Kunst:Demokratie ohne Staat

Der niederländische Künstler Jonas Staal hat der autonomen Kurdenregion Rojava in Syrien ein Parlament gebaut. Ein Gespräch über erste Gipfel und relative Sicherheit.

Interview von Catrin Lorch

Seit eine überwiegend von Kurden bewohnte Region im Nordosten Syriens sich unter dem Namen Rojava für autonom erklärt hat, engagieren sich dort neben den Bewohnern auch Europäer und Amerikaner beim Aufbau der Gesellschaft. Das lang gestreckte Gebiet zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak gilt als Krisenherd, weil es im Süden an Territorien grenzt, die vom sogenannten Islamischen Staat beherrscht werden. Die Kurden, eines der größten Völker in der Region, die kein eigenes Staatsgebiet haben, fordern seit Langem einen eigenen Staat. Das führt zu Spannungen, auch Kriegen. Gerade führt die Türkei wieder einen Feldzug gegen die Kurdengebiete. Gleichzeitig gelten die syrischen und irakischen Kurden international als Verbündete, um den Vormarsch der Islamisten aufzuhalten. Der niederländische Künstler Jonas Staal hat für die autonome Region Rojava, die im Jahr 2014 in kurdischen Siedlungsgebieten im Norden von Syrien eine eigene Verwaltung etablierte, ein Versammlungsgebäude entworfen und dort auch gleich ein Gipfeltreffen organisiert. Er sieht die Arbeit an der Politik als Teil seines Werks an.

SZ: Sie haben als niederländischer Künstler in dem Ort Derik im kurdischen Gebiet Rojava ein Parlament gebaut. Wie kam es dazu?

Jonas Staal: Mit meinem Team, zu dem Künstler, Architekten, Wissenschaftler gehören, war ich im vergangenen Jahr für drei Monate in der Region. Wir haben den Bau des öffentlichen Parlamentsgebäudes in Derik, das dort im Osten liegt, dann gemeinsam mit der Regierung der autonomen Zone etwa ein Jahr lang vorbereitet.

Das Gebäude sieht auf Fotografien schon bezugsfertig aus.

Es wurde auch schon einmal verwendet. Die Metallarbeiten sind abgeschlossen, die Halbkugel ist fertig und auch die Betonarbeiten für die Agora, das Parlament. Jetzt arbeiten wir am Dach, das aus Flaggen zusammengesetzt wird. Und an einem Park auf dem Gelände. Als wir den ersten Summit dort im Spätherbst abgehalten haben, stand der Rohbau schon, und wir konnten zur ersten Veranstaltung einladen.

Was war das für ein Treffen?

Wir haben zum New World Summit eingeladen, einem Gipfeltreffen internationaler Delegierter, die das Konzept einer autonomen Region als Modell diskutierten. Es gab an zwei Tagen sechs Teams zu Themen wie Konföderalismus, Frauenbewegung, Selbstverteidigung oder Säkularismus. Für jeden der Bereiche hatten wir einen Sprecher aus der Regierung der autonomen Region Rojava und einen Vertreter aus einer anderen Region zusammengespannt. Dazu gehörten Vertreter des National Democratic Movement auf den Philippinen, Entsandte des Amazigh-Weltkongresses aus Libyen und Katalanen von der Candidatura d'Unitat Popular oder der Scottish National Party.

Wie kommen Sie eigentlich als Künstler zu so einem Auftrag?

Als wir den ersten New World Summit im Rahmen der Berlin Biennale im Jahr 2012 organisiert hatten, war auch eine Vertreterin der Kurden, Fadil Yildirim von der türkischen Frauenbewegung, eingeladen. Sie sprach damals über das Ideal der politischen Selbstverwaltung. Alles was später in Rojava umgesetzt wurde, war damals also als Idee schon entwickelt, wie beispielsweise die Ablehnung des Staats. Aber fordern die Kurden nicht einen eigenen Staat?

Rojava ist ein anderes Modell. Und die Kurden haben damals den von uns entwickelten New World Summit als Möglichkeit entdeckt, mit anderen staatenlosen, autonomen Bewegungen in einen Austausch zu treten. Und wir fanden umgekehrt, dass wir die Arbeit an der Kultur solcher Versammlungen in Rojava gut weiterführen können. Es geht um ein permanent tagendes Parlament, das sich von der Idee des Staats ablöst. Vorher haben wir solche Versammlungen immer im Theater oder an Kunstorten abgehalten. Der Summit nun ist so angelegt, dass er auch in der Welt der Politik funktioniert.

Kunst: Die Zusammenarbeit mit dem Künstler Jonas Staal begann, als kurdische Frauenrechtlerinnen an einem seiner Summits in Berlin teilnahmen.

Die Zusammenarbeit mit dem Künstler Jonas Staal begann, als kurdische Frauenrechtlerinnen an einem seiner Summits in Berlin teilnahmen.

(Foto: Galerie Ascan Crone)

Ist ein Entwurf wie das Parlamentsgebäude Teil Ihres künstlerischen Werks?

Der New World Summit ist beides, ein künstlerisches Werk und eine politische Organisation. Als Künstler bewege ich mich - per definitionem - auch in der politischen Sphäre. Das fängt schon mit der Frage an, in welchem Kontext man arbeitet, mit welchem Kapital. Mit welcher politischen Macht man sich assoziieren möchte und von wem man einen Auftrag annimmt. Die Frage ist, was die Rolle von Kunst in aktuellen politischen Zusammenhängen sein kann. Wir würden kein Parlament für die Niederlande bauen, selbst wenn die Regierung uns darum bittet. Ich könnte mich so einem repräsentativen Vorhaben nicht verbunden fühlen und stehe nicht mit einem Entwurf dafür ein, was mein Staat gerade als Politik definiert.

Sie würden nicht für die demokratischen Niederlande arbeiten, aber für die Kurden?

Derzeit würde der Rechtspopulist Geert Wilders die Mehrheit im Parlament anführen, wenn gewählt würde. Damit kann ich mich nicht identifizieren, nicht, solange die Niederlande so unfähig bleiben, eine progressive oder emanzipatorische Idee des Staats zu entwickeln. Aber natürlich arbeite ich auch in den Niederlanden, beispielsweise für NGOs oder Parteien wie die Sozialdemokraten, die Piraten oder die Grünen.

Die Organisation eines Summits ist eigentlich die Fortsetzung der Idee der sozialen Plastik von Joseph Beuys.

Ganz klar. Aber das schließt nicht aus, dass der Summit eine politische Funktion hat. Beuys ist für meine Arbeit ein wichtiger Bezugspunkt, er hat ja auch die Partei der Grünen in Deutschland mitbegründet.

Wie sind die Umstände, unter denen Sie in Rojava arbeiten?

Als wir 2014 das erste Mal dort waren, konnte man beispielsweise noch nicht nach Kobanê reisen. Jetzt sind weite Teile von Kobanê kein Kriegsgebiet mehr. Eigentlich ist es kein gefährlicher Ort, der Islamische Staat ist auch nicht mehr so präsent, die Frontlinien verlaufen 40 bis 50 Kilometer entfernt. Die Kurden und ihre Verbündeten werden dort jedoch gleichermaßen vom Islamischen Staat und dem türkischen Regime bedroht. Aber verglichen mit unserer ersten Reise hat sich mit dem Aufbau einer Gesellschaft auch die Gefahr verringert. Sicherheit ist dort aber natürlich ein Begriff, der sehr relativ ist.

karte rojava

Die autonome Zone Rojava liegt zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak. SZ-Karte; Quelle: Institute for United Conflict Analysis

Was bedeutet das konkret?

Wir sprechen über eine konfliktreiche Gegend. Schon weil sich dort Bewohner noch als Zellen des Islamischen Staates verstehen oder mit ihm sympathisieren. Viele Anschläge oder Attacken auf Grenzstationen werden von Menschen verübt, die dort leben. Es bleibt ein fragiler Zustand. Und die kurdische Arbeiterpartei, die PKK, wird im Süden Kurdistans von der türkischen Armee unter Beschuss genommen. Panzer versuchen, in das Gebiet einzudringen, über den Städten kreisen Hubschrauber der türkischen Armee. Zudem wird Isolation ein immer größeres Problem: Es gibt keinen wirtschaftlichen Austausch mit der Umgebung. Man bräuchte - schon zur Versorgung mit Lebensmitteln - einen Korridor durch Syrien, den Irak oder die Türkei.

Werden Sie in Rojava leben?

Nein, wir werden unser Engagement für die kurdische Bewegung zwar nie beenden, aber höchstens für ein paar Monate im Jahr dort leben. Im April findet dort ein zweiter Summit statt, dann bin ich wieder dort. Ziel dieses Gipfels wird es sein, politische Strukturen aus Rojava als modellhaft vorzustellen: Ist Rojava ein Modell, das auch andernorts funktionieren kann? Es wird um konkrete Allianzen gehen und theoretischen Einfluss. Außerdem arbeiten wir an einem Treffen "Stateless Democracy" in den Niederlanden, bei dem es darum geht, den Status der Demokratie so zu definieren, dass er nicht mehr geografisch limitiert ist. Eingeladen sind Gruppen von der linken, in Griechenland regierenden Partei Syriza bis zu autonomen Gruppen, in Barcelona beispielsweise, die versuchen, die Stadt wie einen Staat zu regieren. Die Philosophie von Autonomie versus Staatlichkeit wird jetzt häufiger in der Praxis umgesetzt. Schon weil sich Strukturen wie die Europäische Union nicht mehr weiter reformieren lassen, selbst wenn sie das wollten.

Warum werden Sie als Künstler in Rojava in die politische Arbeit eingebunden mit einem Projekt, für das man Ihnen im Westen bestenfalls einen Museumssaal zur Verfügung stellt oder eine Bühne?

Im Kontext der kurdischen Bewegung war Kunst immer sehr bedeutsam. Schon wegen der Sprache: Wo auch immer Lesungen oder Theatervorstellungen oder Konzerte auf Kurdisch stattfanden, waren das auch politische Manifestationen, Teil der Widerstandsbewegung. Wir hatten beim letzten Summit zum Thema Selbstverteidigung einen Kämpfer der People Defense Units eingeladen. Und natürlich hatten alle Zuhörer erwartet, dass er von der Front berichtet, vom Kampf gegen die Krieger des Islamischen Staats. Aber er sprach über die Verteidigung der kulturellen Identität. Das Studium der eigenen Kultur ist für diese Soldaten ein Teil ihres Trainings.

Aber propagiert da nicht ein Milizionär einen kurdischen Mythos?

Es gibt dort eine natürliche Verbindung zwischen Kunst und Kampf. Und ich möchte nichts idealisieren oder den Kampf in Rojava glorifizieren - schon weil dort täglich viele sterben. Aber der kulturelle Kampf steht im Zentrum der Revolution und aller Überlegungen einer neuen Ordnung.

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