent der extrem Armen in diesen Ländern wohnen. Von dort werden die künftigen Flüchtlingsströme kommen. Diese Länder sollten deshalb zum Schlüsselbereich der deutschen Entwicklungspolitik werden. Eine Reorientierung ist unabdingbar. Geeignete Instrumente sind vorhanden: klassische Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Nahrungsmittelhilfe, ziviler Friedensdienst, Verwaltungs- und Rechtshilfe und Förderung der Zivilgesellschaft.

Viele Flüchtlinge kommen heute aus fragilen Staaten wie Eritrea, Somalia, Afghanistan, Südsudan, Sudan, Mali und der Demokratischen Republik Kongo. Kurzfristige Lösungen gibt es nicht, wohl aber Hoffnungsprojekte. Im Zentrum müssten Maßnahmen zur Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit, der Nahrungsmittelknappheit und der ökologischen Degradation stehen. Eine Sonderinitiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung , verknüpft mit einer Ausbildungsinitiative, zielt in die richtige Richtung. Aufgabe ist, Menschen ohne Arbeit Bleibe- und Lebensperspektiven zu zeigen.

In Flüchtlingslagern der Region sollten Stabilitätskerne geschaffen werden

Eritrea ist das Hauptherkunftsland afrikanischer Flüchtlinge in Deutschland (25 000 Asylanträge 2015). Fluchtgrund sind die desolate Wirtschaftslage, fehlende Perspektiven und der obligatorische Nationaldienst, der junge Männer und Frauen zu Wehr- und Arbeitsdiensten von praktisch unbegrenzter Dauer verpflichtet. Eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern beider Regierungen wurde inzwischen ins Leben gerufen, um Möglichkeiten in der Berufsbildung und bei erneuerbaren Energien auszuloten. Zielkonflikte müssen dabei ausgehalten werden: Die Stabilisierung repressiver Regierungen durch Kooperation einerseits und Bekämpfung von Fluchtursachen andererseits.

Eine Alternative zur engeren Zusammenarbeit mit Krisenländern gibt es nicht. Die Erhöhung der bisherigen Quote von 25 Prozent für die ärmsten Länder auf mindestens 50 Prozent ist unabdingbar.

Zweitens: Stabilisierung der Flüchtlingslager in Libanon, Jordanien und im Irak. Derzeit leben vier Millionen syrische Flüchtlinge in Lagern in Libanon, Jordanien, im Irak und in der Türkei. Etwa 350 000 haben sich aufgemacht nach Europa. Das sind neun Prozent. Die übrigen 91 Prozent halten sich noch in der Region auf.

Die EU insgesamt sollte acht Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um die Situation in den Aufnahmeländern zu stabilisieren. Deutschland allein hat bisher eine Milliarde Euro bereitgestellt. In Libanon erhalten etwa 40 000 Flüchtlinge Zuschüsse für Nahrungsmittel. 60 000 Kindern wurde die Wiederaufnahme des Schulunterrichts ermöglicht, auch mit Hilfe von Unicef. In Jordanien werden durch den Bau von Wasserleitungen 80 000 Flüchtlinge mit Trinkwasser versorgt.

Das Weltflüchtlingswerk (UNHCR) und das Welternährungsprogramm (WFP), die die Flüchtlingslager in Gang halten und unterstützen, sind massiv unterfinanziert, derzeit zu 50 Prozent. Beide Organisationen leben im Wesentlichen von freiwilligen Leistungen. Kürzungen haben bisher dazu geführt, dass sogar Essensrationen halbiert werden mussten - ein Versagen der internationalen Gemeinschaft.

Es geht um die Förderung von Stabilitätskernen in Flüchtlingslagern. Die lokale Verwaltung der Aufnahmeländer ist mit einzubeziehen, um Lagermentalitäten aufzubrechen. Dass dies möglich ist, zeigt Uganda, das Flüchtlinge aus dem Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo aufgenommen hat und ihnen sogar ein Stück Land zur Verfügung stellt, einschließlich Saatgut. Das Potenzial von Lehrern, Ärzten, Krankenschwestern, Ingenieuren, Handwerkern und anderen Fachleuten unter den Flüchtlingen sollte stärker genutzt werden. Strukturen der Selbstverwaltung in den Flüchtlingslagern sollten gefördert werden, wie dies etwa im Fall des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) in Jordanien erfolgreich praktiziert wird. Die Lager in den Regionen nahe Syrien sollten so ausgestattet werden, dass Flüchtlinge dort auch leben können und die Menschen nicht gezwungen sind, sich in noch größerer Zahl als bisher auf den Weg nach Europa zu machen.

Drittens: Ein Beschäftigungspakt für die Westbalkanländer. Albanien, Serbien, Kosovo, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro sind sichere Herkunftsländer. Etwa 25 Prozent der Asylbewerber kamen 2015 aus diesen Staaten, obwohl sie keine Chance auf politisches Asyl haben. Die Zahlen sind in zwischen zurückgegangen, doch insgesamt müssen etwa 150 000 Menschen abgeschoben werden. Dies bedeutet sozialen Sprengstoff für diese Länder. Die Arbeitslosenquote reicht von 18 Prozent in Albanien bis zu 35 bis 40 Prozent in Kosovo und in Bosnien-Herzegowina. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt durchschnittlich 50 Prozent. Gegen die ökonomische Verkümmerung muss ein Beschäftigungspakt gesetzt werden.

Die Perspektive sollte sein, aus EU-Mitteln fünf Milliarden Euro für Beschäftigung in den Westbalkanländern zur Verfügung zu stellen. Deutschland unterstützt diese Länder derzeit jährlich mit etwa 300 Millionen Euro aus Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit. Weiteres Potenzial gibt es bei Ausbildung, bei der Klein- und Mittelindustrie, bei Infrastruktur, insbesondere bei Wasser- und Abwasserprojekten, kleinen Kraftwerken, Energieverteilungszentren und Straßen, aber auch bei der Modernisierung der Verwaltung.

Entwicklungspolitik sollte sich auch mit Migranten-Netzwerken verbinden und gemeinsam sinnvolle Investitionen für Rücküberweisungen suchen, die den Herkunftsländern zugute kommen. Längerfristig müsste auch ein Rückkehrerprogramm konzipiert werden, anknüpfend an die positiven Erfahrungen, die Deutschland bei den Rückkehrerabkommen mit Chile 1990 und Vietnam 1995 gemacht hat.

Die Bekämpfung von Fluchtursachen ist komplex und regional unterschiedlich, ebenso komplex und regional differenziert müssten die Maßnahmen sein.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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