"Badewannen-Mord" von Rottach-Egern:Der Tod einer alten Dame

Ist der Hausmeister wirklich ein Mörder? Seit Februar 2009 sitzt Manfred G. im Gefängnis, verurteilt wegen Mordes an einer alten und betuchten Dame. Jetzt wird der sogenannte "Badewannen-Mord" von Rottach-Egern neu aufgerollt. Womöglich war es nur eineHaushaltsunfall.

Hans Holzhaider

Ist Manfred G. ein Mörder? Seit dem 26. Februar 2009 sitzt der heute 51jährige Hausmeister in der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim in Haft. Am 12. Mai 2010 verurteilte ihn das Landgericht München II wegen Mordes an der 87-jährigen Rentnerin Lieselotte K. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Aber vom kommenden Dienstag an wird der Fall erneut verhandelt. Und der Münchner Rechtsanwalt Gunter Widmaier, einer der angesehensten und erfolgreichsten Revisionsanwälte Deutschlands, ist zuversichtlich, dass er in diesem Prozess die Unschuld seines Mandanten beweisen kann. Nach dem Studium der Akten und nach der Befragung neuer Sachverständiger kommt Widmaier zu dem Schluss, dass Lieselotte K. nicht ermordet wurde, sondern einem Haushaltsunfall zum Opfer fiel.

Die Rentnerin, früher einmal Inhaberin eines Schuhgeschäfts, lebte alleine in einer Dreizimmerwohnung im ersten Stock einer Wohnanlage in Rottach-Egern. Sie war geistig noch durchaus fit, von resoluter Wesensart, aber körperlich nicht mehr in der Lage, sich alleine zu versorgen. Manfred G., der Hausmeister der Wohnanlage, kümmerte sich intensiv um die alte Dame. Er machte ihr morgens Frühstück und leistete ihr Gesellschaft, kaufte für sie ein, fuhr sie zum Friseur oder zum Arzt und löste auch regelmäßig Barschecks für sie ein.

Am 23. Oktober 2008 erkrankte Lieselotte K. an einem heftigen Durchfall. Ihr Hausarzt wies die alte Frau in das nahe Kreiskrankenhaus Agatharied ein. Manfred G. fuhr sie dorthin und holte sie fünf Tage später auch wieder aus der Klinik ab. Gegen 14 Uhr kamen die beiden in Lieselotte K.'s Wohnung an. Dort, sagte G. später bei der Polizei, habe er noch Kaffee gekocht, habe mit Frau K. Einkäufe abgerechnet und sich dann verabschiedet, um seine Mutter zu besuchen. Um 18.30 Uhr am selben Abend fand eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes, der Frau K. betreute, die Frau tot in ihrer mit Wasser gefüllten Badewanne liegend. Die Obduktion ergab, dass Lieselotte K. ertrunken war. Am Hinterkopf der Toten fand der Gerichtsmediziner Wolfgang Keil zwei Einblutungen in die Kopfschwarte, die allerdings von außen weder sichtbar noch tastbar waren. Die Kopfhaut war unverletzt.

Das Verhängnis

Diese beiden Einblutungen sollten Manfred G. zum Verhängnis werden. Im Obduktionsprotokoll war nichts über deren mögliche Ursache vermerkt. Die Polizeibeamten hatten bei Auffindung der Leiche am Hinterkopf der Toten keinerlei Auffälligkeiten festgestellt. Aber sechs Wochen später habe der sachbearbeitende Staatsanwalt den Gerichtsmediziner Keil um eine Stellungnahme zu der Frage gebeten, ob die "festgestellten stumpfen Gewalteinwirkungen" auf den Hinterkopf der Frau K. zu einer Bewusstlosigkeit hätten führen können. In Wirklichkeit, sagt Widmaier, sei aber eine "stumpfe Gewalteinwirkung" dahin von niemandem festgestellt worden. Nunmehr allerdings habe der Gerichtsmediziner die Vorgabe der Staatsanwaltschaft übernommen und erklärt, die Einblutungen seien durch "kräftige stumpfe Gewalteinwirkung auf die entsprechenden Hinterkopfregionen bedingt", und sie seien darüber hinaus "im engeren zeitlichen Zusammenhang mit dem Todeseintritt entstanden".

Wolfgang Keil - er ist der stellvertretende Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität München - ging sogar noch weiter. Anhand eines kleinen Badewannenmodells erläuterte er den Richtern, dass es, ausgehend von der Lage der Leiche, höchst unwahrscheinlich sei, dass Frau K. zum Beispiel infolge eines plötzlichen Schwindel- oder Ohnmachtsanfalls in die Badewanne gestürzt sei.

Aus all dem nun schloss der Staatsanwalt, Manfred G. habe die Rentnerin in ihrer Wohnung mit einem harten Gegenstand zunächst bewusstlos geschlagen und sie danach in ihrer Badewanne ertränkt. Als Motiv nahm der Staatsanwalt an, der Hausmeister habe während des Krankenhausaufenthalts von Frau K. 8000 Euro aus einer Geldkassette entwendet. Als die alte Dame dies bemerkt habe, habe sich Manfred G. entschlossen, sie zu töten, um die Unterschlagung zu verdecken.

So stand es in der Anklage, aber im Prozess wurde der Verdacht der Unterschlagung vollständig ausgeräumt. Manfred G. hatte zwar in der fraglichen Zeit Schulden an einen Bekannten bezahlt, aber das Geld stammte nachweislich aus anderen Quellen. Damit war das Motiv für den angeblichen Mord erledigt - die Folge, sagt Anwalt Widmaier, hätte eigentlich ein Freispruch sein müssen. Aber der Staatsanwalt wartete in seinem Schlussplädoyer völlig überraschend mit einem neuen Motiv auf. Frau K., führte er aus, habe ungehalten und eifersüchtig reagiert, als der Angeklagte sich verabschieden wollte, um seine kranke Mutter zu besuchen, und aus Ärger darüber habe ihr der Hausmeister zwei Schläge auf den Kopf versetzt. Um das zu vertuschen, habe er die bewusstlose Frau in die Badewanne gelegt und Wasser eingelassen, so dass sie ertrunken sei. Das Gericht übernahm diese Version ohne jede neue Beweisaufnahme und ohne den Angeklagten und seine Verteidiger vorzuwarnen, und sprach das Urteil: lebenslange Haft.

Ein gravierender Rechtsfehler

Das, sagt der Rechtsanwalt Widmaier - und der Bundesgerichtshof folgte ihm darin ohne Wenn und Aber -, sei ein gravierender Rechtsfehler gewesen. Die Strafprozessordnung verbietet es, eine Verurteilung auf einen anderen als den in der Anklage enthaltenen Sachverhalt zu stützen, ohne den Angeklagten darauf besonders hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Das Urteil wurde vollständig aufgehoben, der Fall wurde zur erneuten Verhandlung an das Landgericht München II zurückverwiesen.

Für Manfred G. ist das ein Glücksfall - ohne diesen Fehler wäre eine neue Beweisaufnahme und damit die Gelegenheit, seine Unschuld zu belegen, nicht zustande gekommen. Gunter Widmaier, der seine auf Revisionen spezialisierte Kanzlei in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesgerichtshofs betreibt, tritt nur selten als Verteidiger in einem Strafprozess auf. In diesem Fall tut er es doch, weil ihm das Schicksal Manfred G.'s am Herzen liegt. Widmaier hofft aufgrund seiner eigenen Recherchen, dass er alle Indizien, die vermeintlich für die Schuld seines Mandanten Manfred G. sprachen, entkräften kann.

Da sind zunächst die beiden Einblutungen am Hinterkopf der Toten: Sie lassen sich, so Widmaier, leicht damit erklären, dass Lieselotte K. nach einer Lungenembolie ständig das Medikament Marcumar einnehmen musste. Der Wirkstoff dieses Medikaments hemmt die Blutgerinnung, damit verbunden ist aber eine erhöhte Blutungsneigung auch bei geringfügigen Anlässen, wie etwa einem leichten Stoß. Aus den Krankenunterlagen ergebe sich, dass Frau K. in den Tagen vor ihrem Krankenhausaufenthalt erhebliche Überdosen von Marcumar eingenommen habe. Die Blutungen könnten deshalb durchaus schon Tage vor dem Tod von Frau K. entstanden und unbemerkt geblieben sein. Dass die Kopfhaut unverletzt war, mache den Schlag mit einem harten Gegenstand äußerst unwahrscheinlich. Widmaier will dazu den renommierten Kölner Rechtsmediziner Markus Rothschild als Sachverständigen aufbieten.

Überhaupt nicht nachvollziehbar sei auch die Darstellung des Gerichtsmediziners Keil, ein Sturz in die Badewanne sei unwahrscheinlich. Nachweislich litt die Rentnerin schon früher unter kurzen, durch eine Durchblutungsstörung ausgelösten Ohnmachtsanfällen. Widmaier glaubt durch Tatortfotos nachweisen zu können, dass Lieselotte K., nachdem der Hausmeister sie an jenem Nachmittag verlassen hatte, in ihrer Badewanne verschmutzte Wäsche einweichen wollte. Wenn sie, als sie sich über die Wanne beugte, plötzlich das Bewusstsein verloren habe, sei ein Sturz in die halb mit Wasser gefüllte Badewanne völlig zwanglos nachvollziehbar, sagt Widmaier.

Die 4. Strafkammer des Landgerichts München II unter der Vorsitzenden Richterin Petra Beckers hat für die neue Hauptverhandlung 16 Prozesstage bis zum 14. Dezember angesetzt.

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