Deutschland bei der Handball-WM:"Ich glaube, wir rocken das Ding"

  • Die deutschen Handballer besiegen bei der WM auch Spanien, weil das Team aktuell immer eine Option mehr bietet.
  • Trainer Prokop kann es sich leisten, einige etablierte Akteure zu schonen - dafür glänzen andere.
  • Die Vorfreude aufs Halbfinale gegen Norwegen ist enorm.

Von Saskia Aleythe, Köln

Erst kam der Schock, dann das Kribbeln. Tim Suton saß auf den Rängen zwischen den Tausenden Fans in der Kölner Arena, es war Montagabend und Suton ein Beobachter wie alle anderen. Nach zehn Minuten entsetzte Gesichter, Martin Strobel verdrehte sich das Knie und wurde vom Parkett getragen, Suton litt mit. "Und dann fing es so nach und nach an zu kribbeln und im Kopf anzukommen, dass ich vielleicht am nächsten Tag dazustoße", sagte der 23-Jährige nun, am Mittwochabend in Köln.

Nicht mehr als Fan, um halb zwei in der Nacht zum Dienstag hatte ihn der Bundestrainer angerufen, "dann fing das Packen an", die Schuhe musste er erst noch aus der Handball-Halle in Lemgo holen. Und nun bestritt Suton seine erste WM-Partie überhaupt, als Spielgestalter eines Teams, das nur noch zwei Siege vom Pokal entfernt ist.

Die 19 250 Zuschauer hatten seinen Namen schnell drauf, als er nach seinen vier Treffern bejubelt wurde, plötzlich stand Suton nicht mehr auf den Rängen und klatschte, jetzt wurde er selber gefeiert. "Der wird reingeschmissen ins kalte Wasser und liefert hier gleich so eine Topleistung ab. Das ist schon toll", sagte Kapitän Uwe Gensheimer.

Und mit diesem Einstand des Nachzüglers, mit diesem 31:30-Sieg über Europameister Spanien, ging für die deutsche Mannschaft wieder ein Plan auf: Die Kräfte der bereits arg geforderten Spieler wurden geschont, andere zeichneten sich aus, und am Ende konnte man sich mit dem guten Gefühl aus Köln verabschieden, weiterhin unbesiegt zu sein bei dieser WM. "Das hätten nicht so viele gedacht, wir sind riesig froh", sagte Gensheimer und grinste. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und breitete die Arme so weit aus wie möglich, "sooooo groß" sei die Lust aufs Halbfinale am Freitag in Hamburg. Wie groß? "Unendlich."

Jede Stadt steht bei dieser WM für den Teil einer Reise, die die deutschen Handballer gerade bestreiten. Jeder Ortswechsel zeigt, was sie bisher erreicht haben. "Das waren die drei zuschauerreichsten Spiele meiner Karriere", sagte Rückraumspieler Fabian Böhm über die Hauptrunde in Köln, nach den Vorrundenpartien in Berlin hatten pro Spiel ja nochmal 6000 Zuschauer mehr die Mannschaft angefeuert. Am Mittwoch gegen Spanien vor allem auch Böhm, der gewaltige Tore erzielte und mit fünf Treffern erstmals zum "Spieler des Spiels" gewählt wurde.

Was ihm das bedeute? "Eigentlich nicht viel", sagte Böhm. Klar, er freue sich, aber viel wichtiger sei der Sieg des Teams. Worin auch Stolz steckte, weil sie nicht den einen Überflieger haben, sondern immer wieder andere Spieler in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. "Ich glaube, das gibt dem Trainer auch ein sehr gutes Gefühl", meinte Böhm, "dass er in Phasen, wo es mal nicht so gut läuft, sagen kann: Egal, wir haben noch jemanden dahinter."

Der Ausfall von Martin Strobel hatte die Mannschaft mitgenommen, "das war für uns alle ein Schock", sagte Bundestrainer Christian Prokop. Am Mittwochabend lief unter anderem Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), im Trikot von Strobel durch die Halle, es war eine Geste der Anerkennung und auch des Zusammenhalts. An Nachrücker Tim Suton hatte Strobel vor der Partie noch Nachrichten geschickt und ihm Mut zugesprochen, "das ist etwas ganz Besonderes", so Suton.

Nach elf Minuten wurde er eingewechselt, im ersten Angriff spielte er noch einen wackeligen Pass, schoss aber gleich darauf seinen ersten WM-Treffer. Nicht jedes Anspiel glückte, doch Suton ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, tauchte immer wieder direkt in die Abwehr ein und war als Torschütze erfolgreich. "Für den Einstand war das ganz gut", sagte er selber, "die zwei, drei Abspielfehler müssen aber weg".

Neue Sachen ausprobiert

Das gilt auch für andere im Team, aber der Fokus gegen Spanien lag ja ohnehin nicht auf einem fehlerfreien Spiel, sondern auch darauf, neue Sachen auszuprobieren. Große Leidenschaft für Tempogegenstöße hatten die Deutschen bisher im Turnierverlauf nicht bewiesen, nun wurde das Spiel aber tatsächlich mal schneller. Was auch durch Silvio Heinevetter zustande kam, der für Andreas Wolff von der 18. Minute an im Tor stand und nicht nur für abgewehrte Bälle gefeiert wurde - sondern auch für flinke Anspiele in Kontersituationen. Prokop attestierte ihm eine "gute Abwägung zwischen Risiko- und Zweite-Welle-Pass".

Im Halbfinale gegen Norwegen am Freitag könnten die Deutschen darauf angewiesen sein, einfache Tore durch eben solche schnellen Anspiele zu erzielen. Weil die Norweger selber eben auch eine gute Abwehr stellen. Man müsse das Tempo der Partie kontrollieren, prophezeite Rückraumspieler Kai Häfner, "dass du ihren schnellen Angriff unterbindest und selbst auch Nadelstiche setzt mit einer guten Abwehr und einfachen Toren. Wem das gelingt am Freitag, der gewinnt das." Und es klang dann die Zuversicht durch, die sich die Mannschaft durch die acht unbesiegten Partien abgeholt hatte: "Ich glaube, wir rocken das Ding." Christian Prokop drückte es so aus: "Meine Mannschaft ist heiß auf Hamburg."

Bevor sie die Gedanken in Richtung Finale lenkten, drehten die Handballer aber nochmal eine Runde durch die Kölner Arena und holten sich Applaus für ihre bisherigen Siege ab. Die Kulisse in Hamburg wird mit 13 000 Zuschauern wieder kleiner ausfallen, "wenn die Halle voll ist, brennt es da aber auch richtig", meinte Fabian Böhm, der die Dimension des nächsten Spiels schon ziemlich genau einordnen konnte. Ein WM-Halbfinale im eigenen Land zu spielen, ist den meisten Handballern nur einmal im Leben gegönnt.

"Jetzt kommen die Spiele, für die man seine ganze Karriere lang trainiert", sagte der 29-Jährige. Und auch wenn er die Norweger für einen "sehr großen Brocken" hält, fand er doch Argumente, die auch für einen Finaleinzug seiner Mannschaft sprechen. Warum sie gewinnen können? "Weil wir gerade einen absoluten Teamspirit haben und jeder füreinander kämpft", antwortete Böhm, "weil wir einfach bereit sind."

Und da klang noch ein Lied im Kopf nach, das in der Halbzeit-Pause gespielt wurde. Ein paar Weltmeister der Mannschaft von 2007 waren da übers Parkett gelaufen und hatten sich Applaus abgeholt, es lief - natürlich - der Höhner-Song von damals: "Wenn nicht jetzt - wann dann?"

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